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Regisseur Hark Bohm wird 80
"Ich bin ein sehr familienabhängiger Mensch"

"Der deutsche Film hat ihm viel zu danken", so die Deutsche Filmakademie, als Hark Bohm 2018 die Lola für sein Lebenswerk bekam. Seit den 70er Jahren prägt er das deutsche Kino und arbeitet heute gern mit Fatih Akin. "Die Form ist das, was aus einem Thema ein Kunstwerk macht", sagte Bohm im Dlf.

Hark Bohm im Corsogespräch mit Ulrich Biermann |
Regisseur Hark Bohm steht steht am Strand der Elbe
"Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klauen und einfach abzuhauen." - diese Zeile schrieb Hark Bohm für seinen Film "Nordsee ist Mordsee" (dpa / Ulrich Perry)
Ulrich Biermann: Darf man Sie auf "Nordsee ist Mordsee" ansprechen?
Hark Bohm: Ja, Sie dürfen mich auf alles ansprechen, ich muss ja nicht antworten.
Biermann: "Nordsee ist Mordsee" gilt als Klassiker des deutschen Jugendfilms. Und da fängt es schon an, was soll diese Kategorie?
Bohm: Jugendfilm ist so eine Kategorie, die ich für mich nie akzeptieren konnte ... was heißt akzeptieren? Es gibt einen Film von Ken Loach, der heißt "Kes", das ist die Geschichte von einem Jungen und einem Turmfalken. Kein Mensch käme auf die Idee zu sagen: "Das ist ein Jugendfilm." Und wenn ich an so'n Dings denke, wie die "Vier Fragezeichen" oder alles mögliche, dann erkenne ich, dass das Jugend- oder Kinderfilme sind. Aber ich habe keinen Film machen wollen, der sich spezifisch mit Konflikten, mit Problemen beschäftigt, die in der Jugend auftauchen, weil dieser Konflikt zu Beginn - der zwischen zwei Leuten, die aus unterschiedlichen Kulturen kommen und denen man das auch gleich ansieht, dass sie hier nicht hingehören - ist ein Konflikt, der durchzieht die Generationen.
Family Man
Biermann: Aber interessanterweise haben Sie eine zeitlang Jugendlichen-Themen sehr interessiert. Wenn ich denke an "Tschetan", "Nordsee ist Mordsee", "Moritz lieber Moritz", "Yasemin" bis hin zu "Tschick", was Sie mit Fatih Akin zusammen geschrieben haben.
Bohm: Das hat etwas damit zu tun, dass ich ein Family Man, ein sehr familienabhängiger Mensch bin. Denn in allen diesen Filmen, die Sie genannt haben, spielen meine Kinder, und es sind auch, wenn Sie so wollen, immer Filme, auf die ich durch meine Kinder gekommen bin. Aber die Attitüde, die Haltung des Machers war nie, dass ich Kinder unterhalten wollte. Die "Moritz lieber Moritz"-Geschichte hat sehr starke autobiografische Elemente und ist eigentlich das Pendant zu "Nordsee ist Mordsee". Sie müssen sich vorstellen: Die Elbe, auf der Südseite der Elbe, ist Wilhelmsburg, das war damals ein Arbeiterviertel, und auf der Nordseite der Elbe sind die Elbvororte, und das ist so eine bürgerliche Siedlungsfläche. Und diese beiden Geschichten sind Pendants.
Biermann: Als ich vor zwei Jahren "Tschick" sah - ich wusste nicht, dass Sie das Drehbuch mitgeschrieben hatten - und Uwe Bohm als hilflos brutalen Vater dann sah, dann war das für mich wie ein Kreisschluss im Kino-Kosmos. "Guck' mal, da wird der geprügelte Junge aus 'Nordsee ist Mordsee' zum prügelnden Vater!"
Bohm: Da haben wir nicht dran gedacht, aber es stimmt.
Wir haben noch länger mit Hark Bohm gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Biermann: Sie haben in einem Interview gesagt, dass der authentische Film Ihnen wichtig sei. Und authentischer Film ist für mich ein Konflikt, weil Kino ist Fiktion und nicht die Realität.
Bohm: Schauen Sie, in dem Moment, in dem sie über ein Kunstwerk sprechen, ist immer eine Brechung da. Sie haben ja etwas, was sie in der Wirklichkeit beobachten, erleben oder was sie sich ausdenken. Das müssen sie ja in eine Form bringen - das ist ja ... die Form ist ja das, was aus einem Thema ein Kunstwerk macht, es ist die Form. Und in dem Moment, in dem sie etwas in Form bringen, haben sie es natürlich verwandelt. Schauen Sie, wenn ich mit Fatih arbeite und wir "Aus dem Nichts" geschrieben haben, dann ist der Charakter, der uns interessiert - das ist der Charakter gespielt von Diane Krüger - dessen psychische Entwicklung versuchen wir schon authentisch zu fassen. Das heißt ja "wirklichkeitsentsprechend" - aber in die Form der Kunst gebracht.
Trio Infernal
Biermann: Sie haben gerade ihre Zusammenarbeit mit Fatih Akin für "Aus dem Nichts" erwähnt. Hat Ihnen da eigentlich das Studium der Rechtswissenschaften geholfen, diesen Film zu schreiben? Der Film lehnt sich ja an die NSU-Morde an, an das Nagelbombenattentat in Köln unter anderem. Und für mich sind die Gerichtssäle in diesem Film die eindrücklichsten und bestgeschriebenen.
Bohm: Das ist ein gutes Beispiel dafür. Natürlich bin ich von uns dreien, wir sind ja so ein Trio infernal, das ist Fatih, sozusagen unser Kapitän und dann Herman Weigel, der war früher, wie sagt man, der Holbein, der Consigliere hinter Bernd Eichinger, und der gehört jetzt zu unserer Gruppe. Wir drei, wir sind - wenn sie so wollen - beim Schreiben eine Einheit; und das Wissen um Prozesse, das kommt von mir. Aber die Form, auf der ich immer so bestehe, die ist von uns dreien geschaffen worden.
Biermann: Können Sie mir den Gefallen tun und einen Satz vervollständigen, den ich jetzt mal vorgebe - so weit Sie können? "Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klauen und ..."
Bohm: Einfach abzuhauen.
Biermann: Wie geht es weiter?
Bohm: "Es muss doch irgendwo 'ne Gegend geben für so'n richtig verschärftes Leben." Nee, warte mal, das geht anders. "Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klauen und einfach abzuhauen. Mit den Alten haut das doch nicht mehr hin." Ich krieg den nicht mehr. "Es muss doch irgendwo ..."
Begeisterung für Udo Lindenbergs Texte
Biermann: Das ist jetzt über 40 Jahre her. "Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klauen und einfach abzuhauen. Ich weiß noch nicht wohin. Hauptsache, dass ich nicht mehr zu Hause bin. Mit den Alten haut das nicht mehr hin." Ein Song, den Sie gemeinsam mit Udo Lindenberg geschrieben haben. Der läuft dann auch im Abspann von "Nordsee ist Mordsee", das war die Musik, die Jugendliche damals gehört haben. 1976, da wurde Lindenberg ... na, da war er schon ein Star, 76. Ihr Film eröffnet mit einem Song von ihm. War das Kalkül oder war das einfach eine Notwendigkeit, weil Lindenberg das Gefühl von Jugendlichen widerspiegelte?
Bohm: Nein, das war ... es entsprach so meiner Haltung. Ich weiß noch, wie ich das entdeckt habe, wir lebten ja in München und da war plötzlich einer, der machte Rock'n'Roll, aber er machte es auch auf eine neue Weise, wie ursprünglich mal die Stones aus dem "Like a Rollin' Stone" ihr Profil entwickelt haben, und so wie die Beatles auch aus dem Rock'n'Roll ihr Profil entwickelt haben, so war plötzlich da ein Deutscher. Und er machte deutsche Texte, und diese deutschen Texte waren so auf den Punkt.
Ich war wirklich weg und ich wusste ja, wo Udo wohnte, am Mittelweg in Hamburg. Und da bin ich hin, ich habe ihm erzählt, was ich vorhabe, und dann hat er gesagt: "Ja, machen wir dann." So, und Kretschmann, das war damals der Lead-Gitarrist bei Udo, der hat dann auch Musik gemacht für den Film, und ich finde, die passt so, die liegt so drauf. Ich weiß, Udo hat eine neue CD jetzt, die eröffnet er mit "Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klauen". Aber diese Fassung, die da das Ende des Films "Nordsee ist Mordsee" begleitet, die ist für mich natürlich so viel schöner. Und jetzt fällt mir wieder das Wort ein: so viel authentischer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.