Der Saal in einem Hannoveraner Kongresshotel ist voll, fast 900 Personen sitzen, einige müssen stehen, um die Kandidierenden für den SPD-Vorsitz zu sehen, ihnen zuzuhören, sie kennenzulernen. Auch die Rentnerin Monika Elke-Koch, seit 25 Jahren in der SPD, ist gekommen.
"Unseren Pistorius aus Niedersachsen, den kenn ich ja. Aber die anderen, die kennt man aus dem Radio, aus dem Fernsehen und die mal persönlich zu erleben, das ist doch ganz schön! Deswegen komme ich hier."
"Die da oben kennt man nur aus dem Fernsehen"
Ihre Diagnose, warum ihre Partei in der Krise steckt: Die SPD sei zu weit weg von den Menschen, sagt sie.
"Wir müssen glaubwürdig werden. Wir dürfen nicht so viel im Fernsehen und irgendwo in höheren Gremien, hierarchisch abgehobenen Gremien auftreten. Weil oftmals immer von schlichten Mitgliedern gesagt wird: Die da oben, die da oben, die kennt man nur aus dem Fernsehen."
Da oben, zumindest auf der Bühne, begrüßt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil die Gäste. Als Weil vom Moderator gefragt wird, was er von einem neuen Spitzen-Duo erwarte, muss er erst einmal nachdenken.
Man habe sich zu häufig selbst im Weg gestanden, mahnt Weil.
"Wenn wir das hinter uns lassen und mit einer neuen Führung wirklich schwungvoll nach vorne gehen, dann wird das das schönste Amt nach Papst wieder werden."
Mammutaufgabe für den neuen Parteivorsitz
Weil spielt auf ein Zitat des früheren SPD-Chefs Franz Müntefering an.
Alle 15 Kandidierenden müssen grinsen, wohlwissend, dass egal wer das Rennen am Ende gewinnt, mit dem Parteivorsitz eine Mammutaufgabe bevorsteht.
Und an diesem zweiten Termin scheinen die Kräfte noch da zu sein.
"Einen schönen guten Abend Hannover! Wir sind Christina und Michael. Manche sagen, das klingt wie ein Schlagerduo. Wir sagen, das klingt wie ein extrem motiviertes Team."
Die frühere NRW-Familienministerin Christina Kampmann und der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, bilden das jüngste Team. Sie wollen unter anderem, dass zukünftig Vorstandsplätze an Basis-Mitglieder verlost werden. Das kommt gut an. Und auffällig ist: Wann immer, wie Karl Lauterbach und Nina Scheer, den Austritt aus der GroKo fordern, folgt heftiger Beifall.
"Verlassen wir die Große Koalition! Lassen wir es zurück!"
Applaus, dann hören wieder alle konzentriert zu, kauen nebenbei an ihrer Brezel oder holen sich zwischendurch noch etwas Bier von der Bar. Es ist zuweilen eine heitere Stimmung, auch weil Ralf Stegner versucht, mit Selbstironie zu punkten.
"Manche reduzieren mich auf mein heiteres Gemüt, das ist ein bisschen wenig. Aber: Wir würden gerne dafür sorgen, dass wir am Ende, die ganze Partei wieder etwas zu lachen hat, indem wir nach oben kommen. Das wollen wir schaffen"
Klar begrenzte Redezeit
Viele Äußerungen klingen ähnlich wie bei der Auftaktveranstaltung in Saarbrücken. Es geht um soziale Gerechtigkeit, Digitalisierung, Arbeit, Klima- und Wohnpolitik. Dierk Hirschel, Verdi-Chefökonom, der gemeinsam mit Hilde Mattheis antritt und zum linken Flügel zählt, verschärft den Ton.
"Wenn ihr uns an die Spitze dieser Partei wählt, dann wird es klare Kante geben in diesen gesellschaftlichen Fragen! Dann wird es klare Kante geben in der Frage von Tarifverträgen, in der Frage Mindestlohn Zwölf Euro, beim Wohnungsbau und bei den Investitionen! Da gibt es klare Kante! Da wird wieder erkennbar sein, wofür die SPD steht!"
Es gelten strenge Zeitvorgaben. Wer bei der Antwort überzieht, dem oder der wird das Mikro abgedreht. Boris Pistorius, niedersächsischer Innenminister, der mit der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping kandidiert, stellt bei seinem "Heimspiel" klar:
"Das heißt für mich zum Beispiel, dass ich in dieses Kabinett dieser Großen Koalition nicht eintreten werde, wenn wir gewählt werden."
Wenig kontroverse Regionalkonferenz
Die Regionalkonferenz in Hannover, sie verläuft bis auf ein paar Momente wenig kontrovers. Nur selten wie an dieser Stelle gibt es einen direkten Angriff von Roth in Richtung Gesundheitspolitiker Lauterbach.
"Karl, wenn ich mich recht erinnere, warst du doch selber mal Mitglied eines Aufsichtsrats in einer privaten Krankenhausgesellschaft. In meinem Wahlkreis haben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dafür gesorgt, dass alle Kliniken in kommunaler Trägerschaft erhalten geblieben sind. Es geht auch anders, Genossinnen und Genossen!
Lauterbach: "Wir alle haben Fehler gemacht und müssen auch Fehler korrigieren, ich bin aus dem Aufsichtsrat damals ausgeschieden."
Gegenwind für Scholz aus dem Publikum
Und der Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz? Er bekam, wie schon in Saarbrücken, Gegenwind aus dem Publikum.
"Du sagtest in Saarbrücken, du seiest ein ‚Truely Sozialdemokrat‘. Ich würde gerne wissen, wieso du als ‚Truely Sozialdemokrat‘ in 15 Jahren als Generalsekretär, als stellvertretender Parteivorsitzender, als einflussreicher Bürgermeister es nicht geschafft hast, diese Partei zu retten und vor dem Untergang zu schützen."
Olaf Scholz: "Also, schönen Dank für das viele Vertrauen in meine Möglichkeiten."
Scholz zählt auf, was er aus seiner Sicht alles geschafft habe, wirklich überzeugen kann er den Fragesteller jedoch nicht.
Eine Frau meldet sich zu Wort, sie habe das Thema Gleichstellung vermisst. Ein paar Reihen weiter noch eine Wortmeldung – das Interesse ist groß.
"Es sind ja einige Fehler gemacht worden in der GroKo. Und der erste Fehler war, dass die SPD sich bei Paragraph 219 von der ursprünglichen Entscheidung zurückgezogen hat."
"Da muss auch noch mehr kommen"
Nach fast drei Stunden geht auch diese Regionalkonferenz gehen zu Ende. Wer hat überzeugt?
"Christina Kampmann und Michael Roth. Die beiden haben irgendwie glücklich bei der Sache gewirkt und ob sie auch wirklich zu 100 Prozent dahinter stehen. Das fand ich ehrlich und die Position halt auch noch gut – das ist eigentlich selten." – "Sehr hohe Kosten, wenig Aussage." – "Da hatte Olaf Scholz aus meiner Sicht von Anfang an schlechte Karten. Nicht glaubwürdig, nein. Es ruft ihn eigentlich keiner zur Rettung der Sozialdemokratie." – "Bei der zweiten ist es mir persönlich noch nicht langweilig geworden. Aber ich denke schon, besonders auf Dauer, wenn dann irgendwann die meisten, die da zu den Regionalkonferenzen hingehen, die Chance hatten, sich einmal eine andere anzusehen – da muss auch noch mehr kommen. Dass man auch ein bisschen konkreter auch auf Konfrontationskurs miteinander geht."
Bereits heute findet die dritte SPD-Regionalkonferenz in Bernburg an der Saale statt und damit zum ersten Mal in einem Ost-Bundesland.