Steffen Seibert: "Ich bin echt nervös, es ist wie Abi, Führerscheinprüfung und diverse andere Dinge zusammen. Ich hoffe, dass sich das irgendwann mal legt."
Zu Lampenfieber gibt dieser Job allen Anlass. Auch für jemanden, der die öffentliche Rede und das Rampenlicht gewohnt war, so wie Steffen Seibert, als er am 11. August 2010 das Amt des Regierungssprechers übernahm. Als ZDF-Moderator hatte er sich davor auch in kritischen Situationen bewährt, in denen kein Teleprompter mehr hilft, vorgeschriebene Manuskripte abzulesen.
"14.51 Uhr unserer Zeit, kurz vor 9 Uhr New-York-Zeit kam die erste Meldung. Das hieß ganz lakonisch: Flugzeug rast in World Trade Center. Man hätte für einen Moment an einen Unfall glauben können, obwohl…"
Mit der Goldenen Kamera wurde Seibert für den sachlich-präzisen Ton ausgezeichnet, mit dem er die ZDF-Zuschauer am 11. September 2001 über das unfassbare Geschehen in New York, Washington und Pennsylvania informierte. Als Angela Merkel 2010 einen Nachfolger für ihren ersten Regierungssprecher Ulrich Wilhelm suchte, hatte niemand den Namen Seibert auf dem Schirm. Der Journalist war weder in der CDU noch in Berliner Kreisen vernetzt.
Ein Tipp von Giovanni di Lorenzo
Durch einen Tipp des Zeit-Chefredakteurs Giovanni di Lorenzo wurden die Berater der Kanzlerin auf Seibert aufmerksam. Di Lorenzo und Seibert kannten sich aus gemeinsamen Schulzeiten in Hannover. Der Rollenwechsel des ZDF-Moderators kam für die Öffentlichkeit genau so überraschend wie für Seibert selbst.
"Dem möchte ich jetzt auch als Bundesregierung gar nicht vorgreifen."
Nach kurzer Zeit gingen Seibert auch solche Sätze ganz locker über die Lippen: "Ich als Bundesregierung" - was er sagt, gilt für die Kanzlerin und ihre Regierung. In der Griechenland und der Eurokrise hätten auch leichte rhetorische Fehltritte eines deutschen Regierungssprechers die Weltmärkte in ungewollte Bewegungen setzen können.
"Wir träumen uns nicht durch diese europäische Krise,sondern wir handeln"
Ruhig, stets freundlich, wenn gewünscht mit dem Timbre der Entschlossenheit vertritt Seibert Politik und Stil der Kanzlerin. Zwei- bis dreimal in der Woche steht in der Bundespressekonferenz gemeinsam mit den Sprecherinnen und Sprechern aller Ministerien Journalisten aus dem In- und Ausland Rede und Antwort.
"Wow, das ist schon sehr präzise, diese Frage kann ich Ihnen schlicht nicht beantworten…"
"Wie viele verschiedene Arten gibt es, das zu sagen?"
Vor der blauen Wand im Saal der Bundespressekonferenz kann der Platz des Regierungssprechers auch zum heißen Stuhl werden. Zum Jobprofil gehört es immer wieder, lange Kreuzverhöre zu überstehen und bohrende Nachfragen zu parieren.
"Man kann erst informieren, wenn man Informationen hat, die eine solche Information überhaupt rechtfertigen."
Ausweichende Antworten, die stoische Wiederholung von altbekannten Formeln aus dem Munde des Regierungssprechers sind für Journalisten oft frustrierend. Wenn es um Angelegenheiten der Geheimdienste geht, verweist Seibert auf das Erstinformationsrecht des Bundestages; wird nach Telefonaten der Kanzlerin gefragt, macht er mit dem Hinweis auf die Vertraulichkeit von regierungsinternen Gesprächen oder Kontakten mit ausländischen Staats- und Regierungssprechern dicht.
"Diese Sätze haben ihren Sinn und deswegen bin ich ihrer auch nicht müde. Aber natürlich versuch ich hier nicht, nur formelhaft zu sprechen. Aber es gibt einfach bestimmte – das wissen ja auch die Journalisten – ich werd nicht aus einem vertraulichen Telefongespräch berichten. Und wie viele verschiedene Arten gibt es, das zu sagen?"
Als Chef des Bundespresseamtes steuert Seibert zugleich eine immer aktivere Kommunikationspolitik der Regierung in digitalen Medien. Manche sehen darin den Ausdruck einer Strategie, die es der Kanzlerin erlaubt, sich den Erklärungsdruck eines kritischen Journalismus zu entziehen. Öfter als von Journalisten lässt sich die Kanzlerin von Seiberts Mitarbeitern für ihren Videopodcast vorabgestimmte Fragen stellen. Über den eigenen Twitter-Kanal setzt Seibert die Kanzlerin selbst ins gewünschte Licht. Das ikonische Bild Merkels, die sich beim G7-Gipfel in Kanada vorgebeugt auf einen Tisch stützt und auf Trump einredet, brachte er selbst über Twitter in die Welt.
Zäsur nach Merkels Amtszeit
Seibert indes sieht sich in der Bundespressekonferenz als Gegenpol zur Welt der Fake News und Twitter-Eskapaden aus dem Weißen Haus.
"Jeder Journalist, der hier herkommt, und auch alle anderen können wissen, dass sie von mir die Wahrheit erfahren, sie erfahren von mir nie die Unwahrheit, und ich locke keinen auf eine falsche Fährte."
Mit dem Ende der Amtszeit Angela Merkels steht auch für Steffen Seibert eine Zäsur bevor. Nach rund zehn Jahren an der Seite der Kanzlerin dürfte dann Familienleben mit seiner Frau, einer Berliner Künstlerin und drei Kindern erstmal im Vordergrund stehen. Eher als auf dem Fernsehschirm dürfte man den passionierten Leser langer Romane dann auch hinter Büchern wähnen.
"Sind Sie in der Lage, die Ewigkeit zu greifen, ehrlich? Ich nicht."