Am 30. Januar 1933 konnten die Nationalsozialisten ihr Glück kaum fassen. Nur elf Wochen nach der schweren Niederlage der Partei bei den letzten Reichstagswahlen berief Reichspräsident Paul von Hindenburg NS-Führer Adolf Hitler zum Reichskanzler. Joseph Goebbels, der Reichspropagandaleiter der NSDAP, ließ die Hörer von Radio Berlin an seiner Euphorie teilhaben:
"Wir sind alle maßlos glücklich! (…) Es ist für mich ergreifend zu sehen, wie in dieser Stadt … wirklich das ganze Volk aufsteht, wie unten die Menschen vorbeimarschieren, Arbeiter und Bürger und Bauern, Studenten und Soldaten, eine große Volksgemeinschaft…"
Hitler zunächst nur Kanzler von Hindenburgs Gnaden
Mit eilig organisierten Siegesfeiern von SA und Parteimitgliedern im Regierungsviertel versuchte Goebbels zu kaschieren, dass Hitler nicht anders als seine drei Amtsvorgänger bloß einer Minderheitsregierung vorstand. Er war also ein Kanzler von Hindenburgs Gnaden und musste sich auf Notverordnungen des Präsidenten stützen. Und im Kabinett saßen nur drei Nationalsozialisten neben zehn Deutschnationalen.
Das drängendste Problem der neuen Regierung war ihr politisches Überleben. Denn der Zusammentritt des nach den Novemberwahlen vertagten Parlaments stand unmittelbar bevor. Mit der Abwahl der neuen Regierung konnte sicher gerechnet werden.
Hitlers Trick, formale Legitimität zu erlangen
Das Kabinett diskutierte drei Auswege: Eine verfassungswidrige Vertagung des Reichstages auf unbestimmte Zeit schied aus, weil allen Beteiligten für einen offenen Staatsstreich die Courage fehlte. Der Vorsitzende der Deutschnationalen Volkspartei Alfred Hugenberg plädierte für ein Verbot der KPD und die Annullierung der 100 kommunistischen Mandate, um der Regierung mit diesem Trick eine parlamentarische Mehrheit zu verschaffen. Doch auch diese Methode schien den meisten Ministern zu riskant. So setzte sich Hitler mit einem Vorschlag durch, der immerhin den Vorteil der formalen Legalität auf seiner Seite hatte: Die erneute Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Hindenburg unterzeichnete am 1. Februar das Auflösungsdekret, das der Reichskanzler im Rundfunk in geschraubten Worten begründete:
„Der Reichspräsident, Generalfeldmarschall von Hindenburg, hat uns berufen mit dem Befehl, durch unsere Einmütigkeit der Nation die Möglichkeit des Wiederaufstiegs zu bringen. Wir appellieren deshalb nunmehr an das deutsche Volk, diesen Akt der Versöhnung selbst mit zu unterzeichnen. Die Regierung der nationalen Erhebung will arbeiten, und sie wird arbeiten. Allein, sie kann nicht die Arbeit des Wiederaufbaues der Genehmigung derer unterstellen, die den Zusammenbruch verschuldeten.“
Der eigentliche Nutznießer der anberaumten Neuwahlen war die NSDAP: In der Regierung hatte die finanziell nahezu bankrotte Partei endlich Zugang zu den Spendentöpfen der Industrie. Und durch den Zugriff auf den staatlichen Rundfunk und die im Bürgertum durchaus populären Repressalien gegen die Kommunisten profilierte sich die NSDAP als dynamische Kraft der Stunde.
Hochkonservative Skeptiker fürchteten, Hitler werden nach den Wahlen über eine eigene parlamentarische Mehrheit verfügen und sich der Kontrolle des Reichspräsidenten entziehen. Hugenberg beschwichtigte und erklärte die Deutschnationalen zu Garanten für die Fortsetzung des autoritären Regierens:
„All die Jahre hindurch haben wir Deutschnationale gegen den Parlaments- und Parteistaat gekämpft (…) Wir wählen also am 5. März noch einmal! Und Deutschland möge bezeugen, dass es das Wählen gründlich satthat, indem es die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot wählt!“
Würde mit Hitler die Monarchie zurückkehren?
Die deutschnationale Führung und auch das Haus Hohenzollern selbst wiegten sich in der Illusion, Hitler werde die Rückkehr zur Monarchie durchsetzen. Doch der dachte nicht daran. Noch weniger wollte er parlamentarisch regieren. Die Nationalsozialisten brauchten Neuwahlen und einen Wahlerfolg einzig zu dem Zweck, einen nationalen Aufbruch vorzutäuschen. Auf dieser Legende gründeten sie danach ihren Einparteienstaat.