Kathrin Hondl: "Europa. Jetzt aber richtig!", das ist heute das Motto des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum 1. Mai, Tag der Arbeit. Ein Aufruf für ein – jetzt kommt noch ein Zitat – "solidarisches und gerechtes Europa". Die Sehnsucht, der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit ist groß, so groß wie die Kluft zwischen Arm und Reich, die immer größer wird. Nach einer Statistik des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besitzen sehr wenige Reiche, nämlich ein Prozent der Bevölkerung, über ein Drittel des Gesamtvermögens in Deutschland.
Aber über diese Superreichen weiß man gar nicht so viel, erst allmählich etabliert sich in Deutschland so was wie historische Reichtumsforschung, und gerade ist zu diesem Thema ein umfangreiches Buch erschienen: "Reichtum in Deutschland: Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert". Und ganz besonders interessant ist da ein Kapitel, das sich dem Reichtum dort widmet, wo man ihn erst mal nicht vermuten würde: im Staatssozialismus der DDR nämlich. Geschrieben hat es Jens Gieseke, Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, und ich freue mich, jetzt mit ihm zu sprechen. Guten Morgen, Herr Gieseke!
Jens Gieseke: Ja, guten Morgen!
Hondl: Die Kluft zwischen Arm und Reich, das sehen wir üblicherweise ja als eine Realität kapitalistischer Verhältnisse, die Auswüchse einer neoliberalen Marktwirtschaft, aber wie war das nun im Sozialismus? Sie, Herr Gieseke, formulieren das ja selbst als Frage im Titel: "Gab es Reichtum in der DDR?"
Gieseke: Ja, die Frage, gab es Reichtum in der DDR, lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Die erste Antwort lautet natürlich nein, jedenfalls dann, wenn wir die Maßstäbe anlegen, die wir aus der Bundesrepublik etwa kennen. Vielleicht eine Zahl, die das ein bisschen illustriert. Wir haben in der DDR 1990 bei der Währungsumstellung - unter 100 Konten hat die Bundesbank dort vorgefunden, die mehr als eine Million Mark, DDR-Mark, dort liegen hatten als Spareinlage. Das ist also ungefähr so vom Verhältnis zur Zahl der Milliardäre, die wir in der Bundesrepublik vorfinden, und insofern zeigen sich da schon ein bisschen die Dimensionen.
Miele-Geschirrspüler als Statussymbol
Hondl: Aber trotzdem kann es ja überraschen, dass es tatsächlich Millionäre gab. Wer war das? Zuallererst fallen einem da ja die Parteibonzen mit ihren Privilegien ein. Gab es denn in der DDR Reiche, die mit so was wie russischen Oligarchen zu vergleichen wären?
Gieseke: Ja, also erst mal muss man klar sagen, was es nicht gab: Es gab keine Fabrikbesitzer, keine Aktienbesitzer und auch keine nennenswerten Inhaber von Immobilien, weil man mit Immobilien in der DDR aufgrund der extrem niedrigen Mieten kein Geld verdienen konnte. Das heißt, diese klassischen Felder fallen alle aus.
Der nächste Blick geht dann zum einen tatsächlich auf, was Sie jetzt Parteibonzen genannt haben, also sagen wir mal die Politbüromitglieder, wie sie in Wandlitz gelebt haben, aber dann eben auch auf private Handwerker oder Künstler, die ins westliche Ausland fahren durften. Ich bleib mal bei den Politbüromitgliedern. Das Interessante ist, dass selbst in Wandlitz die Politbüromitglieder sehr viel Wert darauf legten, dass ihnen nichts davon, was sie dort an Annehmlichkeiten hatten, persönlich gehörte. Also die Fuhrparks für die Jagdausflüge, die Wochenendgrundstücke, die private Insel an der Ostsee, all das gehört nicht zum persönlichen Vermögen, insofern würde man sie nicht als reich in dieser Hinsicht bezeichnen. Aber gleichzeitig hatten sie eben die Möglichkeit, all diese Dinge zu nutzen, die natürlich nichts mit dem Lebensstandard der durchschnittlichen DDR-Bevölkerung zu tun hatten.
Hondl: Na ja, und Reichtum zur Schau stellen, dafür fehlten in der DDR ja auch sowieso die Möglichkeiten überhaupt. Es gab ja keine Luxusboutiquen oder so was, wo man die Tüten durch die Stadt hätte schleppen können, Porsche fahren war auch nicht drin, wie zeigte sich denn dann Reichtum in der DDR? Oder ging es eben tatsächlich viel mehr darum, das tunlichst zu verstecken?
Gieseke: Na gut, also die Tendenz, Reichtum zu verstecken, finden wir auch in der westlichen Welt – nicht bei jedem, natürlich gibt es da die Ferrari-Fahrer oder die Leute, die Juwelen zur Schau tragen, aber wenn Sie an die Hanseaten, über die Reedereibesitzer in der Hamburger Elbchaussee nachdenken, dann stellen Sie schnell fest, nicht jeder stellt zur Schau, was er hat. In der DDR war das natürlich noch ein bisschen extremer, weil es tatsächlich selbst so etwas wie Gourmetrestaurants so gut wie gar nicht gab.
Das Spektrum an Autos, das zur Verfügung stand, war äußerst begrenzt, und damit verschieben sich die Maßstäbe. Also vieles, was wir in der westlichen Gesellschaft als, sagen wir mal, obere Mittelklasse betrachten würden – der Miele-Geschirrspüler in den 80er-Jahren oder Ähnliches –, war in der DDR schon ein Symbol sozusagen und auch ein Ausdruck von einem weit überdurchschnittlichen Vermögen, einer weit überdurchschnittlichen Lebenslage.
Populäre Künstler mit überdurchschnittlichem Einkommen
Hondl: Es gibt ja auch da ein Bild in diesem Buch über Reichtum in Deutschland, das, glaube ich, sehr schön anschaulich macht, was in der DDR zumindest einen gewissen Reichtum symbolisieren konnte, das ist ein Plattencover aus dem Jahr 1986: Ein Mann liegt da in einem komplett orange-braun verkachelten Badezimmer in der Wanne. Inwiefern, Herr Gieseke, sagt diese Schaumbadszene etwas über Reichtum in der DDR?
Gieseke: Dieser Mann ist Dieter Birr, der Sänger und Frontmann der Puhdys, also sozusagen der, wenn Sie so wollen, berühmteste Rockmusiker der DDR. Ja, die Kacheln haben so eine doppelte bis dreifache Botschaft. Erstens waren Kacheln in der DDR an sich ein extrem rares Gut – wer es schaffte, auf dem Graumarkt für sich Kacheln zu besorgen, der konnte sich schon glücklich fühlen. Dann handelt es sich in diesem Fall auch noch um die sozusagen besonders – jedenfalls in der damaligen Zeit besonders – elegante Variante in Orange-Braun, also nicht nur einfach weiß oder hellblau.
Und dann zitierte dieses Cover im Prinzip ein bisschen sozusagen die mondäne Ausstrahlung westlicher Rockstars. Und das Ganze fand statt ausgerechnet im Interhotel in Ost-Berlin, also in einem Hotel, in dem man als gewöhnlicher Sterblicher mit Westgeld nur bezahlen konnte, und da haben Sie im Grunde genommen alle diese Dimensionen drin. Man kann dieses Bild auch als den Arbeiter, der am Samstagnachmittag in die Badewanne steigt, interpretieren, aber es hat eben beide Seiten dieses etwas skurrilen Bildes.
Hondl: Und zu sehen ist eben ein Musiker. Sie erwähnen im Buch ja auch den Schauspieler Manfred Krug, der fuhr Mercedes. Waren also die wahren Reichen, in Anführungszeichen, die Künstler in der DDR?
Gieseke: Die zählen jedenfalls zu den – mit ein paar anderen kleineren Gruppen – heißesten Kandidaten für diesen Status des Reichen. Sie waren meistens freiberuflich tätig, das war oft eine wichtige Voraussetzung, um sozusagen überdurchschnittlich hohes Einkommen zu erzielen, und sie waren natürlich auch populär. Sie waren zum Teil im Westen populär, was wiederum Westgeld-Einnahmen bedeutete, und das schuf dann eben die Möglichkeit.
Es gibt von Manfred Krug die sozusagen landläufige Sage – ob das wirklich stimmt, ist bis heute umstritten –, dass er Mitte der 70er-Jahre, also kurz bevor er in den Westen ausgereist ist, tatsächlich eine Party gemacht hätte, weil er die Million erreicht hätte. Das ist natürlich ein bisschen ambivalent. In jedem Falle war er mit einer ordentlichen Oldtimer-Sammlung, einem sehr großen Haus und eben dem schon angesprochenen Mercedes natürlich in einer Situation, die mit dem durchschnittlichen Leben nichts zu tun hatte.
Beziehungen und Westgeld nötig
Hondl: Welche Möglichkeiten zur Vermögensbildung hatten DDR-Bürgerinnen und -Bürger, also die ganz normalen eigentlich, überhaupt?
Gieseke: Na ja, das wirft die Frage überhaupt nach der Aufbewahrungsform von Werten auf. Wir haben natürlich die DDR-Mark, die eben nur begrenzt dazu taugte, dafür Dinge kaufen zu können, weil es bestimmte Dinge eben nicht gab. Die zweite Währungsform – hatten wir jetzt schon öfter angesprochen – ist natürlich das Westgeld. Das Westgeld ist seit Mitte der 70er-Jahre mindestens eigentlich die überall präsente Zweitwährung. Die ist durch Intershops dann sozusagen auch mit konkreten Einkaufsmöglichkeiten verbunden, und sie diente natürlich als Grau- bis Schwarzwährung, wenn man etwa den Handwerker bezahlen wollte.
Und ja, was kann man mit seinem Geld nun anstellen, wenn man es denn hat? Westliche Autos zum Beispiel zu bekommen, ist natürlich ein Weg, sich einen überdurchschnittlichen Lebensstil zu leisten. Die Datsche am See, das Grundstück an der Ostsee, auf Usedom oder so etwas, das sind alles Dinge, die jetzt nicht besonders spektakulär klingen, aber wo es eben doch auf die richtige Mischung ankam. Man musste die berühmt-berüchtigten Beziehungen haben, also man musste eine staatliche Stelle dazu bringen, dass sie einem dieses entsprechende Grundstück dann tatsächlich auch zusprach, und dazu war aber eben, insbesondere was dann die konkrete Ausstattung angeht, natürlich eben auch Geld, in diesem Falle im Zweifel Westgeld, notwendig.
Hondl: Die Kluft zwischen Arm und Reich, die zeigt sich in den westlichen Gesellschaften ja nicht nur auf dem Bankkonto – Sie haben schon die Hamburger Bourgeoisie erwähnt –, diese Kluft zeigt sich ja auch durch die feinen Unterschiede. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat es, glaube ich, als Erster sehr genau beschrieben. Wie war das in der DDR, gab’s da auch solche feinen Unterschiede, die Reiche und Arme voneinander abgrenzten?
Gieseke: Die Soziologie spricht heutzutage gerne davon, dass es sich um eine nach unten nivellierte proletarische Gesellschaft sozusagen gehandelt habe, und das bedeutet, dass die Unterschiede kaum sichtbar waren. Der normale Standard war eben der eines Arbeiters, auch was den äußeren Habitus angeht, was Lebensstil angeht und so was. Es gibt dann allerdings – die sind gut versteckt, aber ich glaube, es gibt sie doch, die feinen Unterschiede –, das ist dann das Meissner Porzellan, die Antiquitäten, die man im Haus stehen hatte. Und dann eben auch die Frage, Wochenendgrundstücke hatten viele, also auch ärmere Leute, aber wie dieses Wochenendgrundstück ausgestattet war, da konnte man schon sehen, beziehungsweise manchmal hinter gut geschnittenen Hecken versteckt eben nicht sehen, wo die Unterschiede dann lagen.
Schwierige Recherche
Hondl: Also insgesamt wirklich eine schwierige und hochinteressante Frage, die Sie da erforschen und eben auch, stelle ich mich vor, wirklich schwierig zu erforschen. Wie sind Sie eigentlich den Reichen in der DDR auf die Spur gekommen?
Gieseke: Erstens muss ich sagen, wir stehen ja noch ganz am Anfang. Alles, was ich hier jetzt ausgebreitet habe, sind im Grunde genommen nur erste Beobachtungen. Schon allein die Frage, wie die reale Einkommenssituation in der DDR war, ist extrem schwierig zu beantworten, weil die gesamte DDR-Statistik dazu tendierte, eben Unterschiede zu verstecken. Irgendwelche Zweit- und Drittkanäle, über die Geld floss, sind eben in den Statistiken nicht abgebildet.
Das heißt, man muss zunächst mal im Prinzip zu einer Rekonstruktion der realen Einkommensverhältnisse schreiten, und zwar in allen Bereichen. Das gilt für die Mitarbeiter von Ministerien, Sicherheitsapparat, Parteiapparat und so weiter, und es gilt aber noch mehr für Handwerker, kleine Gewerbetreibende, die sich sozusagen in den Nischen der DDR-Gesellschaft aufhielten. Das für mich spannendste Beispiel war der einzige, jedenfalls nach meinen Ermittlungen einzige Porschefahrer der DDR: Das war ein ehemaliger Rennfahrer, der in Thüringen eine Werkstatt für Anbauteile für Wartburg und Trabant aufgebaut hatte, Spoiler und so etwas, mit denen die Einheitsautos etwas weniger einheitlich aussahen.
Und der hat sich dann über viele Ecken und Winkel tatsächlich aus Westdeutschland einen gebrauchten Porsche mitbringen lassen und den auch tatsächlich in der DDR angemeldet. Sie sehen, solche Einzelfälle, die dann irgendwann nach 1990 mal in einer Autozeitung aufgespießt worden sind, sind so die kleinen Facetten, an denen man sich festhalten kann zunächst, eine wirklich breite Forschung hierzu steht allerdings noch aus.
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