Karin Fischer: Jan Hus war Kirchenkritiker und Reformator hundert Jahre vor Martin Luther. Der böhmische Theologe und Philosoph kämpfte gegen den Ablasshandel, den Luxus und die Verweltlichung des Klerus, dessen Lasterleben, er trat für die Gewissensfreiheit ein und sah in der Bibel die einzige Grundlage des Glaubens. Das bezahlte er mit dem Leben: Weil er nicht widerrufen wollte, wurde Hus am 6. Juli 1415 in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Christoph Nix, der Intendant des Theaters in Konstanz, will den Papst jetzt um eine Rehabilitierung von Jan Hus bitten und deshalb zu Fuß nach Rom pilgern. Schon Papst Johannes Paul II. hatte sich für eine Neubewertung des Reformators eingesetzt. Die Kirche hat sich inzwischen von dem damals gefällten Urteil distanziert, eine vollständige Rehabilitierung steht noch aus. Wie ist der Stand der Diskussion bei Ihnen in Konstanz und in Rom? Das habe ich Christoph Nix vor der Sendung gefragt.
Christoph Nix: Nun, das ist ja nicht der erste Fall, um den ich mich theatral gekümmert habe, sondern ich habe das gleiche schon mal im Fall Galileo Galilei gemacht. Und warum, werden Sie fragen: Ich bin selbst nicht katholisch, aber Theaterleute suchen natürlich theatrale Formen, und seitdem ich in Konstanz bin, ist der Fall Jan Hus für mich ein unerledigter Fall. Unerledigt die Frage der Verantwortung, der Kollektivschuld, es ist so eine Wunde in dieser Stadt.
Fischer: Wie äußert sich die?
Nix: Indem das eigentlich ein Tabuthema ist. Ich bin der Meinung gewesen, dass die Vorbereitung des Konzils sich viel zu wenig um Jan Hus gekümmert hat, sondern sehr viel mehr - Natürlich hat das Konzil auch andere Aspekte, aber die eigentliche Wunde ist die Verdrängung des kollektiven Mordes an Hus, und wir haben ja – das hat leider die DPA-Meldung nicht mitgebracht, dass Snowden ein ähnlicher Fall sein könnte.
Kein Spektakulum, sondern eine historische Aufrichtigkeit
Die Frage, die sich stellt: Wie gehen wir mit historischer Schuld um? Und wir haben eigentlich nur die Möglichkeit, uns noch mal den alten Fragen zu stellen: Was ist da los gewesen vor 600 Jahren und warum haben eigentlich alle mitgemacht. Luther ist nicht umgebracht worden, aber 100 Jahre oder 60 Jahre vorher Hus schon. Mein Interesse ist es, als aufgeklärter Mensch diese Fälle der Kirchengeschichte noch mal zum Thema zu machen, und Walter Benjamin hat mal gesagt, wenn wir uns den Opfern ästhetisch zuwenden, bekommen sie sozusagen noch mal eine andere Form der Rehabilitation. Insofern kein Spektakulum, eher so was wie eine historische Aufrichtigkeit.
Fischer: Auch der Bann gegen Martin Luther ist kirchenoffiziell nicht aufgehoben worden. In was für einer Rolle innerhalb der europäischen Geschichte sehen Sie Jan Hus heute als Theatermann?
Nix: Ich habe hier noch eine andere Vorgeschichte in Konstanz: Pavel Kohout hat ein Stück über Hus geschrieben, das ist nie aufgeführt worden in Konstanz. Wir haben außerdem ein Theaterstück schreiben lassen von Theresia Walser, der Tochter von Martin Walser, die sich auch noch mal dieser Aufarbeitung widmet. Ich glaube, dass Hus im Denken radikaler war, dass er aber so weit seiner Zeit voraus war, dass er anders als Luther keinen Schutz genossen hat, und weil ich glaube, dass Luther sozusagen im Protestantismus gut aufgehoben ist, muss das Theater sich immer denen zuwenden, die im Schatten sind, und Hus ist im Schatten geblieben.
Fischer: Sie haben es erwähnt, Christoph Nix: Zuletzt ist sein Name wieder öfter gefallen, auch im Feuilleton, denn wie der Whistleblower Edward Snowden hat man dem böhmischen Reformator freies Geleit zu diesem Konstanzer Konzil versprochen. Hus kam in Begleitung böhmischer Adliger aus Prag, doch der Schutz hat nicht gereicht, als die Machtinteressen in Konstanz gegen ihn standen. Und im Zusammenhang mit Edward Snowden wird eben genau diese Frage gestellt, ob freies Geleit im 21. Jahrhundert nach möglich ist und ob Snowden vor einer Auslieferung an die USA geschützt werden kann. Ist Jan Hus da wirklich ein gutes Rollenvorbild?
Nix: Es rüttelt an unserer Schuld, und was sonst kann an uns rütteln als die Frage der Schuld, und deshalb, glaube ich, ist er auch eine Metapher und nicht nur eine geschichtliche Figur. Und weil ich glaube, dass Intendanten in den 70er-Jahren sich mehr politisch verhalten haben, muss man auch daran erinnern. Wir sind sehr unpolitisch und träge geworden und machen nur noch Theater hinter unseren Mauern. Aber die Welt braucht eher auch einen Standpunkt und deshalb auch unsere Aktion. Dann pilgern wir mal los; mal sehen, wie weit wir kommen.
Fischer: Christoph Nix - der Intendant des Theaters Konstanz will im kommenden Jahr für die Rehabilitierung von Jan Hus nach Rom pilgern.
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