Monatelang holt er jeden Morgen bei ihr seine Brötchen, schmachtet sie an - und kriegt kein Wort raus. So schlimm hat es Brinkmann erwischt. Aber nach einer durchgrübelten Nacht hat er eine kleine Ansprache parat, nimmt all seinen Mut zusammen und da bestellt der junge Kerl in der Schlange vor ihm ganz dreist neben allerlei Backwerk bei Frau Lammers: ein Lächeln.
"Noch verschlossen, hatte sie gestutzt, aber nicht länger als Brinkmann gebraucht, um zu verstehen, was da passierte, und nach anderthalb Wimpernschlägen platzte ihre anmutige Schwermut auf, und mit einem verlegen übertriebenen Ha! entfaltete sie ein Antlitz mit Grübchen, strahlenden, kleinen Zähnen und Brauenspiel. Während sie die Kanne aus der Kaffeemaschine nahm und einschenkte, sagte sie mit aufgehellter Stimme: "Stehen Sie hier mal den ganzen Tag, da würde Ihnen auch das Lachen vergehen!"
Der Autor Frank Schulz liest aus seiner Geschichte "Seele mit Käse". Um verpasste Liebe oder quälende Ehen geht es in vielen Geschichten, auch in der mit dem Titel "Sieben Pferde", die mit einem sinngemäß wiedergegebenen Zitat von Klaus Mann endet: "Heiraten sei der pathetische Versuch, eine Einsamkeit zu überwinden, von der wir ahnten, dass sie endgültig sei."
Dass die Nähe zweier Menschen in einer Ehe existenzielle Einsamkeit erst deutlich hervortreten lassen kann, zeigt Schulzens Geschichte "Der Stich des Bienenmörders". Kaum verheiratet, ist Katja, Arzthelferin aus Hamburg-Hamm, überzeugt, da müsse noch wer Besseres kommen als ihr Florian:
"Es geschah, als sie 24 war, am Pier von Ancona, zu Beginn ihrer Hochzeitsreise im Juni 1993. Obwohl sie ihn auf Anhieb erkannte, jagte ihr sein langer Blick aus dem Führerhaus jenes Fünfundzwanzigtonners Heidenangst ein. Wie eine Spritze ins Rückenmark fühlte sich das an; die Injektion schien endlos zu dauern (literweise süßes Gift), und noch Stunden, nachdem sie den Einstich verschmerzt hatte, war ihre Wirbelsäule wie taub."
Aber Pavlos, der Grieche von apollonischer Schönheit, sieht in Katja nicht die Frau seiner Träume, sondern an ihr vorbei, das Land seiner Träume von künftigem Wohlstand: Deutschland.
Ende des Lore-Romans. Katja landet hart auf dem Boden der Tatsachen.
Frank Schulz, dem man durchaus zugetraut hätte, aus dieser Szene eine Abrechnung mit den Möchtegern-Prinzessinnen dieser Welt zu fabrizieren, beschreibt Katjas hartnäckiges Sich-Verzehren nach dem Traummann voller Anteilnahme und Nachsicht.
Dieser Tenor herrscht in allen Geschichten vor: ein Einverstandensein mit den Vergeblichkeiten menschlichen Strebens, ein abgeklärt wirkendes Verzeihen und Bedauern menschlicher Irrungen und Wirrungen.
Wie beim "King Kong des Ping Pongs": Für seinen Sohn ist Tischtennisass Konopka der Größte. Weniger schmeichelhaft sind die Begegnungen mit seinem Arbeitsberater auf dem Amt. Als der ihn anlächelt und dabei seinen Zahnschmuck mit Smiley drauf entblößt, könnte Konopka vor Zorn zum Berserker werden. Schulzens Freund Harry Rowohlt liest aus "Der King Kong des Ping Pongs":
"Es war, als habe Konopka einen Moment nicht aufgepasst oder als habe er einen Moment geglaubt, sich verhört zu haben oder so, und als sei jener Smiley nun der Beweis für eine nichtsdestoweniger stattgehabte tödliche Verhöhnung oder Demütigung, für eine entscheidende Vernichtungsdrohung, und als die Blendung durch den Kugelblitz nachließ, war Konopka erleichtert zu sehen, dass er dem Typen den Schädel nicht vom Hals geschlagen hatte."
Konopkas Selbstbewusstsein wird auf eine harte Probe gestellt, als er bei einem Tischtennismatch Wochen später plötzlich dem grinsenden Arbeitsberater gegenübersteht.
Frank Schulz schreibt über Arbeitslose, Bulimikerinnen, Hartz-IV-Kinder und einen Milchbub, der eine Arbeiterin totschlägt - sie hat "Schlappschwanz" zu ihm gesagt.
Etliche der Erzählungen haben etwas Reportagehaftes und bebildern Meldungen, die man schon einmal in der Zeitung gelesen hat. Nur dass Schulz nicht zuspitzt, wie Journalisten es tun, sondern abrundet, eine Balance herstellt, so etwas wie Gerechtigkeit für alle, noch für die jämmerlichste Figur. Er wählt die Erzählhaltung eines der Objektivität mächtigen auktorialen Erzählers, der sich über eine Szene beugt und ein Gesamtbild zeigt, wo andere immer nur ihren Ausschnitt zustande bringen.
Die Handlung der "Mehr Liebe" Miniaturen von Frank Schulz scheint einem von höherer Stelle angeordneten Drehbuch zu folgen. Einem Drehbuch mit unprätentiösem Text und ohne den geringsten Rekurs ins theoretische Hochgebirge, wie noch in der Hagener Trilogie. Auf 1500 Seiten fand sich in den zwischen 1991 und 2006 entstandenen Romanen "Kolks blonde Bräute", "Morbus fonticuli" und "Das Ouzo-Orakel" viel Genie und Wahnsinn, abseitig Selbstgenügsames, ein Paralleluniversum von Trinkern, Denkern und Durchwurstlern, die alles daransetzen, ihre Nische nicht verlassen zu müssen.
Mit 52 nun entrinnt Frank Schulz dem Elfenbeinturm der Weltverweigerer, und das tut seinen Geschichten sehr gut:
Ja, ja, die Hafenrundfahrt war seine Idee gewesen. Auswärtige Gäste hatten eine Hafenrundfahrt zu absolvieren, basta! Und vor allem musste er dringend an die Luft. Für zwei derart kapitale Kater wie ihre an jenem Morgen war seine Mansarde zu eng. Schuckert konnte kaum aushalten, wie Zykowski mit seinem Borsalino Gauklertricks übte, während er irgendeinen längst gegessenen Politkäse wiederkäute. Er hoffte, die Hafenfrische möge heilsam wirken auf Zykos alles ankokelnden Ironiezwang, den selbst das Bierbad am Vorabend nicht hatte löschen können. Und der sich direkt nach dem Aufstehen fortsetzte, nur mit klammerer Fahne.
Schulzens Freund Harry Rowohlt mit einem kleinen Auszug aus der Geschichte " Der Schweiß der Hafenarbeiter", in der es um einen Abschied geht. Auch hier gibt’s keine Helden, keine Verlierer, höchstens nach Sympathiewerten. Der Akademiker Schuckert wird am andern Tag sein Taxi wieder durch Hamburg steuern und Zykowski ist mit sich selbst bestraft. Jeder scheitert auf seine Weise.
Früher oder später. Zu denen, die früher ein Ende finden, gehören Sylvia und Dieter. Dieter, der Säufer, erdrosselte seine Geliebte aus Eifersucht, um sich anschließend zu Tode zu trinken. Dieters Arzt und Schulfreund erinnert sich an dessen öffentlich zelebrierten ersten Kuss. Harry Rowohlt:
Doch als Sylvia Görritz Dieter Fotzenschuch küsste – während des Engtanzes, während der schwankenden, gänsehautdünnen Worte ‚So I could’nt believe it/ That you would stand here by me/ Making me strong, so strong’ - , das war unerhört, weil auf freier Wildbahn.
"Mehr Liebe", den Titel des Sammelbandes von Frank Schulz könnte man leicht als Imperativ missdeuten, als hungrigen Schrei der Vernachlässigten. Dabei sind diese beiden Wörter einem Aphorismus von Marie von Ebner-Eschenbach entnommen, der den 22 Geschichten vorangestellt ist: "Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen." Auch dieser Satz führt in die Irre, denn "Mehr Liebe" ist keine Abrechnung, sondern ein Werk warmherzigsten Verstehens und fast buddhistischen Einverstandenseins mit der Welt: reif, humorvoll, süß und weise. Mit 52 ein ganz neuer Frank Schulz.
Der uns zum Schluss noch mit einem guten Witz über die Liebe beglücken soll:
"Warum kucken Frauen Pornofilme immer bis ganz zu Ende?" Wenig auf der Welt würde Bolle davon abhalten, seine Pointe zum Besten zu geben. "Weil", ächzte der denn auch umgehend – "weil sie meinen, am Ende wird geheiratet."
Frank Schulz
Mehr Liebe. Heikle Geschichten
Eine Auswahl
Gelesen von Harry Rowohlt, Peter Jordan und Frank Schulz
2 CD
19,95 Euro (Preisempfehlung)
Hörbuch Hamburg
Erschienen am 4.3.2010
"Noch verschlossen, hatte sie gestutzt, aber nicht länger als Brinkmann gebraucht, um zu verstehen, was da passierte, und nach anderthalb Wimpernschlägen platzte ihre anmutige Schwermut auf, und mit einem verlegen übertriebenen Ha! entfaltete sie ein Antlitz mit Grübchen, strahlenden, kleinen Zähnen und Brauenspiel. Während sie die Kanne aus der Kaffeemaschine nahm und einschenkte, sagte sie mit aufgehellter Stimme: "Stehen Sie hier mal den ganzen Tag, da würde Ihnen auch das Lachen vergehen!"
Der Autor Frank Schulz liest aus seiner Geschichte "Seele mit Käse". Um verpasste Liebe oder quälende Ehen geht es in vielen Geschichten, auch in der mit dem Titel "Sieben Pferde", die mit einem sinngemäß wiedergegebenen Zitat von Klaus Mann endet: "Heiraten sei der pathetische Versuch, eine Einsamkeit zu überwinden, von der wir ahnten, dass sie endgültig sei."
Dass die Nähe zweier Menschen in einer Ehe existenzielle Einsamkeit erst deutlich hervortreten lassen kann, zeigt Schulzens Geschichte "Der Stich des Bienenmörders". Kaum verheiratet, ist Katja, Arzthelferin aus Hamburg-Hamm, überzeugt, da müsse noch wer Besseres kommen als ihr Florian:
"Es geschah, als sie 24 war, am Pier von Ancona, zu Beginn ihrer Hochzeitsreise im Juni 1993. Obwohl sie ihn auf Anhieb erkannte, jagte ihr sein langer Blick aus dem Führerhaus jenes Fünfundzwanzigtonners Heidenangst ein. Wie eine Spritze ins Rückenmark fühlte sich das an; die Injektion schien endlos zu dauern (literweise süßes Gift), und noch Stunden, nachdem sie den Einstich verschmerzt hatte, war ihre Wirbelsäule wie taub."
Aber Pavlos, der Grieche von apollonischer Schönheit, sieht in Katja nicht die Frau seiner Träume, sondern an ihr vorbei, das Land seiner Träume von künftigem Wohlstand: Deutschland.
Ende des Lore-Romans. Katja landet hart auf dem Boden der Tatsachen.
Frank Schulz, dem man durchaus zugetraut hätte, aus dieser Szene eine Abrechnung mit den Möchtegern-Prinzessinnen dieser Welt zu fabrizieren, beschreibt Katjas hartnäckiges Sich-Verzehren nach dem Traummann voller Anteilnahme und Nachsicht.
Dieser Tenor herrscht in allen Geschichten vor: ein Einverstandensein mit den Vergeblichkeiten menschlichen Strebens, ein abgeklärt wirkendes Verzeihen und Bedauern menschlicher Irrungen und Wirrungen.
Wie beim "King Kong des Ping Pongs": Für seinen Sohn ist Tischtennisass Konopka der Größte. Weniger schmeichelhaft sind die Begegnungen mit seinem Arbeitsberater auf dem Amt. Als der ihn anlächelt und dabei seinen Zahnschmuck mit Smiley drauf entblößt, könnte Konopka vor Zorn zum Berserker werden. Schulzens Freund Harry Rowohlt liest aus "Der King Kong des Ping Pongs":
"Es war, als habe Konopka einen Moment nicht aufgepasst oder als habe er einen Moment geglaubt, sich verhört zu haben oder so, und als sei jener Smiley nun der Beweis für eine nichtsdestoweniger stattgehabte tödliche Verhöhnung oder Demütigung, für eine entscheidende Vernichtungsdrohung, und als die Blendung durch den Kugelblitz nachließ, war Konopka erleichtert zu sehen, dass er dem Typen den Schädel nicht vom Hals geschlagen hatte."
Konopkas Selbstbewusstsein wird auf eine harte Probe gestellt, als er bei einem Tischtennismatch Wochen später plötzlich dem grinsenden Arbeitsberater gegenübersteht.
Frank Schulz schreibt über Arbeitslose, Bulimikerinnen, Hartz-IV-Kinder und einen Milchbub, der eine Arbeiterin totschlägt - sie hat "Schlappschwanz" zu ihm gesagt.
Etliche der Erzählungen haben etwas Reportagehaftes und bebildern Meldungen, die man schon einmal in der Zeitung gelesen hat. Nur dass Schulz nicht zuspitzt, wie Journalisten es tun, sondern abrundet, eine Balance herstellt, so etwas wie Gerechtigkeit für alle, noch für die jämmerlichste Figur. Er wählt die Erzählhaltung eines der Objektivität mächtigen auktorialen Erzählers, der sich über eine Szene beugt und ein Gesamtbild zeigt, wo andere immer nur ihren Ausschnitt zustande bringen.
Die Handlung der "Mehr Liebe" Miniaturen von Frank Schulz scheint einem von höherer Stelle angeordneten Drehbuch zu folgen. Einem Drehbuch mit unprätentiösem Text und ohne den geringsten Rekurs ins theoretische Hochgebirge, wie noch in der Hagener Trilogie. Auf 1500 Seiten fand sich in den zwischen 1991 und 2006 entstandenen Romanen "Kolks blonde Bräute", "Morbus fonticuli" und "Das Ouzo-Orakel" viel Genie und Wahnsinn, abseitig Selbstgenügsames, ein Paralleluniversum von Trinkern, Denkern und Durchwurstlern, die alles daransetzen, ihre Nische nicht verlassen zu müssen.
Mit 52 nun entrinnt Frank Schulz dem Elfenbeinturm der Weltverweigerer, und das tut seinen Geschichten sehr gut:
Ja, ja, die Hafenrundfahrt war seine Idee gewesen. Auswärtige Gäste hatten eine Hafenrundfahrt zu absolvieren, basta! Und vor allem musste er dringend an die Luft. Für zwei derart kapitale Kater wie ihre an jenem Morgen war seine Mansarde zu eng. Schuckert konnte kaum aushalten, wie Zykowski mit seinem Borsalino Gauklertricks übte, während er irgendeinen längst gegessenen Politkäse wiederkäute. Er hoffte, die Hafenfrische möge heilsam wirken auf Zykos alles ankokelnden Ironiezwang, den selbst das Bierbad am Vorabend nicht hatte löschen können. Und der sich direkt nach dem Aufstehen fortsetzte, nur mit klammerer Fahne.
Schulzens Freund Harry Rowohlt mit einem kleinen Auszug aus der Geschichte " Der Schweiß der Hafenarbeiter", in der es um einen Abschied geht. Auch hier gibt’s keine Helden, keine Verlierer, höchstens nach Sympathiewerten. Der Akademiker Schuckert wird am andern Tag sein Taxi wieder durch Hamburg steuern und Zykowski ist mit sich selbst bestraft. Jeder scheitert auf seine Weise.
Früher oder später. Zu denen, die früher ein Ende finden, gehören Sylvia und Dieter. Dieter, der Säufer, erdrosselte seine Geliebte aus Eifersucht, um sich anschließend zu Tode zu trinken. Dieters Arzt und Schulfreund erinnert sich an dessen öffentlich zelebrierten ersten Kuss. Harry Rowohlt:
Doch als Sylvia Görritz Dieter Fotzenschuch küsste – während des Engtanzes, während der schwankenden, gänsehautdünnen Worte ‚So I could’nt believe it/ That you would stand here by me/ Making me strong, so strong’ - , das war unerhört, weil auf freier Wildbahn.
"Mehr Liebe", den Titel des Sammelbandes von Frank Schulz könnte man leicht als Imperativ missdeuten, als hungrigen Schrei der Vernachlässigten. Dabei sind diese beiden Wörter einem Aphorismus von Marie von Ebner-Eschenbach entnommen, der den 22 Geschichten vorangestellt ist: "Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen." Auch dieser Satz führt in die Irre, denn "Mehr Liebe" ist keine Abrechnung, sondern ein Werk warmherzigsten Verstehens und fast buddhistischen Einverstandenseins mit der Welt: reif, humorvoll, süß und weise. Mit 52 ein ganz neuer Frank Schulz.
Der uns zum Schluss noch mit einem guten Witz über die Liebe beglücken soll:
"Warum kucken Frauen Pornofilme immer bis ganz zu Ende?" Wenig auf der Welt würde Bolle davon abhalten, seine Pointe zum Besten zu geben. "Weil", ächzte der denn auch umgehend – "weil sie meinen, am Ende wird geheiratet."
Frank Schulz
Mehr Liebe. Heikle Geschichten
Eine Auswahl
Gelesen von Harry Rowohlt, Peter Jordan und Frank Schulz
2 CD
19,95 Euro (Preisempfehlung)
Hörbuch Hamburg
Erschienen am 4.3.2010