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Regina Jonas
Die weltweit erste Rabbinerin

Im liberalen Judentum gibt es heute viele weibliche Rabbinerinnen, doch das ist eine recht junge Entwicklung. In den 1930er-Jahren schaffte es Regina Jonas in Berlin gegen große Widerstände, Rabbinerin zu werden. Sie wurde von den Nazis ermordet - und wäre von der Welt fast vergessen worden.

Von Christian Röther |
    Gedenktafel für die Rabbinerin Regina Jonas in der Krausnickstraße 6 in Berlin. In dem Haus, das zuvor an dieser Stelle stand, wohnte Regina Jonas bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt. Sie war der erste weibliche Rabbiner weltweit
    Gedenktafel für Regina Jonas in der Krausnickstraße 6 in Berlin. Hier wohnte die Rabbinerin bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt. (imago/epd)
    "Unser jüdisches Volk ist von Gott in die Geschichte gepflanzt worden als ein gesegnetes."
    Diese Sätze schreibt Regina Jonas am Ende ihres Lebens - im Konzentrationslager Theresienstadt.
    "Von Gott 'gesegnet' sein, heißt, wohin man tritt, in jeder Lebenslage, Segen, Güte, Treue spenden. Demut vor Gott, selbstlose hingebungsvolle Liebe zu seinen Geschöpfen erhalten die Welt. Diese Grundpfeiler der Welt zu errichten, war und ist Israels Aufgabe. Mann und Frau, Frau und Mann haben diese Pflicht in gleicher jüdischer Treue übernommen."
    "Orthodox im modernen Sinne"
    Diese Sätze fassen zusammen, was Regina Jonas als ihre Lebensaufgabe erkennt: Sie fühlt sich in einer Zeit zur Rabbinerin berufen, als es diesen Beruf für Frauen noch nicht gibt. Sie wird 1902 in Berlin geboren, wächst auf im ärmlichen Scheunenviertel. Ihr Vater Wolf Jonas ist Kaufmann. Er stirbt, als Regina zwölf ist, und erhält ein Armenbegräbnis.
    "Ich kann mir vorstellen, dass der Vater von Regina Jonas der erste Lehrer von ihr gewesen ist."
    Elisa Klapheck ist liberale Rabbinerin in Frankfurt am Main und Professorin für Jüdische Studien in Paderborn. Sie hat sich intensiv mit Regina Jonas beschäftigt.
    "Sie selbst hat mal in einem Interview gesagt: 'Ich bin streng religiös erzogen worden.' Es war also eine orthodoxe Familie. Aber ich kann mir vorstellen, dass diese Familie zwar orthodox war, aber in einem modernen Sinn."
    Die liberale Rabbinerin Elisa Klapheck
    Elisa Klapheck ist heute eine der weltweit rund 1.000 Rabbinerinnen - dank der Pionierin Regina Jonas. (Mark Heinemann)
    So findet Regina Jonas schon als Kind zur religiösen Bildung. Auch ihr älterer Bruder Abraham wird später Religionslehrer. In der jüdischen Mädchenschule gilt Regina mancher Mitschülerin als Streberin, wegen ihrer Leidenschaft für die Grundlagen des Judentums.
    "Mir haben auch andere gesagt, dass Regina eigentlich immer davon gesprochen hat, sie will Rabbinerin werden. Und man hat ihr das abgenommen."
    Auch Frauen können Rabbinerin werden
    Elisa Klapheck hat das Leben von Regina Jonas rekonstruiert und dafür auch mit ehemaligen Klassenkameradinnen gesprochen.
    "Mir sagte aber eine Frau: 'Es war ja alles noch nicht so richtig möglich, also wenn eine Frau Rechtsanwältin werden wollte oder Ärztin. Also wenn da eine in der Klasse war, 1913, die von sich sagt, ich will Rabbinerin werden, das war ebenso möglich wie unmöglich wie mit den anderen Berufen."
    1923 macht Regina Jonas Abitur. In Deutschland wird gerade das Frauenwahlrecht eingeführt, auch die jüdische Frauenbewegung kämpft für Gleichberechtigung. Regina Jonas schreibt sich in Berlin an der "Hochschule für die Wissenschaft des Judentums" ein, unterrichtet außerdem Hebräisch und jüdische Religion. Der Rabbiner Max Weyl wird ihr Förderer und Mentor. Sieben Jahre später, 1930, verfasst Regina Jonas ihre Abschlussarbeit. Titel: "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?"
    "Also wie die orthodoxen Rabbiner, ganz traditionell, hangelt sich Regina Jonas entlang der alten rabbinischen Argumentationen, ob eine Frau Rabbinerin sein kann, und kommt zu einem positiven Schluss."
    "Außer Vorurteil und Ungewohntsein steht halachisch fast nichts dem Bekleiden des rabbinischen Amtes seitens der Frau entgegen. So möge auch sie in einer solchen Tätigkeit jüdisches Leben und jüdische Religiosität in kommenden Geschlechtern fördern."
    "Ihr war es wichtig, zu zeigen, dass die Emanzipation der Frau im Judentum selbst mit angelegt ist - ja sogar in der Tora, in der Offenbarung am Berg Sinai, sozusagen beschlossene Sache war."
    "Die Rabbinerin der Stunde"
    Regina Jonas Abschlussarbeit, 88 Seiten lang, wird mit "gut" bewertet. Es dauert allerdings noch fünf Jahre, bis sich mit Max Dienemann aus Offenbach ein liberaler Rabbiner findet, der Regina Jonas zur Rabbinerin ordiniert. Da ist sie 33 Jahre alt und hatte vermutlich seit 20 Jahren den Wunsch, Rabbinerin zu werden.
    "Aus den Unterlagen, die ich habe, spricht eigentlich zu mir, dass das der Regina Jonas auch Spaß gemacht hat, gegen diesen Widerstand zu kämpfen und am Ende erfolgreich zu sein. Mir hat jemand gesagt: 'Die Regina Jonas, wenn man sie nicht durch die Tür hineinließ, dann stieg sie durchs Fenster."
    Es dauert weitere zwei Jahre, bis Regina Jonas in Berlin auch tatsächlich als Rabbinerin eingestellt wird. 1937, im fünften Jahr der Naziherrschaft.
    "Jetzt sagen manche Stimmen, sie hatte nur eine Chance, weil es die Nazizeit war. Es gab einen eklatanten Rabbinermangel, viele flüchteten ins Ausland und es fingen auch schon die Deportationen an. Und in diese Lücke konnte Regina Jonas stoßen. Da mag was Wahres dran sein. Auf der anderen Seite muss man auch sehen: Sie war ganz stark in ihrer Berufung. Mir haben Überlebende gesagt: 'Sie war die Rabbinerin der Stunde.' Sie konnte sprechen, sie konnte den Menschen Mut machen. Denjenigen, die geblieben waren in Deutschland."
    Betreuung quer durch das Deutsche Reich
    Auch Regina Jonas hätte wohl fliehen können. Vielleicht bleibt sie wegen ihrer Liebe zu dem Hamburger Rabbiner Joseph Norden. Aber wohl auch oder vor allem, weil sie sich zur Rabbinerin berufen fühlt, glaubt Elisa Klapheck:
    "Sie ist geblieben, in dieser Nazizeit, wahrscheinlich in dem Wissen, dass das auch den Tod mit einschließt."
    1938 leben noch rund 70.000 Jüdinnen und Juden in Berlin, vor allem ältere Menschen. In diesem Jahr schreibt Regina Jonas:
    "Wenn ich nun aber doch gestehen soll, was mich, die Frau, dazu getrieben hat, Rabbiner zu werden, so fällt mir zweierlei ein: Mein Glaube an die göttliche Berufung und meine Liebe zu den Menschen. Fähigkeiten und Berufung hat Gott in unsere Brust gesenkt und nicht nach dem Geschlecht gefragt. So hat ein jeder die Pflicht, ob Mann oder Frau, nach den Gaben, die Gott ihm schenkte, zu wirken und zu schaffen."
    Regina Jonas schreibt in einem Brief, der Rabbinerberuf habe sie ergriffen, nicht sie ihn. Von den Nationalsozialisten wird sie gezwungen, in einer Kartonagenfabrik zu arbeiten. Ab 1940 wird Regina Jonas außerdem quer durchs Reich geschickt, um Gemeinden zu betreuen, die keine Rabbiner mehr haben, wie Frankfurt an der Oder, Braunschweig und Bremen.
    "Mir haben Leute gesagt: 'Also wenn man sie hörte, sie konnte einen moralisch wieder aufbauen. Und wahrscheinlich in Theresienstadt, im Konzentrationslager, noch stärker."
    Vorbild für viele
    1942 wird Regina Jonas zusammen mit ihrer Mutter deportiert. Erst nach Theresienstadt, zwei Jahre später nach Auschwitz. Noch am Tag der Ankunft wird Regina Jonas ermordet. Am 12. Oktober 1944.
    "Aber aus dem Leben der Regina Jonas spricht zu uns allen, dass diese Ermordung nicht den Schlussstrich unter ihr Leben gesetzt hat. Im Gegenteil, bei mir ist es so gewesen: Sie ist doch meine Lehrerin geworden."
    Als Elisa Klapheck in den 80er-Jahren anfängt, sich mit der damals fast vergessenen Regina Jonas zu beschäftigen, da ist sie noch keine Rabbinerin, sondern Journalistin.
    "Das hatte natürliche eine unglaubliche Kraft auch, die dann zu mir über diesen Abgrund sprach. Und irgendwann habe ich eigentlich von ihr vernommen, das ist jetzt kein Wissen nur für mich selbst als Hobby. Das muss ich jetzt auch weitergeben."
    So ist Elisa Klapheck heute eine der weltweit rund 1.000 Rabbinerinnen - dank der Pionierin Regina Jonas. Allerdings: "Das ist noch ein langer Weg, bis die Gleichberechtigung der jüdischen Frauen, der Rabbinerinnen, wirklich vollendet ist. Auch im Liberalen Judentum."