Archiv


Reichlich Futter für den Voyeur in uns

"Hitchcock" ist ein Schlüsselloch-Film: Wir sind dabei, wie "Hitch" und seine Gattin Alma Reville die Dramaturgie von "Psycho" konzipieren. Helen Mirren gibt die selbstbewusste Ehefrau des Meisters, die in Sacha Gervasis Biopic als kluger Kopf hinter dem neurotischen Künstler rehabilitiert wird.

Von Hartwig Tegeler | 13.03.2013
    Man könnte Biopics auch "Schlüsselloch-Filme" nennen. "Hitchcock" von Sacha Gervasi ist einer: "Hitch" und Gattin Alma Reville konzipieren die Dramaturgie eines Psycho-Thrillers.

    "Eine Hauptdarstellerin, die in der Mitte der Handlung stirbt."

    Während Alma ihren Toast mümmelt. Und dann meint Helen Mirren zu Anthony Hopkins:

    "Ich denke, das wäre ein schwerer Fehler. Warte nicht bis zur Mitte des Films. Töte sie nach 30 Minuten."

    Gesagt. 1960 Gedreht. So findet Scarlett Johansson alias Janeth Leigh:

    "Dadurch, dass sie in der Dusche sind..."

    ... in einer der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte in der Dusche den Tod.

    "Wirkt es gleich besonders, nun ja, reizvoll."

    "Psycho" wird zum Riesenerfolg.

    Wie sich schon in der Frühstücksszene andeutet, wird Alma Reville, die Helen Mirren als selbstbewusste Ehefrau des Meisters spielt, am Ende von "Hitchcock" als der kluge Kopf hinter dem neurotischen Künstler rehabilitiert. Das ist die Geschichte, die Sacha Gervasis Film "Hitchcock" vor allem erzählt; wir tauchen in die 1960er-Jahre ein, sind Zaungäste bei den chaotischen Dreharbeiten zu "Psycho". Nur, das mit Alma-Schrägstrich-Helen-Mirren, ist schön und gut, aber von den Neugier besessenen Filmliebhaber plagt natürlich die Frage: War denn Alfred Hitchcock der Sanfte, der Geniale,...

    "Ich bin nur der Mann, der sich in einer Ecke versteckt und mit seiner Kamera zusieht."

    ... der Künstler, beseelt von seiner Vision?

    "Meine Kamera wird Ihnen die Wahrheit sagen, die absolute Wahrheit."

    Oder war Alfred Hitchcock der geifernde, fette, alte Regisseur, der die Blondinen, die ihm als Hauptfigur in die Finger kamen - Grace Kelly, Janet Leigh, Vera Miles -, obsessiv malträtierte? Sacha Gervasi kratzt das Monument Hitchcocks nicht an. Dessen Obsession wird zaghaft angedeutet. Und weg gelächelt. Ehemalige Hitch-Hauptdarstellerin von 1956 zur aktuellen Hicht-Hauptdarstellerin von 1960 - fiktiver Dialog:

    "Sie haben doch mit ihm nicht viel über ihr Privatleben gesprochen, oder? - Nein. - Dabei würde ich es belassen, wenn ich Sie wäre."
    Die reale Tippi Hedren hingegen, die Blondine aus "Die Vögel" und später "Marnie", entstanden nach "Psycho", beklagt Hitchcocks Sadismus.

    Fürchterlich, Objekt einer Zwangsvorstellung zu sein, sagt Tippie Hedren im Interview zum hochgelobten HBO-Film über Hitchcock, der in den USA im Fernsehen lief: "The Girl" von Julian Jarrod. Dort ist "Hitch" ein Sadist, der Sienna Miller als Tippi Hedren bis aufs Blut peinigt. Ist das nun wahr? Oder das Andere? Tja!

    "The Girl" und "Hitchcock", zwei Biopics, auch zwei Making-Of's in Spielfilmlänge: Sie zusammen zu schauen, wäre spannend, aber weiterhelfen würde es auch nicht bei der Wahrheitssuche. Am Ende bleibt nur das Eingeständnis, dass, wenn der Film anläuft, der Voyeur in uns sein eitel Haupt reckt. Ein Film wie Sacha Gervasis "Hitchcock" bietet dem dann reichlich Schau-Futter. Nüchtern gesprochen: Disneys "Schneewittchen" war kein Dokumentarfilm über's Mittelalter, und "Hitchcock" ist keiner über den großen Filmkünstler, sondern eine fiktive Geschichte über einen Geschichtenerzähler, der in "Psycho" in unsere tiefen Abgründe schaute, sich dabei kräftig einen feixte. Und viel verdiente. Präziser geht's leider nicht mit dem Psychogramm, wenn es uns ein Spielfilm präsentiert.