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Reif für die Insel

Energienetze. - Die Umrüstung der Stromversorgung auf hauptsächlich erneuerbare Quellen ist zumindest in Deutschland beschlossen. Der Weg zu diesem Ziel ist gleichwohl steinig. So muss etwa die Stabilität der Stromnetze gewährleistet sein. Die Azoreninsel Graciosa will in dieser Hinsicht nichts dem Zufall überlassen. Ihre Elektrizität soll ganz aus Wind und Sonne kommen, daher lässt die Inselgemeinde in einem Berliner Labor simulieren, wie das unter realistischen Bedingungen geschehen kann.

Von Sönke Gäthke |
    "Wir haben die Insel Graciosa im Maßstab 1:3 nachgebaut","

    erzählt Clemens Triebel von Younikos. Graciosa gehört zu den Azoren, gerade einmal 5000 Menschen leben auf der Insel. Noch versorgt sie ein Dieselgenerator, doch das soll sich ändern. Die Insel setzt auf Erneuerbare. Wie die Umstellung gelingen kann, soll Clemens Triebel testen.

    ""Das sind die Dörfer, und das ist in diesen hinteren Schränken, sozusagen die elektrische Simulation. Das heißt, wir können – wir können mal hier rüber laufen…"

    In der Halle stehen lange Reihen von grauen Metallschränken gefüllt mit Leistungselektronik. Die spielen die Rolle der Solarzellen, der Windräder, der Stromkabel. Zwei Schränke enthalten eine Batterie.

    "Die sind jetzt von ihrer Leistung her genauso groß wie der Diesel, die können zusammen auch ein MW machen – ich mach das mal auf hier, und die können dieses eine MW sechs Stunden lang bereit stellen."

    Das wichtigste Problem beim Umstellen eines Stromnetzes auf Wind und Solarstrom ist die Balance von Erzeugung und Verbrauch. Sie müssen immer ausgeglichen sein, sonst bricht das Netz zusammen. Messlatte dafür ist die Frequenz im Netz, sie darf nur minimal schwanken. Dafür sorgen bisher besondere Kraftwerke, die ihre Leistung schnell ändern können. Die Versuche der Berliner zeigen jedoch: Das wird in Zukunft nicht mehr funktionieren. Der Diesel-Generator reagiert nicht flexibel genug auf den schwankenden Beitrag der Erneuerbaren, die Frequenz läuft aus dem Ruder. Triebel:

    "Und dieses Problem haben wir auf der Insel bereits sehr früh, auf der Insel quasi, die mit solch einem Diesel versorgt wird, wenn da der Windzubau über 15 Prozent geht, dann wird das Netz gestört."

    Die Schlussfolgerung: Der Dieselgenerator müsste möglichst oft abgeschaltet werden. Einspringen soll stattdessen eine leistungsstarke Batterie. Im Berliner Labor wurden alle Elemente mit moderner Leistungselektronik ausgestattet. Sie steuert das Laden und Entladen der Batterie, bereitet den Strom von PV-Anlagen und Windrädern für das Stromnetz auf. Im Testlauf simulierten Rechner dann das Wetter und den Stromverbrauch der Bewohner.

    "Also wenn Sie im Millisekundenbereich eine Wolke haben, die über die Photovoltaik drüber geht, wenn Sie einen Windstoß haben, eine Böe, oder der Wind ändert seine Richtung sehr schnell, dass die Windkraftanlage nicht folgen kann, dann haben sie da auch eine Störung im Netz, und gleichzeitig möglicherweise haben Sie noch im Dorf in unserem Fall eine Steinmühle, die auf und abgeschaltet wird – und wenn das alles im ungünstigen Fall zusammen kommt, wie schnell kann dann die Batterie darauf reagieren, wie schnell können wir das Netz abfangen, damit es nicht zusammenbricht."

    Wie schnell die Batterie und ihre Elektronik das können, das demonstriert Clemens Triebel auf der Brücke – im Kontrollzentrum. Auf einem Ausdruck sind bunte Säulen zu sehen und in der Mitte eine ganz flache Kurve. Triebel wirkt zufrieden: Das Netz zittert noch nicht einmal

    "Entscheidend für die Ingenieure ist, was passiert hier in diesem Punkt, und man kann eben sehen an den Kurven, dass der Sprung so schnell realisiert wird, dass man keine Netzstörung hat."

    Für Graciosa sind das gute Nachrichten. Technisch lässt sich das Stromnetz der Insel wie geplant auf eine erneuerbare Stromversorgung umrüsten. Die könnte dann auch Vorbild für Europa sein. Denn die Probleme auf einer Insel sind im Prinzip die gleichen wie auf dem Kontinent.

    Hinweis: Am kommenden Sonntag, 13.01., 16:30 Uhr, sendet der Deutschlandfunk in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" ein Feature zur Netzsteuerung nach der Energiewende.