Minderheitensprachen in Deutschland
Warum Romanes, Sorbisch, Dänisch und andere Sprachen geschützt werden

Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland sollen im Rahmen einer Konvention des Europarates gefördert und geschützt werden, aber das klappt nicht immer. Woran liegt das? Und welche Bedeutung haben die Sprachen für die Minderheiten?

10.03.2023
    Frauen in sorbischer (wendischer) Tracht singen und tanzen im Dorfgasthof. Im Bild sind zwei Frauen von hinten zu sehen, die zwischen sich ein Kind an den Händen halten. Sie tragen traditionell bestickte Trachten.
    Mädchen und Frauen in wendischer Festtagstracht - die Sorben in der Lausitz pflegen nicht nur ihre Traditionen, sondern auch ihre eigene Sprache (picture alliance / Andreas Frank / Andreas Franke)
    Tjüschlönj, Němskej oder Düütschland - das bedeutet "Deutschland" auf Nordfriesisch, Obersorbisch und Plattdeutsch. Zum 25-jährigen Bestehen der Charta zu Regional- und Minderheitensprachen wurde im Bundestag in einigen der geschützten Regional- und Minderheitensprachen debattiert, auch von der FDP-Politikerin Gyde Jensen. Ihre Sprache Plattdeutsch bezeichnet sie als einen Teil ihrer Identität.

    Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen

    Die sogenannte Sprachencharta ist ein multilaterales Abkommen zum Schutz und zur Förderung der Regional- und Minderheitensprachen in Europa. Sie wurde am 24. Juni 1992 beschlossen, trat am 01. März 1998 in Kraft und gilt in 25 Ländern. In Deutschland werden im Rahmen der Konvention seit Januar 1999 die Sprachen der anerkannten Minderheiten Dänisch, Ober- und Niedersorbisch, Nord- und Saterfriesisch, das Romanes der deutschen Sinti und Roma sowie die Regionalsprache Niederdeutsch (Platt) geschützt und gefördert.
    Der Gedanke der Charta ist, dass Minderheitensprachen nur dann überleben, wenn sie nicht nur zu Hause gesprochen werden. Deswegen sind alle beteiligten Länder dazu angehalten, den Gebrauch der jeweiligen Sprachen überall im öffentlichen Leben zu fördern - beispielsweise durch Unterricht in den Sprachen an Schulen und durch spezielle Medienangebote. Ein Gremium des Europarats überprüft regelmäßig, ob diese Vorgabe auch eingehalten wird.
    Das Charta-Gremium setzt sich aber nicht nur für die Förderung bereits anerkannter Minderheitensprachen ein, sondern gibt auch Empfehlungen für die Anerkennung weiterer Sprachen, beispielsweise Kroatisch in Slowenien.

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    Welche Minderheitensprachen in Deutschland werden wo und von wem gesprochen?

    Wie sagt man: Wie geht es Dir?
    Platt: Moin! Wo geiht di dat?
    Niederdeutsch - umgangssprachlich auch Platt oder Plattdeutsch - gilt als Regionalsprache, weil die Platt-Sprechenden keine nationale Minderheit bilden. Gesprochen wird Platt in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie in den nördlichen Teilen von Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. Laut einer repräsentativen Erhebung aus dem Jahr 2016 beherrschen fast 16 Prozent der Menschen in diesem Sprachgebiet aktiv Plattdeutsch. Rund 77 Prozent verstünden die Sprache, ohne, dass sie sie sprechen könnten. Niederdeutsch hat sich aus dem Altsächsischen entwickelt und zählt wie das Friesische und das Englische zu den nordseegermanischen Sprachen.
    Dänisch: Hej! Hvordan går det med dig?
    Rund 50.000 Angehörige der dänischen Minderheit mit deutscher Staatsangehörigkeit leben in Schleswig-Holstein, vor allem in der Grenzstadt Flensburg, den Kreisen Nordfriesland und Schleswig-Flensburg sowie im nördlichen Teil des Kreises Rendsburg-Eckernförde. Sie selbst bezeichnen das Gebiet als Südschleswig. Neben der dänischen Minderheit leben noch etwa 6.000 dänische Staatsbürger in Schleswig-Holstein, sogenannte Reichsdänen. Beim Entstehen der Nationalstaaten Deutschland und Dänemark war lange umstritten, zu welchem das einstige Herzogtum Schleswig gehören sollte. Im Zuge von Volksabstimmungen nach dem ersten Weltkrieg entschieden sich die Bewohner Südschleswigs für Deutschland, die Menschen in Nordschleswig für Dänemark. Heute ist die dänische Minderheit ein fester Bestandteil der Bevölkerung Schleswig-Holsteins und mit einer eigenen Partei, dem Südschleswigschen Wählerverband, seit vielen Jahren im Schleswig-Holsteinischen Landtag vertreten.
    Sorbisch: Witaj! Kak so ći wjedźe?
    Das Volk der Sorben lebt traditionell in der Oberlausitz (Freistaat Sachsen) und der Niederlausitz (Land Brandenburg). Das Sorbische bildet ihr wesentliches Merkmal, wobei die Sprache noch mal in Ober- und Niedersorbisch unterschieden wird. Während das Obersorbische/Wendisch dem Tschechischen und Slowakischen näher steht, ist das Niedersorbische/Wendische dem Polnischen ähnlicher. Letzteres ist vom Aussterben bedroht. Die Sorben entstammen ursprünglich slawischen Stämmen aus dem Gebiet nordöstlich der Karpaten und kamen vor rund 1.500 Jahren in das Gebiet zwischen Ostsee und Erzgebirge. Unter den Nationalsozialisten waren ihre Sprache und ihre Organisationen verboten.

    Siedlungsgebiete der nationalen Minderheiten in Deutschland

    Die Karte zeigt Deutschland und markiert an verschiedenen Stellen die nationalen Minderheiten in Deutschland: die Sorben und Wenden in Brandenburg, die Dänen und Nordfriesen in Schleswig-Holstein, die Ostfriesen und Saterfriesen in Niedersachsen.
    Im Gegensatz zu anderen Minderheiten, leben die deutschen Sinti und Roma überall im Bundesgebiet (Deutschlandradio auf Grundlage von Daten des BMI)
    Saterfriesisch: Gouden Dai. Wo gungt et die?
    Die Friesen, eine Volksgruppe, leben an der schleswig-holsteinischen Westküste im Nordwesten Schleswig-Holsteins (Nordfriesland) und im nordwestlichen Niedersachsen (insbesondere Ostfriesland) sowie im Landkreis Cloppenburg. Je nach Region heißen sie Nord-, Ost- oder Saterfriesen. Saterfriesen, es sind etwa 2.000, sprechen dabei ihre eigene Version des Friesischen, das Saterfriesisch. Mit zu der Volksgruppe zählen auch die niederländischen Westfriesen, die in den Niederlanden als nationale Minderheit anerkannt sind. Die Geschichte der Friesen geht zurück bis in die Zeit der Antike. Ihre „Friesische Freiheit“ war mit ersten demokratischen Ansätzen schon im Mittelalter ein Gegenmodell zur weit verbreiteten Adelsherrschaft.
    Romanes: Del tuha! Sar tuke dschal?
    Romanes ist die Sprache der Sinti und Roma. Es ist eine eigenständige Sprache mit Ursprüngen im altindischen Sanskrit und circa 2.000 Jahre alt. Romanes gehört zu den indoeuropäischen Sprachen. Die deutschen Sinti und Roma sprechen neben Deutsch untereinander auch Romanes und verwenden es als zweite Muttersprache. Auch ihre Kinder lernen in der Regel gleich beide Sprachen. Während die deutschen Sinti seit dem 14. Jahrhundert in Deutschland ansässig sind, leben die deutschen Roma seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum. Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden sie verfolgt und waren der systematischen Vernichtung ausgesetzt. Bis heute sind Roma und Sinti Anfeindungen und Diskriminierung ausgesetzt - das hat Auswirkungen auf den Gebrauch ihrer Sprache, die sie deswegen ausschließlich untereinander gebrauchen.
    Das Mahnmal zeigt ein Wasserbecken im Tiergarten. Im Hintergrund ist der Bundestag zu sehen.
    Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas (Bildagentur-online / Universal Ima / Bildagentur-online)

    Wie steht es um die Förderung von Minderheitensprachen in Deutschland?

    Die Experten des Europarats sahen für Deutschland zuletzt noch Luft nach oben - etwa bei der Zahl von ausgebildeten Lehrkräften, die in Minderheitensprachen unterrichten. So müssten sofortige Maßnahmen ergriffen werden, um eine ausreichende Anzahl von ausgebildeten Lehrern für den Unterricht in den Regional- oder Minderheitensprachen sicherzustellen, forderte das Gremium 2022.
    Manche Sprachen sind dabei mehr in Gebrauch als andere, was deren Erhalt naturgemäß auch einfacher macht. So sprechen rund 2,5 Millionen Menschen in Norddeutschland Plattdeutsch, es gibt Schulen, die in Plattdeutsch unterrichten. FDP-Politikerin Gyde Jensen spricht fließend Platt. In ihrem Wahlkreis Nordfriesland würden auch relativ viele junge Menschen die Sprache sprechen und zwar nicht, weil sie das müssten, sondern "weil sie Plattdeutsch aufgewachsen sind", so Jensen im Dlf. Wichtig wäre die Alltäglichkeit. Sie hofft, dass man erkenne, welchen Zugewinn der Gebrauch von Minderheitensprachen bringe. Je früher Kinder Sprachen lernten, desto weltgewandter schauten sie am Ende auch über den Tellerrand.
    Jensen hat gemeinsam mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Johann Saathoff aus Ostfriesland den Parlamentskreis Plattdeutsch gegründet. Rund 15 Abgeordnete treffen sich seit der neuen Legislaturperiode fraktions- und regionsübergreifend regelmäßig, um Plattdeutsch zu sprechen und so die Sprache zu fördern.
    Saathoff hatte am 2. März 2018 mit einer größtenteils in Plattdeutsch gehaltenen Rede im Bundestag Aufsehen erregt: Nachdem die AfD gefordert hatte, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern, antwortete der SPD-Politiker in seiner, nach eigenen Aussagen, Muttersprache.

    Welche Bedeutung haben Minderheitensprachen für die Identität?

    Für den fraktionslosen Bundestagsabeordneten Stefan Seidler vom "Südschleswigschen Wählerverband", der die Interessen von Dänen und Friesen in Schlewsig-Holstein vertritt, ist seine Sprache Heimatgefühl. Dass Lehrer jungen Menschen sagten, dass ihre Sprache "tumpig", also ein bisschen doof klinge, sei "keine gute Sache". "Wir möchten, dass wir unsere Eigenart, unsere Originalität und auch damit unsere Heimat leben können und diese Sprache gehört zu unserer Heimat dazu", so Seidler in Deutschlandradio Kultur.
    So sieht das auch Frauke Meeder, Lehrerin an der Lütt Dörp School in Schwabstedt in Nordfriesland. Dort findet auch Unterricht auf Plattdeutsch statt. "Wir wollen diese Sprache erhalten und wollen sie auch präsentieren", sagt sie. In den Schulen könne man das den Kindern prima mitgeben. So lernten sie, diese Sprache zu nutzen und würden auch wirklich damit aufwachsen. "Es ist nun mal unsere Kultur, es ist unsere Geschichte. Die gehört zu uns, wie die Butter aufs Brot".
    (Quellen: Dlf, Europarat, Bundesregierung, Bundesinnenministerium, sachsen.de, dpa, nsh)
    Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Textes haben wir die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen als „EU-Konvention“ bezeichnet. Sie ist aber ein multilaterales Abkommen des Europarates.