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Reiche im Zentrum, Arme am Stadtrand?

"Älter, weniger, bunter" – so beschreiben Stadtplaner die künftige Bevölkerung unserer Städte. Der Slogan klingt harmlos, doch die Herausforderungen sind gewaltig. Viele auch heute noch wachsende Städte werden in Zukunft schrumpfen - eine Tatsache, die angesichts der zu erwartenden finanziellen Probleme von vielen Kommunen verdrängt wird.

Von Ingeborg Breuer |
    "Es ist gerade wieder die Studie vom BerlinInstitut herausgekommen über die demografische Lage der Nation, wo man schon sehen kann, wo die Hotspots der Wachstums sind. Und die sind in Süddeutschland, in Bayern, in Baden Württemberg, auch in der Rheinschiene. Aber im Ruhrgebiet haben Sie drastisch schrumpfende Städte, das Saarland gehört auch dazu."

    "Ostdeutschland ist ein prekäres Phänomen, Sie haben mit wenigen Ausnahmen diese extreme Abwanderung. Sie haben diesen radikalen Deindustrialisierungsschub. Und das hat die meisten Städte hart getroffen."

    "Im Fall von München muss man sagen, hier sind noch lang anhaltende Wachstumsprozesse angesagt. Das hängt damit zusammen, dass die Stadt einen Wanderungsüberschuss hat vor allem bei jungen Menschen, weil die Stadt attraktiv ist vor allem als Ausbildungsstandort, Bildungsstandort."

    "Älter, weniger, bunter" ist landläufig der Slogan, mit dem Städteplaner den demografischen Wandel beschreiben. Konkret: es werden immer weniger Kinder geboren. Selbst in Städten wie München, die nach wie vor Bevölkerungswachstum verzeichnen, nimmt die Zahl der Hochbetagten, Pflegebedürftigen zu. Immer mehr Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Hinzu kommt eine Vervielfältigung der Lebensstile. Schon jetzt gibt es in manchen Großstädten über 50 Prozent Singlehaushalte. Die Zahl der kinderlosen Paare steigt, ebenso die Zahl der Patchworkfamilien. Stadtforscher und Soziologen halten für ausgemacht, dass unsere Städte in großem Stil weiter schrumpfen werden. Dr. Andreas Peter, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Referats für Stadtplanung in München:

    "Also man muss sich von dieser Vorstellung auf der einen Seite Schrumpfung und Alterung, in Gebieten die wirtschaftlich schwach, unattraktiv sind und auf der anderen Seite Wachstum in den anderen Gebieten verabschieden. Man kann sich das so vorstellen, dass wir in der Vergangenheit eher Schrumpfungsinseln inmitten des Wachstums hatten. Und wir bewegen uns in die Richtung, dass wir Wachstumsinseln inmitten der Schrumpfung haben."

    Auch in manchen wirtschaftlich erfolgreichen Regionen wird das Geburtendefizit in Zukunft so groß werden, dass es nicht länger durch Zuzug von außen kompensiert werden kann. Oft versuchen Städte, das zu verdrängen, nach dem Motto - wir sind doch noch glänzend aufgestellt. Doch frühzeitiges Handeln ist angesagt. Und das bedeutet manchmal, so der Titel des Buchs von Andreas Peters, manche "Stadtquartiere" nur noch "auf Zeit" zu unterhalten. Investitionen zurückzufahren und zugleich ein Mindestmaß an Attraktivität für die Bewohner zu bewahren. Bis dann der endgültige Abriss folgt.

    "Das heißt man muss Folgekosten im Blick haben und Fehlinvestitionen vermeiden. Man kann in Ostdeutschland Fotos schießen von Großwohnsiedlungen, in denen vor 15 Jahren noch große Investitionen getätigt wurden, die heute zum Rückbau anstehen und wo Großvermieter sagen, es ist eigentlich ein Fehler gewesen vor 10 oder 15 Jahren noch in diese Gebiete zu investieren."

    Dr. Olaf Schnur, Stadtgeograf an der Universität Tübingen, hat in seiner Untersuchung zur "Quartiersentwicklung 2030" analysiert, welche städtischen Wohnviertel besonders vom Rückbau betroffen sein werden. Denn wo Städte schrumpfen und Wohnraum frei wird, können Bürger zunehmend aussuchen, wie und wo sie wohnen wollen.

    "Es gibt Quartiere, die in der Gründerzeit entstanden sind; also Quartiere aus der Zeit der Industrialisierung mit Altbausubstanz, häufig innerstädtisch gelegen, dann gibt es Quartiere, die eher dem Reformwohnungsbau zuzurechnen sind, gartenstadtähnliche Quartiere. Quartiere, die nach dem zweiten Weltkrieg im Wiederaufbau entstanden sind, mit schlechter Bausubstanz, in Zeilenbauweise ... die Großsiedlungen im Westen und im Osten, Plattenbaugebiete. ... Am Stadtrand, das sind die Einfamilienhausquartiere. Und dann so Besonderheiten, überprägte Dorfkerne an den Stadträndern oder Investmentquartiere seit den 90er-Jahren."

    Während Altbauviertel und Quartiere, die nach 1980 erbaut wurden, voraussichtlich weiterhin begehrt bleiben, entwickeln sich andere zunehmend zum Problem:

    "Natürlich muss man hier ein bisschen pauschalieren, ... am stärksten betroffen sind die Plattenbaugebiete in den östlichen Bundesländern, ... Auch betroffen sind die westdeutschen Großsiedlungen, die ja ähnlich wirken wie die Plattenbaugebiete. Das ist vielleicht nicht überraschend. Was aber überraschend ist, dass es auch gefährdete Gebiete gibt, wie zum Beispiel Einfamilienhausquartiere, die zum Beispiel auch überaltert und demografisch homogen sind. Und wo wir es zum Teil mit Bausubstanz aus den 60er- und Anfang 70er-Jahre zu tun haben, die mit zukünftigen Zielgruppen möglicherweise nicht kompatibel sein wird."

    In einer Zeit, in der die traditionelle Familie auf dem Rückzug ist, verwundert es nicht, dass der "Wohnklassiker" dieser Gruppe, das Einfamilienhaus in die Krise gerät. Zudem sind gerade bei den älteren dieser Siedlungen Anbindung an den öffentlichen Verkehr und Infrastruktur oft suboptimal. Und verschärfend, so Olaf Schnur, kommt noch hinzu,

    "dass die alten Menschen auch eine immer stärkere Lebenserwartung haben, die jüngeren in ihrem Lebenszyklus auch früher schon dort sind, wo sie schon Wohneigentum bilden wollen, und es hier sozusagen ein Missmatch gibt. Dann ist es so, dass in zehn bis15 Jahren die Jungen versorgt sind, selbst die, die ‘nen Bedarf nach Einfamilienhäusern haben. Und die überalterten Einfamilienhausgebiete, die kommen dann auf den Markt und die werden schwer zu vermarkten sein. Möglicherweise werden Sie die Grundstücke ohne die Häuser in Köln oder Bonn los, aber in stagnierenden Gebieten wird das nicht der Fall sein."

    Die Städte der Zukunft werden also möglicherweise noch stärker als heute von "Segregation" geprägt sein, davon, dass die sozialen Gruppen sich räumlich "entmischen". In den ungeliebten Großwohnsiedlungen werden nur die verbleiben, die den Absprung sozial und wirtschaftlich nicht schaffen: die Abgehängten der Gesellschaft. Mit möglicherweise fatalen Folgen:

    "Dass gerade an den Stadträndern so etwas passiert wie in den Banlieues in Paris. Das muss nicht passieren, aber in einem Szenario, wo wir nicht eingreifen würden, wäre das ein durchaus realistisches Szenario in manchen Städten. Andererseits könnte man sich auch vorstellen, dass manche Quartiere am Rand der Städte einfach leerlaufen, dass man die als Geisterstädte quasi abreißt, auch das wäre ein Horrorszenario."

    Die Innenstädte der ökonomisch erfolgreichen Kommunen gewinnen dagegen zunehmend an Attraktivität. Der Trend zur Suburbanisierung - der Wegzug aus der Stadt ins Umland - scheint gestoppt. Mit Ausnahmen allerdings, wie Prof. Helmuth Berking, Soziologe mit dem Schwerpunkt Stadtforschung an der TU Darmstadt beschreibt:

    "Berlin ist klar, die Stadt war ummauert, da hat sich in den letzten 20 Jahren erst mal Suburbanisierung entwickelt. ... Die teuerste Stadt heute ist Potsdam und alles, was um Berlin drum herum liegt, jedenfalls in südlicher Richtung ist eine bevorzugte Wohnlage. Und das hat dazu geführt, dass die ruhigen und bürgerlichen Wohnbezirke wie Zehlendorf und Steglitz, dass das so richtige Durchgangsgeschichten sind für den Pendelverkehr. Und auch das muss man mal ernsthaft in Betracht ziehen: Warum unterstützten wir steuerpolitisch die, die auf dem Land leben, und dann tagtäglich individualverkehrstechnisch in die Städte fahren und dort ihr berufliches Leben verbringen und dann eine Pendlerpauschale bekommen oder an einer Infrastruktur partizipieren, für die Sie keinen Pfennig bezahlen? Sie müssten es im Grund andersrum machen ... . Also wenn ich den Strom bis ins kleinste Dorf in den Speckgürtel transportiere, dann muss das bezahlt werden."

    Der Reiz, der von vielen Innenstädten wieder ausgeht, hat, wie zu erwarten, seinen Preis. Baulücken werden geschlossen und teuer vermietet oder verkauft. Altbauten werden saniert, Dachstühle zu Penthouses umgebaut. In Hinterhöfen entstehen schicke "Townhouses", Reihenhäuser im Bauhausstil etwa für die Besserverdienenden der Gesellschaft. Das andere Ende der Segregation könnte also sein, dass die Innenstädte für den Durchschnittsdeutschen zunehmend weniger bezahlbar werden.

    "Dann könnten Sie sich ein Zukunftsszenario vorstellen, eine Stadtentwicklung, die wir aus Paris und London bereits kennen. Eine systematische über Marktpreise regulierte Säuberung der attraktiven deutschen Innenstädte dergestalt, dass sie vielleicht in 30 bis 40 Jahren junge Familien, einkommensschwache Bevölkerungsgruppen und all das, was ja auch die Lebendigkeit von Innenstädten ausmacht, einfach nicht mehr finden werden."

    Die Kommunen können diesen Trend kaum stoppen. Seitdem die Städte ihre eigenen Wohnungsbestände weitgehend "versilbert" haben, wird Stadtentwicklung zunehmend über den Markt geregelt. Allenfalls da, wo neue Quartiere entstehen, kann die wachsende Spreizung von Arm und Reich beeinflusst werden, indem die Stadt zum Beispiel einen bestimmten Anteil an Sozialwohnungen in die Planung mit einbezieht. Doch ansonsten, meint Helmuth Berking,

    "dass Sie in 30, 40 Jahren in den attraktiven Innenstadtbezirken so ein Altenheim für reiche alte Pensionäre haben. Die Säuberung von allen nicht pekuniär relevanten Gruppen, die wird voranschreiten. Und ich bin mir nicht mehr sicher, ob es gegenläufige Kräfte gibt."

    Bislang ist Stadtplanung vor allem Raumplanung. Dies hält Prof. Ulrich Mückenberger, Rechtswissenschaftler an der Universität Hamburg, allerdings mittlerweile für überholt. Veränderte Lebensstile, Arbeitsmuster und soziale Verhaltensweisen erfordern eine neue, urbane "Zeitplanungspolitik".

    " Es wurde meist nicht in Zeitstrukturen gedacht, zum Beispiel bei der Anlage von Einkaufszentren, sondern es wurde von räumlichen Strukturen, von Umsätzen, von Personal her gedacht, das diese Dienstleistung erbringen kann. Und dass das mit den Zeitstrukturen der Nutzer notwendig zusammenhängt, sagt auch jeder, aber es ist nicht systematisch erhoben und in die Planung einbezogen worden."

    Systematisch möchte Ulrich Mückenberger Fragen nachgehen, wie: Welche zeitlichen Nöte haben alleinerziehende Mütter? Wie lange müssen Kindertagesstätten geöffnet sein, um berufstätigen Paaren adäquate Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu gewähren? Welche Ladenöffnungszeiten entsprechen flexibilisierten Arbeitszeiten? Wie sicher und begehbar ist eine Stadt, zum Beispiel für Ältere und - zu welchen Zeiten?

    "Also, das Wort ist uralt, aber in der Stadtplanung doch relativ selten richtig ernst genommen, Stadt der kurzen Wege, also die Stadt, die sozusagen umweltverträgliche Erwerbstätigkeit, die es heute gibt, verbunden mit fußläufiger Kinderbetreuung, mit Wohnerreichbarkeit ,also die unterschiedlichen Funktionen, die die Stadt vereint, auf viel engerem Raum miteinander verbindet und damit viel Verkehr überflüssig macht. Aber auch viel verlorene Zeit in Alltagen überflüssig macht."

    Insbesondere der öffentliche Verkehr, so Ulrich Mückenberger, der Vorstand der "Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik" ist, werde den Erfordernissen einer neuen, flexibleren Arbeitswelt nicht mehr gerecht. Denn das Arbeitsleben finde zunehmend weniger von 9 bis 17 Uhr statt, die Verkehrsplanung berücksichtige das aber nach wie vor kaum.

    "Denken Sie mal an die Verkäuferinnen, die arbeiten Teilzeit. Aber nicht etwa, dass sie von 9 bis 13 Uhr arbeiten, sondern von 11 bis 1 und 15 bis 17 Uhr, weil das bestimmte Hochkapazitäten des Publikumsverkehrs sind. Die erhöhen sogar das Mobilitätsvolumen, denn sie müssen ja zweimal hin und herfahren, ... Die moderne Stadt wird dem in großen Teilen gar nicht gerecht: denken Sie nur an die Verkehrsmittel. Der öffentliche Personennahverkehr ist immer noch an das zentrale System gebunden. Da gibt es eine Stadtzentrale, von der große Containerachsen aus in verschiedene entfernte Arbeitsbereiche geführt werden. Was wir brauchen in der modernen Stadt, sind shuttleähnliche Formen, die auch Quer zu großen Einfallsachsen verlaufen."

    Mückenberger, dessen Vorschläge zu einer "lokalen Zeitplanungspolitik" im vergangenen Herbst in einer Resolution des Europarates Niederschlag fanden, regt die Einführung lokaler "Zeitbüros" vor, wie er selbst eines in Bremen eingerichtet hat. Dort sollen die "Zeitbedürfnisse" der Menschen im Quartier gesammelt werden.

    "Zeitbüros versuchen vielfach die Zeitnöte, Strukturen von Nutzerinnen systematischer zu ermitteln und zu gucken, woran hakt das, wo entstehen Engpässe? Wir sprechen manchmal auch vom Akkordeoneffekt in der Zeitforschung: wenn am Anfang eines Tages ein Anschluss verpasst wird, zum Beispiel an die S-Bahn, dann treten die ganzen Folgeaktivitäten komprimierter auf und werden durcheinandergebracht. Und so was muss ein kundiges Zeitbüro vermitteln, sie müssen Umfragen machen, sie müssen die Zeitstrukturen probehalber mal ändern."

    Die Konkurrenz zwischen den Städten wird zwangsläufig größer werden im Ringen um Wachstum angesichts einer weiter schrumpfenden Bevölkerung. Und diese Konkurrenz wird dazu führen, dass jede Stadt ihr eigenes Profil schärft, das, was gerade sie so besonders macht. Schon jetzt, meint Helmuth Berling, habe jede Stadt ihre eigene Melodie. Und im Kampf um die Zukunft wird man versuchen, diese Melodie zu vertiefen. Nicht allen Städten kann das gelingen. Aber einige werden mit ihrem guten Klang die Menschen weiter anziehen. Natürlich nur die, die es sich leisten können.

    "Worum konkurrieren denn die Städte? Alle konkurrieren ums Gleiche, nämlich um Investoren und Touristen. Und wie konkurrieren sie? Alle bundesdeutschen Städte haben seit mindestens 2004 eine eigene Abteilung, die heißt Stadtmarketing: Was wird da gemacht? Da wird nichts anderes gemacht als das Besondere der jeweiligen Stadt bewusst in Szene zu setzen. Die Individualität einer Stadt als selling point herauszustreichen, deutet darauf hin, dass die Homogenisierungstendenzen offensichtlich gespürt werden, gleichzeitig aber als eine Ressource das Einzigartige, das Individuelle, das Besondere ganz besonders aufgebaut wird und in der Städtekonkurrenz zum Tragen gebracht wird und das ist doch ein interessantes Phänomen."