Archiv

Reihe "Auf der Suche nach dem Wir" (Teil II)
Welche einigende Kraft hat Sprache noch?

Kann die Sprache Spaltungen überwinden, oder polarisiert sie stattdessen nur noch mehr? Als Schriftstellerin interessiere sie vor allem, was Sprache als Übertragung leisten könne, sagte Kathrin Röggla im Dlf. Doch die Dynamik der letzten Jahre widerspreche zunehmend dem Prinzip des Gesprächs.

Kathrin Röggla im Gespräch mit Anja Reinhardt |
Kathrin Röggla auf der Frankfurter Buchmesse
Die Schriftstellerin Kathrin Röggla auf der Frankfurter Buchmesse (Deutschlandradio / Susanne van Loon)
Auffallend oft war in den letzten Jahren von einer Spaltung der Gesellschaft die Rede. Ein globales Phänomen von Kulturkämpfen, sozialen Gefällen und Abschottung. Welche Kraft kann Sprache hier entfalten? Sprache stelle zunächst eine Verbindung her, sagte die Schriftstellerin Kathrin Röggla.
Sprache in Verschwörungstheorien 
Mit gezieltem Vokabular suggerierten Verschwörungstheorien, "dass hinter der offiziellen Darstellung eine verborgene Wahrheit liegt", sagte der Germanist David Römer im Dlf.
"Mich interessiert vor allem dieser Zwischenbereich, das, was Sprache kann, an Affektion und Infektion, was sie sozusagen mit uns macht." Laut Röggla haben wir vor allem in den letzten Jahren "weniger eine Kultur des Zuhörens als eine Kultur des Sprechens entwickelt. Wenn wir an Solidarität denken, gehört das Zuhören auch dazu und die Offenheit, andere Positionen wahrzunehmen, andere Perspektiven wahrzunehmen."

Gerechte Sprache wird als autoritärer Akt empfunden

Die Dynamik der letzten Jahre widerspreche dem Prinzip des Gesprächs zunehmend. Das könne man zum Beispiel an der Debatte um politisch korrekte Sprache beobachten. Deren Gegner nähmen ein Gendersternchen als "autoritärer Akt von oben" wahr, dem man sich widersetzen müsse, so die Schriftstellerin. Häufig sei das auch mit frauenfeindlichen Positionen verbunden. "Das ist auch immer interessant, wie es weitergeht. Das ist so ähnlich wie mit den Verschwörungstheorien. Die bleiben dann auch nicht stehen, sondern radikalisieren sich im Sprechen."

Aggressive Opfer-Positionen

Die Sprache habe dort eine einende Kraft, wo sie Pluralität anerkenne. "Plural ist nicht unbedingt Spaltung. Spaltung ist Ausgrenzung. Es geht darum, den Plural auszuhalten, zu merken, wir haben verschiedene Perspektiven. Aber dennoch wollen wir den solidarischen Raum", so Röggla.
Gendern im Journalismus 
Die Diskussion über geschlechtergerechte Sprache gibt es seit Jahrzehnten. Inzwischen ist es in vielen Redaktionen normal, nicht immer allein auf die männliche Formulierung zurückzugreifen.
Doch statt Solidarität gehe es zunehmend um etwas anderes in gesellschaftlichen Zusammenhängen. "Wir erleben eine Geschwindigkeit oder Beschleunigung in der Frage, wer nimmt welche Opferposition ein, und dass Opferpositionen plötzlich von sehr aggressiver Seite eingenommen werden."
Welche Möglichkeiten also hat die Sprache dann noch? "Ich habe mich vorletztes Jahr mit dem Witz und der Komik sehr stark beschäftigt, und das ist schon eine gute Kraft, da etwas dagegenzusetzen."