Nachdem der scheidende US-Präsident Donald Trump von allen großen sozialen Netzwerken gesperrt wurde, fordert der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen im Deutschlandfunk einen neuen Umgang mit der Gefahr der Desinformation auf den Plattformen.
Pörksen sagte, Monopolisten wie Twitter und Facebook müssten sich ausbuchstabierte Richtlinien geben, die der öffentlichen Diskussion zugänglich seien. Der Sturm auf das Kapitol von Trump-Anhängern, der durch dessen Äußerungen auf Twitter befeuert wurde, habe einen Weckruf- und einen Zäsur-Charakter. Die "utopische Phase", in der die Netzwerke als Demokratisierungsmaschine gedient hätten, sei zu Ende, meinte Pörksen.
Nun rängen Gesellschaft und Politik um die richtigen Regulierungsmodelle, die Desinformation und Hassrede verhindern könnten, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken. Es müsse eine Alternative dazu gefunden werden, dass "Unternehmensbesitzer am Nordrand des Silicon Valley" Informationsströme für Milliarden Menschen beeinflussen könnten. Dennoch sei die Sperrung von Trumps Twitter-Konto im Moment konkreter Gefahr richtig gewesen und in Anbetracht früherer Drohungen auch überfällig.
Twitter hatte den persönlichen Account Trumps nach der Erstürmung des Kapitols durch seine Anhänger erst vorübergehend blockiert und dann abgeschaltet. Der Kurznachrichtendienst begründete den Schritt mit dem Risiko weiterer Anstiftung zur Gewalt.
Das Interview im Wortlaut:
Barenberg: Herr Pörksen, keine Hetze, keine Aufrufe zu Gewalt, sonst wird das Konto gesperrt. Es ist eine recht einfache, eine schlichte Regel bei Twitter und Co. Ist eines jedenfalls klar: Twitter hat das Recht, das Konto von Donald Trump zu sperren?
Pörksen: Ja, unbedingt! Absolut! Es gibt ja auch kein Grundrecht darauf, nun Abscheulichkeiten in die Welt zu pusten, und Twitter hat hier die eigenen Richtlinien umgesetzt. Trotzdem muss man sagen, die Süddeutsche Zeitung hat das in der Gestalt kommentiert, diese Entscheidung war gleichzeitig richtig, lange überfällig und hoch problematisch.
Richtig war sie aus meiner Sicht, weil es den Moment einer konkreten Gefahr gab. Nach dem Sturm auf das Kapitol konnte jeder sehen, hier braut sich etwas zusammen, hier wird Gewalt propagiert. Lange überfällig war sie, weil man ja in der Vergangenheit sehr viel schärfere Dinge von Donald Trump, Gewaltaufrufe, Drohungen mit der Größe der atomaren Sprengköpfe, in Schutz nahme von Neonazis und Ähnliches mehr durchgelassen hat, stehen gelassen hat.
Und hoch problematisch ist diese Entscheidung für die Gegenwart und die Zukunft, denn die Frage ist ja, wer entscheidet mit welchem Recht, können das einige Unternehmensbesitzer am Nordrand des Silicon Valley sein, die mit ihren eigenen speziellen Einfällen, ihrer eigenen speziellen Weltsicht nun die Kommunikationsströme für Milliarden von Menschen regulieren? Hier muss ein anderer Prozess ansetzen und einsetzen aus meiner Sicht.
"Gesellschaften lernen gerade, die Katastrophe der Desinformation einzuschätzen"
Barenberg: Jetzt haben Sie auch gesagt, es ist nicht nur richtig, sondern auch problematisch. Problematisch ist ja auch die Vokabel aus dem Mund der Bundeskanzlerin, die auf die Meinungsfreiheit verweist und wie wichtig das in unserer liberalen Demokratie ist. Muss man aber nicht auch sagen, das Recht auf freie Meinungsäußerung ist Donald Trump ja in keiner Weise beschnitten worden?
Pörksen: Na gut! Ich meine, man muss darüber streiten, handelt es sich um eine Meinungsäußerung, handelt es sich um eine Positionsnahme. Aber Sie sehen an der jetzigen Situation: Ich persönlich bin der Auffassung, wir lernen gerade, Gesellschaften lernen gerade, die Katastrophe der Desinformation tatsächlich einzuschätzen.
Wir haben ja gesehen und viele Netzwerke haben ja nachgezogen, auch die jeweilige Belegschaft bei Twitter und Facebook hat protestiert, wie gefährlich es sein kann, gewissermaßen Desinformation, Hassrede, Hetze ungehindert wirken zu lassen, und es ist jetzt aus meiner Sicht gewissermaßen die utopische Phase, das Netz als die große Demokratisierungsmaschine zu Ende gegangen. Diese utopische Phase hat so etwas wie eine Wildwest-Stimmung befördert nach dem Motto, jeder kann und soll alles tun, move, fast and break things nach dem Motto, bewege dich schnell und zerbreche auch manches.
Das war so ein Motto von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Diese Phase geht jetzt zu Ende und wir ringen jetzt als Gesellschaft um die richtigen Regulierungsmodelle, denn das ist ja die eigentliche Leitfrage: Wie kann Plattform-Regulierung gelingen, die Desinformation und Hassrede effektiv bekämpft - das ist unbedingt geboten -, aber wie kann man gleichzeitig doch vermeiden, die Kommunikations- und Meinungsfreiheit unnötig einzuschränken oder willkürlich einzuschränken, und wie kann man den Prozess der Entscheidung über diese Einschränkung, über Löschung selbst in ein Lehrstück verwandeln, das die Medienmündigkeit in der Breite der Gesellschaft stärkt. Das scheint mir die entscheidende Aufgabe.
"Wir brauchen aus meiner Sicht so eine Art Plattform-Rat"
Barenberg: Wenn jetzt Alexej Nawalny sagt, das ist ein Akt der Zensur, und unter anderem darauf verweist, dass die Selbstheilung ja auch im Fall von Donald Trump funktioniert, weil er schließlich abgewählt wurde, auch nach Jahren der Falschinformation, der Desinformation über seinen Twitter-Account, wenn er darauf verweist, dass es andere nutzen würden, um andere mundtot zu machen, wie gewichtig ist dieser Einwand?
Pörksen: Ich halte ihn für absolut nicht gewichtig. Das ist aus meiner Sicht absurd! Herr Nawalny tut hier so, als könne er gleichsam in die Zukunft blicken. Das ist eine völlig reale Einschätzung, dass hier eine konkrete Gefahr droht und dass Donald Trump mit der Möglichkeit eines Staatsstreichs oder eines Gewaltausbruchs im Moment der Inauguration spielt und versucht hat, diesen zu befeuern.
Herr Nawalny kann vermutlich auch nicht bei allem Respekt in die Zukunft schauen und sagen, was wäre wenn, wenn man nun jemand mit 88 Millionen Twitter-Followern weiter hätte in dieser Weise Politik machen lassen und zur Aufstachelung anleiten lassen. Aber Nawalny macht ja einen, aus meiner Sicht sehr interessanten Vorschlag. Er fordert nämlich die Einrichtung eines Gremiums, das die Entscheidung über die Sperrung von Accounts möglichst transparent trifft, und das ist aus meiner Sicht der richtige Weg.
Wir brauchen aus meiner Sicht so eine Art Plattformrat. Plattform-Monopolisten müssen sich ganz detaillierte ausbuchstabierte Richtlinien geben und die müssen aber der öffentlichen Diskussion zugänglich sein und es braucht gewissermaßen Gremien, Plattformräte, neue Machtinstanzen und Institutionen, die die Plattformen auch zwingen, ihre Richtlinien, die sie ja weitgehend willkürlich anwenden und oft sehr willkürlich anwenden, diese dann wirklich der öffentlichen Diskussion zugänglich zu machen.
Sehen Sie, das Problem der Desinformation, der Hassrede ist ja lange bekannt. Man greift jetzt in dieser Massivität ein, aber eben nicht in Indonesien oder nicht in Indien. Sehen Sie, das Problem der Falschnachrichten ist lange bekannt, aber man greift jetzt ein in Zeiten einer Pandemie, die gleichzeitig eine Infodemie geworden ist, nur weil vielleicht womöglich auch die eigene Belegschaft in Mountain View mit betroffen ist. Hier spielen offensichtlich auch räumliche Nähe und Egomotive und willkürliche Entscheidungen eine Rolle und die müssen in den demokratischen Prozess, in die demokratische Debatte eingespeist werden, und da könnte ein solcher Plattformrat aus meiner Sicht eine Hilfe sein.
"Plattformen sind längst supermächtige Institutionen"
Barenberg: Warum erleben wir dann – das hat ja vielleicht auch mit den Veränderungen der letzten Jahre zu tun -, dass man den Eindruck gewinnt, Staat und Justiz müssten eigentlich diese Spielregeln festlegen, sie müssten aktiv werden, aber eigentlich – das zeigt ein bisschen auch die Bemerkung der Bundeskanzlerin, finde ich – schaut der Staat im Moment von der Seitenlinie zu, kommentiert, aber handelt nicht. Warum ist das so schwierig?
Pörksen: Das ist ungeheuer schwer, weil wir natürlich mit den Plattformen im Grunde genommen das große Kraftzentrum haben, und auch die jetzige Debatte und diese Kommentare von der Seitenlinie, wie Sie es formuliert haben, sind genau dafür ein Indiz, dass nämlich Plattformen längst supermächtige Institutionen sind und dass den staatlichen Institutionen die Kontrolle ein Stück weit entglitten ist.
Wir sehen ja genau, dass man aktuell, und zwar weltweit versucht, diese Kontrolle zurückzugewinnen. Die EU-Kommission will neue Regeln für das Netz schaffen, die werden heute im Digital Service Act genauer vorgestellt. In den USA gibt es jede Menge Klagen von einzelnen Bundesstaaten gegen Google. Man wirft ihnen Wettbewerbsverzerrung, fehlenden Verbraucherschutz vor. Großbritannien verschärft die Regeln oder das Vorgehen gegen illegale Inhalte. In Australien gibt es Kartellrechtsklagen.
Überall auf der Welt fragt man sich, wie kann man einen entfesselten Plattform-Kapitalismus zähmen. Die entscheidende Frage ist, wie kann es auf eine Weise gelingen, die die demokratischen Prozesse stärkt und die Medienmündigkeit betont und auch weiter forciert und stärkt.
"Fake News sind potenziell tödlich"
Barenberg: Bei aller Sympathie für Ihren Vorschlag eines Plattformrates kommt mir nur der Gedanke: Ist das nicht illusorisch zu glauben, dass wir bei dieser explodierenden Form von Kommunikation über das Netz irgendeine Steuerung behalten könnten?
Pörksen: Ich glaube, wir müssen es zumindest versuchen. Natürlich kann man sagen, es ist illusorisch, aber wir haben gesehen, Desinformation ist ungeheuer folgenreich, destabilisiert überall auf der Welt ganze Demokratien. Fake News sind potenziell tödlich. Auch das erleben wir in Zeiten dieser Pandemie.
Ich bin der festen Auffassung, eine Gesellschaft kann es sich schlicht und einfach nicht leisten, nicht darüber nachzudenken, wie effektive Plattform-Regulierung, wohl gemerkt bei der gleichzeitigen Betonung von Mündigkeit und Kommunikationsfreiheit, gelingen könnte. Der Plattformrat ist sicher nicht der Vorschlag letzter Weisheit, aber die Richtung scheint mir doch entscheidend. Wie gegen Desinformation kämpfen? Wie Kommunikationsfreiheit nicht unnötig einschränken und wie gleichzeitig demokratische Entscheidungsprozesse stärken? Das ist gleichsam die eine Million Euro Frage der Plattform-Regulierung.
Barenberg: Glauben Sie, dass die Ereignisse rund um das Kapitol und die Rolle, die Donald Trump darin gespielt hat, dass das so etwas wie ein Weckruf, eine Zäsur sein könnte? Oder werden wir das in ein paar Wochen schon wieder vergessen haben?
Pörksen: Nein! Ich glaube tatsächlich, dass das Weckruf-Charakter, Zäsur-Charakter besitzt – schlicht und einfach, weil die Schwierigkeiten, die Gewalt, der Tumult, der ist gewissermaßen im Herzen der westlichen Welt angekommen. Der ist nicht mehr weit weg, der ist nicht mehr anderswo.
Es geht nicht mehr um die anderen, die weit entfernt womöglich unter entsetzlicher Hetze zu leiden haben, wo man sich schlicht und einfach nicht weiter um diese kümmert. In der Tat: Ich bin der Auffassung, dieser Sturm auf das Kapitol ist in dieser Hinsicht eine Zäsur. Das wäre dann das Gute im Schlechten.
Barenberg: Und auch dringend nötig, was die Kommunikationskultur in Deutschland angeht?
Pörksen: Ja, unbedingt! Wir haben ja im Grunde genommen in der digitalen Zeit drei große Kraftzentren. Wir haben den klassischen Journalismus, wenn man so will Sie.
Barenberg: Das, was wir gerade machen hier.
Pörksen: Ja, die etablierte Medienwelt. Wir haben die fünfte Gewalt der vernetzten vielen. Das sind wir alle. Jeder kann mitmachen, posten. Jeder hat eine Stimme, eigentlich eine wunderbare Nachricht. Und wir haben als drittes großes Kraftzentrum die Plattformen und diese Plattformen haben ja ein eigenes Anreizsystem. Ihr Treibstoff ist die Emotion. Ihr Treibstoff ist immer wieder auch das Spektakel, weil es soll dazu dienen, Aufmerksamkeit zu bannen, Menschen bei der Stange zu halten und maximal intensiv Werbung zu verkaufen. Hier sind gewissermaßen Diskursplattformen entstanden, die erst mal nicht davon handeln, wie kann man auf vernünftige, gelassene, ruhige Art und Weise miteinander sprechen und diskutieren, sondern wie kann man Anreize schaffen, die ein Maximum an Emotion gleichsam als Treibstoff der Aufmerksamkeitsbannung nutzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.