Archiv

Regulierung von Online-Plattformen
"Wir brauchen jemanden, der darauf aufpasst"

Soziale Netzwerke wie Facebook und YouTube sollen für Transparenz sorgen und Aufsichtsbehörden auf ihre Algorithmen schauen lassen, sagte Verbraucherschützer Klaus Müller im Dlf. Er ist Mitglied des Datenethik-Gremiums, das die Bundesregierung berät. "Es geht um das Herzstück unserer Demokratie."

Klaus Müller im Gespräch mit Stefan Fries |
Social Media Apps auf einem Smartphone
Algorithmen bestimmen über Versicherungsleistungen, Bewerbungsgespräche oder die Inhalte auf sozialen Netzwerken. Dafür soll es laut Daten-Ethikkommission strengere Regeln geben (imago/Simon Belcher)
Stefan Fries: Unser digitales Leben wird bestimmt von Regeln: Sie entscheiden, was wir in sozialen Netzwerken zu sehen kriegen, welche Werbung uns angezeigt wird und ob wir einen Kredit bekommen. Diese Regeln werden auch Algorithmen genannt. Wie genau sie aussehen, wissen wir aber meistens nicht.
Das will eine Kommission jetzt ändern. Die Datenethikkommission hat eben ihre Vorschläge an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht übergeben und stellt sie gerade in Berlin vor. Als Mitglied ist auch Klaus Müller dabei, Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbands. Deswegen habe ich mir von ihm schon heute Mittag erklären lassen, ob er die insgesamt 75 Vorschläge, die wir nicht alle besprechen können, auf einen Nenner bringen kann.
Klaus Müller: Ja, das kann man. Die Sicherheit, in der wir uns in der analogen Welt gewöhnt haben – jeder von uns benutzt Autos, obwohl wir nicht verstanden haben, wie Bremsen funktionieren. Wir benutzen Fahrstühle, obwohl wir nicht genau wissen, wie die Steuerung funktioniert. Aber wir können der Sicherheit dort vertrauen. Diese Sicherheit brauchen wir auch in der digitalen Welt. Wenn zum Beispiel Algorithmen entscheiden, welche Versicherungsleistungen wir bekommen. Ob wir zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden oder wie wir von Banken und Versicherungen bewertet werden.
Fries: Als Verbraucherschützer ist Ihnen besonders wichtig, dass Verbraucher erfahren, welche ihrer Daten genutzt werden, um Entscheidungen zu treffen, weil sie sich nur so gegen Diskriminierungen wehren können. Welche Informationen sollen wir Verbraucher denn bekommen?
Müller: Ja vor allem die, die benutzt werden, wenn es um kritische, um wichtige Entscheidungen geht. Da hat die Datenethikkommission einen sehr sorgfältigen, differenzierten Ansatz gewählt, weil natürlich nicht alle Algorithmen, nicht alle Daten, die im Internet verfügbar sind, gleich wichtig sind. Und darum sagen wir - Sie können sich vielleicht eine Pyramide vorstellen - je kritischer der Einsatz von Daten und Algorithmen ist, also wenn es um wirklich viel Geld geht, wenn es um die Frage von Gesundheit und der künftigen beruflichen Entwicklung geht, das sind schon kritische Fragen.
Und da kann ich als Individuum nicht mithalten, wenn es darum geht, ob ich gerade diskriminiert werde, ob ich benachteiligt werde. Und darum sagt die Datenethikkommission einstimmig, wie ich bemerkenswert finde – da brauchen wir Institutionen, zum Beispiel Behörden, die in der Lage sind, mich genauso zu schützen, wie das eben in der analogen Welt geschieht.
Algorithmen können diskriminieren
Fries: Können Sie mir ein Beispiel geben, wo diese Punkte, die Sie angesprochen haben, wie Gesundheit oder Job, wo das eine Rolle spielt, ein Algorithmus?
Müller: Sehr gern. Zum Beispiel bei Versicherungsleistungen, über die entschieden wird. Wenn Sie dort bisher von einem Sachbearbeiter beurteilt werden, werden Sie heute bereits von Algorithmen, Computerprogrammen beurteilt, die entscheiden: Kriegen Sie eine Erstattung oder kriegen Sie sich nicht? Immer mehr Unternehmen setzen Algorithmen ein, um Bewerber vorzuselektieren. Und hier ist es in den USA zum Beispiel vorgekommen, dass – wenn diese Algorithmen zum Beispiel falsch gefüttert und falsch programmiert sind – zum Beispiel Männer gegenüber Frauen bevorzugt werden. Das sind alles Dinge, die will eigentlich keiner. Und deshalb brauchen wir jemanden, der darauf aufpasst.
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, spricht am 03.07.2017 in Berlin bei einem Redaktionsbesuch mit Journalisten.
Deutschlands oberster Verbaucherschützer Klaus Müller: "Die Sicht auf soziale Netzwerke ist überholt" (picture alliance / Monika Skolimowska)
Fries: Wir kennen Algorithmen ja vor allem auch aus sozialen Netzwerken. Wir wissen ja, dass Facebook über die Algorithmen verstärkt Beiträge bevorzugt anzeigt, die zum Beispiel zu Empörung, Wut und Hass führen. Oft sind das auch Desinformation und Progaganda. Bei Youtube kann es zum Beispiel passieren, dass ein rechtsextremes Video nach dem anderen gezeigt wird. Wie wollen Sie denn die Algorithmen bei sozialen Netzwerken in den Griff kriegen?
"Wir brauchen Institutionen, die in der Lage sind, genauso zu schützen, wie das eben in der analogen Welt geschieht"
Müller: Das ist auch ein Thema der sogennanten Plattform-Regulierung, mit der sich die Ethikkommission intensiv beschäftigt hat. Und auch hier geht es erstmal darum zu sagen, den Ohnmachtsgefühlen, die in der Politik und vielleicht bei vielen Menschen verbreitet sind, entgegenzuwirken. Schon die Datenschutz-Grundverordnung hat gezeigt: Man ist nicht ohnmächtig. Man kann auch Unternehmen, die auch in Europa und in Deutschland Geld gewinnen wollen, dazu zwingen, sich an Regeln, an europäisches Recht zu halten, wenn die Strafen hoch genug sind. Und insofern betrifft es auch diese Algorithmen, die ja teilweise demokratiegefährdend sind – wenn Sie an die Beeinflussung zum Beispiel von Wahlen in den USA denken. Auch hier bedarf es an Kontrollinstanzen, Offenlegungspflichten, weil es um ein Herzstück unserer Demokratie geht.
Fries: Was schlagen Sie dafür vor?
Müller: Wir schlagen auch dafür vor, dass Facebook oder vergleichbare soziale Netzwerke hier für Transparenz sorgen müssen, dass es Institutionen gibt, die auch hinter die Mauern der Algorithmen gucken dürfen. Und dass in solchen Fällen Geschäftsgeheimnis nicht die billige Ausrede sein darf, wenn es tatsächlich um solch existenzielle Fragen geht wie eine Öffentlichkeit im Umfeld von Wahlen.
Mehr Vielfalt statt einseitiger Information
Fries: Aber sollen die nur sagen, wie sie die Sachen sortieren? Oder sollen sie auch die Sortierung ändern, damit es wieder transparenter wird?
Müller: Ich glaube, in einem ersten Schritt braucht es Institutionen, die in der Lage sind, das tatsächlich zu durchschauen an der Stelle. Das Zweite sprechen Sie richtig an, ist die Frage, wie eigentlich eine plurale Vielfalt gewährleistet werden kann. In dem Moment, wo Menschen nur noch einseitig informiert werden, weil sie eben leider nicht mehr Zeitung lesen, Rundfunk hören noch nicht mal mehr Fernsehen gucken, sondern nur noch in ihrer so genannten sozialen Blase unterwegs sind, haben wir tatsächlich nicht mehr die gebotene Informationsvielfalt, die wir in einer Demokratie wünschen.
Fries: Jetzt steht in Ihren Vorschlägen auch, dass Plattformen verpflichtet werden sollen, auch tendenzfreie, ausgewogene und plurale Beiträge anzuzeigen. Das heißt, die Plattformen müssten dann redaktionell entscheiden, was tendenzfrei und ausgewogen ist. Damit machen Sie die Plattformen doch zu journalistischen Redaktionen, oder?
Müller: Ich würde die Frage zurückgeben, ob sie das nicht schon längst sind? Genauso wie ich heute eine Zeitung kaufe, eine Fernsehsendung angucke oder letztendlich einen Rundfunksender höre – dahinter stehen Menschen, die sich dafür auch rechtfertigen müssen, die das auch gerne verteidigen, welche Auswahl sie getroffen haben. Was wir heute erleben mit sozialen Plattformen ist, dass es heißt: Das entscheidet ja gar keiner. Oder es entscheidet nur der Verbraucher, weil er sich immer im gleichen Umfeld bewegt. Ich glaube, diese Sichtweise auf soziale Netzwerke ist überholt. Sie ist nicht mehr zeitgemäß. Sie ist sogar in manchen Situationen gefährlich und dramatisch. Erstmal für Vielfalt zu sorgen, war der erste Schritt. Ich glaube, schon die Auseinandersetzung darüber wird bretthart und ist natürlich auch nicht allein in Deutschland zu führen, da brauchen wir Europa hinter uns, um soziale Netzwerke in ihre Schranken zu weisen.
Fries: Aber wenn Sie sozialen Netzwerken die Verantwortung einer Redaktion geben und dann gleichzeitig vorgeben, wie diese Redaktion zu arbeiten hat, das berührt ja auch die Pressefreiheit.
Müller: Das hat die Daten-Ethikkommission nicht gesagt. Sie hat nicht irgendwelche Mikro-Management-Regelungen vorgeschlagen, wie eine Redaktion eines sozialen Netzwerkes zu arbeiten hätte. Aber sie sagt, gerade weil das die Informationsgrundlage von Menschen zum Beispiel bei Wahlen, aber auch bei Konsumentscheidungen und vielen anderen ganz existenziellen Fragen geworden ist, brauchen wir hier eine Vielfalt. Sicherlich kann man darüber steiten – was bedeutet eigentlich Vielfalt? Aber allein diese Diskussion führen zu können und zu sagen: Es ist nicht Gott gegeben, wie mich Facebook und andere informieren, das war jetzt der erste Schritt. Und jetzt wird es die Diskussion mit der Politik geben – wie kann das auf nationaler oder besser europäischer Ebene umgesetzt und realisiert werden?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.