Bundespräsident Steinmeier, Bundesjustizministerin Lambrecht und mehrere Kabinettsmitglieder haben Demonstranten kritisiert, die mit der Reichsflagge vor dem Deutschen Bundestag posierten. Am Rande der Berliner Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen haben sogenannte "Reichsbürger" und Teilnehmer rechtsextremer Gruppen vor dem Bundestag demonstriert. Für Jens Hacke, Professor für Vergleichende Politische Kulturforschung an der Universität der Bundeswehr in München, sind das Zeichen autoritärer, anti-demokratischer Gesinnung.
Idealisierte Vergangenheit
"Es geht vor allen Dingen um Bilder. Diejenigen, die hinter den Protesten standen, haben einen Coup gelandet." Man könne davon ausgehen, "dass das ja die Strategie war, wenn man das Reichstagsgebäude quasi erstürmen möchte, dann ist das wohl gelungen." Hacke erinnert an die geschichtliche Herkunft von schwarz-rot-weiß. "Die Flagge ist eine Flagge, die erst mit dem Bismarck-Reich verbunden worden ist, die erst im Norddeustchen Bund 1867 offiziell zur Flagge wurde. Und dann eben die Flagge des deutschen Kaiserreiches ist. Und damit können Rechtsradikale oder Reichsbürger, oder all diese Gruppen, eine von ihnen idealisierte, goldene Vergangenheit irgendwie noch einmal ins Bild holen. Sie steht für einen autoritären Machtstaat, für ein Kolonialreich und eben nicht für Demokratie."
Republikanischen Rituale fehlen
In Deutschland seien wir gewöhnt, einen "sehr zivilen Umgang mit staatlicher Symbolik zu haben. Das hat eine Vorgeschichte. Hier hat man sich lieber auf einen Verfassungspatriotismus berufen. Hier gibt es keine großen republikanischen Rituale wie in Frankreich oder USA." In diese Lücke stoßen die Reichsbürger. "Und weil man in der Bundesrepublik doch relativ defensiv mit Flagge, mit Hymne und all solchen Sachen umgeht, ist man auch vielleicht nicht so gut darauf vorbereitet, dem entgegenzutreten."
Selbstbewusster erinnern
"Hätte der Staat eine ganz anderer eingeübte Ritualpolitik - so will ich das mal etwas unbeholfen nennen - dann würde so was auch gar nicht so sehr ins Gewicht fallen," meint Jens Hacke. Man könne an die letzten 70 Jahre "viel selbstbewusster erinnern". Weil das ein wenig fehle, lasse das eine "symbolpolitische Flanke rechts weit offen".