Andrzej Luter sitzt in seinem Stammlokal, er lächelt zufrieden. Denn er ist dem Pfarrhaus entkommen, das heißt: dem fetten Essen der Köchin. So dick schwimmen bei ihr die Fettaugen da auf der Suppe, zeigt er mit Daumen und Zeigefinger.
Der 61-Jährige hat einen Teller Müsli bestellt - zum Mittagessen:
"Früher habe ich das gegessen, was ich wollte. Aber die Gesundheit! Na, und es stellt sich heraus: Ich kann verzichten, wenn ich muss, das ist gar nicht so schwer!"
Der Pfarrer kommt schnell auf Politik zu sprechen. Er macht kein Hehl daraus, dass er nicht viel hält von der Regierungspartei PiS. Sie strebe eine Art von Diktatur an, sagt er - und sie fälsche die polnische Geschichte:
"Also, ich habe während der Solidarnosc-Zeit in den 1980er Jahren wenig gehört über den Pis-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski. Dafür aber von Lech Walesa, Adam Michnik - Personen, die von der Regierung heute bekämpft werden, weil sie sich ihr entgegen stellen. Bald werden sie uns erzählen, dass Kaczynski damals der Anführer war."
Der Pfarrer schlägt immer wieder mit der Faust auf den Tisch. Wegen solcher Aussagen ist er einer jener Geistlichen, die von Nationalkatholiken als "anti-polnisch" gebrandmarkt werden.
"Polen war viel besser, als hier noch viele Nationen gelebt haben"
Aber Andrzej Luter ist kein Politiker. Sein Hauptaugenmerk sind die Menschen in seinem Warschauer Stadtviertel. Er macht einen Schritt vor die Tür des Restaurants und erzählt:
"Die verwaisten Schienen da sind ein Geschichtsdenkmal. Hier begann im Zweiten Weltkrieg das jüdische Ghetto, die Straßenbahn fuhr mitten hindurch, ohne anzuhalten. Während des Ghettoaufstands wurde hier alles dem Erdboden gleichgemacht, bis auf die beiden Kirchen. Denn die Deutschen haben von deren Türmen herunter geschossen."
Der Pfarrer führt an die Stelle, wo ein Steg zwei Teile des Ghettos miteinander verband. Er denkt hier nicht nur an die grausame deutsche Besatzung und den Holocaust, sondern auch das Polen, wie es vorher war, vor allem an seine Heimatstadt Lodz:
"Ohne den Krieg wäre das eine einzigartige Stadt in Europa. Von vier Nationen gegründet, von Polen, Deutschen, Juden und Russen. Den katholischen Dom dort haben jüdische Rabbiner mitfinanziert, weil sie sich vor allem als Lodzer gefühlt haben. Polen war viel besser, als hier noch viele Nationen gelebt haben."
Eine Ansicht, die in Polen derzeit alles andere als populär ist. Die rechtskonservative Regierung weigert sich, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie baut ihr Geschichtsbild auf das Ethos polnischer Nationalhelden. Sie grenzt sich ab von den westlichen EU-Ländern.
Kritische Geistliche in der Minderheit
Um seine Haltung in Ruhe zu erklären, bittet Andrzej Luter ins Pfarrhaus, ins Büro des Verwalters. Zwischen Geburts- und Sterbeurkunden zieht er nicht nur über die Regierung her, sondern auch über seine Kirche. So über das Redeverbot für Pfarrer Adam Boniecki, der es ebenfalls gewagt hatte, die Regierung zu kritisieren.
"Dem Orden, dem er angehört, fehlt es an Empathie und Menschlichkeit. Sein junger Vorgesetzter verbietet ihm das Wort, obwohl Boniecki einmal der Generaloberer des Ordens war. Heute ist er 83 Jahre alt und immer noch einer der klügsten Köpfe der katholischen Kirche in Polen. Er überragt sie einfach intellektuell und geistlich."
Adam Boniecki hat eine umstrittene Predigt gehalten. Er hat bei der Beerdigung eines Mannes gesprochen, der sich im Zentrum von Warschau selbst angezündet hatte - aus Protest gegen die Regierung.
In der polnischen katholischen Kirche sind Geistliche wie Boniecki und Luter in der Minderheit. Die meisten unterstützen die Regierungspartei PiS und der nationalkatholischen Kurs. So war es schon im Wahlkampf vor zwei Jahren. Die Partei bedankt sich mit Gesetzen, die den Bischöfen gefallen: Gerade hat sie ein Verkaufsverbot an Sonntagen beschlossen.
Luter sagt: "Zum Glück sind in der letzten Zeit doch eine Hierarchen auf eine gewisse Distanz zur Regierung gegangen. So eine Verbindung von Thron und Altar ist gefährlich, das hat die katholische Diktatur von Salazar in Portugal gezeigt. Meine Hoffnung ist ja: Polen ist so ein Land, in dem nie etwas wirklich gelingt. Das wird auch die PiS spüren, sonst wäre das sehr schlecht für Polen."
Gemeinsamkeiten mit Luther
Luter ist nicht nur in seiner Warschauer Gemeinde aktiv. Er arbeitet zugleich für eine liberalkatholische Vierteljahresschrift und ist Beichtvater vieler Künstler und Journalisten - einer Klientel, der es derzeit schlecht geht in Polen. Der politische Druck führe zu Selbstzensur:
"Bei der Selbstverbrennung in Warschau war das schon zu beobachten. Sehr viele, auch regierungskritische Medien haben zunächst gar nicht berichtet. Das taten sie dann erst, als Künstler den Vorfall aufgegriffen und zu Gedenkveranstaltungen aufgerufen haben, wie die Regisseurin Agnieszka Holland."
Letztendlich war das Müsli für Andrzej Luter doch zu wenig zum Mittagessen. Schon eine Stunde später sitzt er in einem Cafe in der Nähe und bestellt sich einen Apfelstrudel. Nicht nur der Protest gegen die Kirchenoberen, auch die Liebe zum Essen verbindet Andrzej mit dem großen Namensvetter, mit Martin Luther. Zum Protestantismus möchte er trotzdem lieber nicht übertreten: Der sei doch nur scheinbar liberaler, lacht Andrzej, das habe ihm ein Pole ganz aus dem Südwesten des Landes erzählt. Dort gibt es einige wenige polnische Lutheraner.