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Regierungskurs
Junge Taiwaner kritisieren Annäherung an China

Taiwans Parteiensystem besteht aus zwei Farben: Dem blauen Lager der regierenden Nationalisten und dem grünen Lager der Demokratischen Fortschrittspartei. Der Unterschied liegt im Verhältnis zu China, das das politisch selbstverwaltete Taiwan immer noch als abtrünnige Provinz betrachtet. Vor allem viele junge Taiwaner haben in den vergangenen Jahren gegen den Regierungskurs demonstriert.

Von Anne Raith |
    Das Nationale Palastmuseum in Taipeh
    Das Nationale Palastmuseum in Taipeh ist ein "Must-See" für Touristen aus der Volksrepublik. Es beherbergt die weltweit größte Sammlung chinesischer Kunstwerke. (Deutschlandfunk / Anne Raith)
    Sie sind für viele Taiwaner das hörbarste Zeichen der Annäherung zu China. Die Touristengruppen vom Festland, die sich lautstark von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit schieben. Ein unvermeidlicher Stopp ist das Nationale Palastmuseum. Es beherbergt die weltweit größte Sammlung chinesischer Kunstwerke.
    Unter der regierenden Kuomintang hat sich Taiwan der Volksrepublik in den vergangenen Jahren mehr denn je geöffnet - für Wirtschaftsabkommen und Waren, Direktflüge und direkten Austausch.
    Während die einen darauf hoffen, dass die Festland-chinesen hier auf den Geschmack der Demokratie kommen, weil sie abends im Hotel unzensiertes Fernsehen schauen können, fürchten die anderen den wachsenden Einfluss der Volksrepublik. Das gilt gerade für die junge Generation.
    Mehrheit der Taiwaner stammen aus China
    Für junge Leute wie Gina. Die 18-Jährige sitzt mit Freunden in einem Café in der Innenstadt von Taipeh. Ihr Poloshirt ziert das Logo ihrer High School. Gemeinsam haben die Schüler im vergangenen Sommer gegen die neuen Lehrbücher demonstriert. Gegen die darin propagierte chinesische Lesart der Geschichte. So sehen sie es. Bis zur Besetzung des Bildungsministeriums ging das damals.
    "Sie möchten, dass wir Schüler glauben, dass wir aus China stammen und unsere komplette 400-jährige Geschichte und unsere Kultur mit China zu tun haben."
    Noch heute regt sich die Schülerin darüber auf. Im Gegensatz zu vielen älteren Taiwanern, die sich zum Teil ethnisch durchaus als Chinesen bezeichnen, hat die jüngere, auf der Insel geborene Generation, ihre Verbindungen zum Festland quasi gekappt.
    "Es stimmt, dass die Mehrheit der Taiwaner aus China stammt, aber die Dinge haben sich geändert. Wir haben jetzt Demokratie, unsere Kultur hat sich weiterentwickelt, sich mit japanischer Kultur und jener der Ureinwohner gemischt. Taiwan ist heute ganz anders als China. Die meisten fühlen sich als Taiwaner, wollen aber nicht unbedingt unabhängig sein, weil sie Angst vor einem Krieg haben. Auf keinen Fall aber wollen sie Chinesen sein."
    Studentin Pin-yu
    Studentin Pin-yu hat 2014 gegen das Dienstleistungsabkommen mit China demonstriert. Noch heute sorgt sie sich über den Einfluss der Volksrepublik. (Deutschlandfunk / Anne Raith)
    Und auf keinen Fall wollen sie, dass sich Taiwan China weiter annähert.
    Sorgfältig geschminkt steht Pin-yu in Kleid und Rüschenbluse an der Mauer, die das Parlament in Taipeh umgibt. Nach den Studentenprotesten vor bald zwei Jahren wurde die Absperrung noch einmal zusätzlich verstärkt. Damals demonstrierten die Jurastudentin und ihre Kommilitonen wochenlang vor dem Gebäude und besetzten es am Ende tagelang – die Schüler sollten diese Praxis später nachahmen:
    "In erste Linie ging es um das Dienstleistungsabkommen mit China, das verhandelt, dann aber in einem viel zu raschen Prozess durchgewinkt wurde. Daran hat sich der Hauptprotest entzündet."
    Gepaart mit der allgemeinen Unzufriedenheit vieler junger Leute mit der Kuomintang-Regierung war das eine explosive Mischung. Und die bleibt es bis heute. Der "Faktor China" bereite ihr weiterhin Sorgen, sagt Pin-yu. Große Sorgen.
    In der Parteizentrale der Regierungspartei wiegelt Eric Huang ab.
    "Wir verstehen die Angst, aber ich sehe nicht den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Austausch und der Sorge, unsere Unabhängigkeit zu verlieren. Wirtschaftsaustausch führt nicht zu Krieg; Feindschaft führt zu Krieg."
    Der 30-Jährige ist der regierenden KMT vor drei Jahren beigetreten, gerade weil sie die bessere China-Politik habe. Heute ist Huang zuständig für internationale Angelegenheiten.
    Gesellschaftliche Freiheiten erhalten
    Im Gegensatz zu vielen seiner Altersgenossen spricht der smarte Jungpolitiker betont von der "Republik China", wie Taiwan offiziell heißt. Doch diese Haltung ist es unter anderem, die der Partei in den vergangenen Jahren enorme Stimmenverluste beschert hat. Vor den Präsidentenwahlen liegt der KMT-Kandidat weit abgeschlagen hinter der Herausforderin der Demokratischen Fortschrittspartei DPP.
    "Unsere Partei hat das beste Rezept für Frieden und Stabilität," ist sich Huang dennoch sicher.
    "Der DPP fehlt ein Konzept. Sie will den Status quo in den Beziehungen zu China halten, hat aber noch nicht klar gemacht, wie sie sich das vorstellt."
    Tatsächlich: Hat sich die DPP früher für ein unabhängiges Taiwan ausgesprochen, plädiert sie heute dafür, den Status quo zu erhalten. Das heißt: Taiwan verzichtet offiziell auf Eigenständigkeit und internationale Anerkennung und bewahrt sich so seine gesellschaftlichen Freiheiten. Das will auch ein Großteil der Taiwaner. Und damit viele Wähler.
    Fragt man also James Huang, der bei der DPP für Internationale Angelegenheiten zuständig ist, klingt das zunächst ganz ähnlich wie das, was Eric Huang sagt:
    "Wir wollen friedliche und stabile Beziehungen auf beiden Seiten der Taiwanstraße UND den Erhalt unserer Demokratie und unseres freiheitlichen Lebensstils."
    Parteien aus Studentenbewegungen hervorgegangen
    Natürlich würde sich auch eine DPP-Präsidentin mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping treffen – aber ohne Vorbedingungen. Von einem China will die DPP nicht ohne Weiteres sprechen, von jener vagen Formel, wonach es nur ein China gebe, mit unterschiedlichen Interpretationen. Und das macht Peking argwöhnisch. Wirtschaftlich zusammenarbeiten will und muss jedoch auch die DPP mit der Volksrepublik.
    Auch deswegen ist Jura-Studentin Pin-yu wenig optimistisch.
    "Die meisten gehen davon aus, dass die Opposition gewinnt. Ich bezweifele, dass das eine Wende in der Weltgeschichte nach sich ziehen wird. Es wird keine komplette Veränderung zum Paradiesischen geben."
    Interessant wird deshalb auch, wie die kleineren Parteien abschneiden werden. Kleinere Parteien wie die New Power Party des Heavy-Metall-Sängers Freddy Lim, die zum Teil aus der Studentenbewegung hervorgegangen sind.
    "Was man als positives Ergebnis festhalten kann, ist, dass sich so viele junge Menschen für Politik interessieren und versuchen, ihre Stimme hörbar zu machen."
    Das will sie auch tun und nach ihrem Jurastudium in die Politik gehen.
    Anmerkung der Redaktion: Recherchen für diesen Beitrag wurden durch journalists.network ermöglicht, die unterstützt wurden von der Taipeh Vertretung, der Robert-Bosch-Stiftung und der Firma Evonik.