Michael Köhler: Werner Herzog, Wim Wenders, Doris Dörrie, Christian Petzold sind – alles große Namen, die aber auch nicht so ganz vom Himmel gefallen sind. Sie hatten Vorkämpfer und Mitstreiter, die vor einem halben Jahrhundert aufbrachen, den deutschen Film erst einmal zu entrümpeln und den Autorenfilm zu begründen. Das junge Deutschland des Kunstfilms fand sich 1962 im Ruhrgebiet zum Oberhausener Manifest zusammen. Die Westdeutschen Kurzfilmtage wurden abgehalten und einige fortschrittliche Filmemacher sagten, "Opas Kino ist tot, der alte Film ist tot, wir glauben an den neuen". So war das Anfang der 60er.
Zu den Unterzeichnern zählten Alexander Kluge, Peter Schamoni und Edgar Reitz, der Regisseur der berühmten "Heimat-Trilogie". Edgar Reitz habe ich gefragt: Erinnern Sie sich noch, waren sie damals, 1962 beim "Oberhausener Manifest", junge Wilde oder Avantgardisten?
Edgar Reitz: Ja, wir waren junge Filmemacher, die bis dahin Kurzfilme gemacht hatten, und es gab einige unter uns, die organisierten so eine Art Jour fixe. Man traf sich in verschiedenen Cafés oder auch in einem Chinarestaurant und unterhielt sich bei dieser Gelegenheit immer wieder über die eigenen Arbeitsbedingungen und wie man seine Filme macht und was man so für Pläne für die Zukunft hat. Und bei dieser Gelegenheit sprach man natürlich sehr viel auch über den Spielfilm und die damals herrschende sogenannte deutsche Filmindustrie, die ja mit nichts in der Welt vergleichbar war, in Bezug auch auf Provinzialität und thematische Armut. Wir hatten alle mit unseren Filmen auch vorher schon internationale Festivals besucht, auch teilweise Preise gewonnen mit unseren Filmen, und man hat sich auch immer wieder im Grunde schämen müssen als Deutscher mit seinen Filmen im internationalen Vergleich, denn das, was im eigenen Lande produziert wurde, war nicht satisfaktionsfähig in der internationalen Filmkunstdiskussion.
Köhler: Herr Reitz, sie wussten, wogegen Sie waren, gegen Opas Kino, oder gegen den alten Film. Wussten sie auch schon, wofür sie waren?
Reitz: Sehr konkret war das nicht. Wir wollten alle Spielfilme drehen. Wir wollten sozusagen aus den Erfahrungen, die wir als Kurzfilmleute gemacht hatten, in das größere Metier hinüberwechseln. Es gab einige unter uns, die hatten auch schon Drehbücher in der Tasche, ich selbst gehörte auch zu denen, die schon ein heimliches Traumdrehbuch in der Tasche hatten.
Köhler: Welches war das?
Reitz: Das war, was ich dann später als meinen ersten Film machte: "Mahlzeiten". Es war eine Beziehungskiste, würde man heute sagen, eine Liebesgeschichte.
Köhler: Damals wurden Freiheiten von Branchenkonventionen gefordert. Gilt solch eine Forderung heute, 50 Jahre nach Gründung des Oberhausener Manifests – Sie waren beim Festakt, der in München stattgefunden hat, weil viele von ihnen aus München kamen -, gilt diese Forderung heute noch gleichermaßen, oder sind das heute andere?
Reitz: Die Forderung als solche ist meines Erachtens noch aktueller, als sie möglicherweise damals gewesen ist. Aber die Frage ist: Wer fordert? Wenn ich mir die Produktionsbedingungen von heute ansehe, wenn ich zum Beispiel auch die Rolle der Fernsehanstalten, der Redaktionen, der Förderungsgremien und so weiter anschaue, dann finde ich, da ist schon ein großes Thema über die Frage der Konventionen, der Zwänge, in die die Autoren und Regisseure geraten. Und das Ergebnis, was wir in den Kinos sehen, spricht ja unglaubliche Bände darüber, über die Produktionsbedingungen in Deutschland. Da wäre ganz viel erforderlich. Und die Ideale, die man in Oberhausen formuliert hat, nämlich diese Freiheiten, die Freiheit von solchen Konventionen, die Freiheit von Bevormundung durch Interessengruppen und Geldgeber, das ist nach wie vor aktuell.
Köhler: Herr Reitz, versuchen wir es, in der Schlusskurve konkret zu machen. Ich weiß nicht, ob Sie noch lehren, aber aus den jungen Löwen von damals sind Professoren für Film an Hochschulen geworden. Herr Kluge und Sie sind zwei der ganz prominenten Beispiele für ausgezeichnete, weltweit renommierte Kunstfilme. Sie arbeiten an der Fortsetzung Ihrer großen "Heimat-Trilogie", an einer anderen Heimat. Kommen wir auf diese Konventionen zu sprechen, die Sie gerade genannt haben. Fällt Ihnen das leicht, oder gibt es da Knüppel, die Ihnen zwischen die Beine geworfen werden?
Reitz: In diesem Falle fühle ich mich sehr glücklich und frei. Das empfinde ich auch als großes Privileg. Bei dem Film, den ich gerade mache, bin ich in der glücklichen Lage, ein Drehbuch, an dem ich seit fünf Jahren gearbeitet habe, so umsetzen zu können, wie ich das wollte. Das ist eine Traumsituation, so übrigens, wie ich es fast in diesem langen Filmemacherleben noch nie erlebt habe.
Köhler: Ein Allerletztes, Herr Reitz: Ab wann dürfen wir uns auf "Die andere Heimat" freuen?
Reitz: Die Dreharbeiten beginnen im April und wir werden Ende des Jahres mit dem Film fertig sein. Wir hoffen, im nächsten Frühjahr damit an die Öffentlichkeit zu gehen.
Köhler: Dann kommt "Die andere Heimat" von Edgar Reitz, der sich an 1962, das Jahr des "Oberhausener Manifests", erinnerte, eine Gründungsstunde des deutschen Kunstfilms.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Zu den Unterzeichnern zählten Alexander Kluge, Peter Schamoni und Edgar Reitz, der Regisseur der berühmten "Heimat-Trilogie". Edgar Reitz habe ich gefragt: Erinnern Sie sich noch, waren sie damals, 1962 beim "Oberhausener Manifest", junge Wilde oder Avantgardisten?
Edgar Reitz: Ja, wir waren junge Filmemacher, die bis dahin Kurzfilme gemacht hatten, und es gab einige unter uns, die organisierten so eine Art Jour fixe. Man traf sich in verschiedenen Cafés oder auch in einem Chinarestaurant und unterhielt sich bei dieser Gelegenheit immer wieder über die eigenen Arbeitsbedingungen und wie man seine Filme macht und was man so für Pläne für die Zukunft hat. Und bei dieser Gelegenheit sprach man natürlich sehr viel auch über den Spielfilm und die damals herrschende sogenannte deutsche Filmindustrie, die ja mit nichts in der Welt vergleichbar war, in Bezug auch auf Provinzialität und thematische Armut. Wir hatten alle mit unseren Filmen auch vorher schon internationale Festivals besucht, auch teilweise Preise gewonnen mit unseren Filmen, und man hat sich auch immer wieder im Grunde schämen müssen als Deutscher mit seinen Filmen im internationalen Vergleich, denn das, was im eigenen Lande produziert wurde, war nicht satisfaktionsfähig in der internationalen Filmkunstdiskussion.
Köhler: Herr Reitz, sie wussten, wogegen Sie waren, gegen Opas Kino, oder gegen den alten Film. Wussten sie auch schon, wofür sie waren?
Reitz: Sehr konkret war das nicht. Wir wollten alle Spielfilme drehen. Wir wollten sozusagen aus den Erfahrungen, die wir als Kurzfilmleute gemacht hatten, in das größere Metier hinüberwechseln. Es gab einige unter uns, die hatten auch schon Drehbücher in der Tasche, ich selbst gehörte auch zu denen, die schon ein heimliches Traumdrehbuch in der Tasche hatten.
Köhler: Welches war das?
Reitz: Das war, was ich dann später als meinen ersten Film machte: "Mahlzeiten". Es war eine Beziehungskiste, würde man heute sagen, eine Liebesgeschichte.
Köhler: Damals wurden Freiheiten von Branchenkonventionen gefordert. Gilt solch eine Forderung heute, 50 Jahre nach Gründung des Oberhausener Manifests – Sie waren beim Festakt, der in München stattgefunden hat, weil viele von ihnen aus München kamen -, gilt diese Forderung heute noch gleichermaßen, oder sind das heute andere?
Reitz: Die Forderung als solche ist meines Erachtens noch aktueller, als sie möglicherweise damals gewesen ist. Aber die Frage ist: Wer fordert? Wenn ich mir die Produktionsbedingungen von heute ansehe, wenn ich zum Beispiel auch die Rolle der Fernsehanstalten, der Redaktionen, der Förderungsgremien und so weiter anschaue, dann finde ich, da ist schon ein großes Thema über die Frage der Konventionen, der Zwänge, in die die Autoren und Regisseure geraten. Und das Ergebnis, was wir in den Kinos sehen, spricht ja unglaubliche Bände darüber, über die Produktionsbedingungen in Deutschland. Da wäre ganz viel erforderlich. Und die Ideale, die man in Oberhausen formuliert hat, nämlich diese Freiheiten, die Freiheit von solchen Konventionen, die Freiheit von Bevormundung durch Interessengruppen und Geldgeber, das ist nach wie vor aktuell.
Köhler: Herr Reitz, versuchen wir es, in der Schlusskurve konkret zu machen. Ich weiß nicht, ob Sie noch lehren, aber aus den jungen Löwen von damals sind Professoren für Film an Hochschulen geworden. Herr Kluge und Sie sind zwei der ganz prominenten Beispiele für ausgezeichnete, weltweit renommierte Kunstfilme. Sie arbeiten an der Fortsetzung Ihrer großen "Heimat-Trilogie", an einer anderen Heimat. Kommen wir auf diese Konventionen zu sprechen, die Sie gerade genannt haben. Fällt Ihnen das leicht, oder gibt es da Knüppel, die Ihnen zwischen die Beine geworfen werden?
Reitz: In diesem Falle fühle ich mich sehr glücklich und frei. Das empfinde ich auch als großes Privileg. Bei dem Film, den ich gerade mache, bin ich in der glücklichen Lage, ein Drehbuch, an dem ich seit fünf Jahren gearbeitet habe, so umsetzen zu können, wie ich das wollte. Das ist eine Traumsituation, so übrigens, wie ich es fast in diesem langen Filmemacherleben noch nie erlebt habe.
Köhler: Ein Allerletztes, Herr Reitz: Ab wann dürfen wir uns auf "Die andere Heimat" freuen?
Reitz: Die Dreharbeiten beginnen im April und wir werden Ende des Jahres mit dem Film fertig sein. Wir hoffen, im nächsten Frühjahr damit an die Öffentlichkeit zu gehen.
Köhler: Dann kommt "Die andere Heimat" von Edgar Reitz, der sich an 1962, das Jahr des "Oberhausener Manifests", erinnerte, eine Gründungsstunde des deutschen Kunstfilms.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.