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Reihe: "Auf der Suche nach dem Wir" (Teil IV)
Woher kommt die Sehnsucht nach einfachen Erklärungen?

Die Wahl im November? "Gestohlen". Klimawandel? Gibt es nicht. Die Medien? Lügen. Das sind die Wahrheiten des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump. Mit seiner Schwarz-Weiß-Politik habe er Menschen angesprochen, die nach einfachen Erklärungen suchten, sagte die Journalistin Melinda Crane im Dlf.

Melinda Crane im Gespräch mit Anja Reinhardt |
02.09.2015,Berlin,Deutschland,GER,IFA Internationale Funkausstellung. 1. Pressetag. Eröffnungspressekonferenz, Melinda Crane, Moderatorin 02 09 2015 Berlin Germany ger IFA International Radio exhibition 1 Pressetag Opening press conference Melinda Crane Presenter
Trumps Politik sei eine Politik für die Reichen, für die wohlhabenden Bürger, für die großen Firmen, sagte die US-Publizistin Melinda Crane im Deutschlandfunk. (imago )
Einfache Erklärungen, wie sie von Populisten verbreitet werden, spalten Gesellschaften. Die komplexe Realität werde damit verneint oder auf Unwahrheiten reduziert. Die amerikanische Journalistin Melinda Crane, politische Chef-Korrespondentin bei der Deutschen Welle, sieht in Donald Trump die einfache Antwort auf eine schwierige Situation in den Vereinigten Staaten. Die sei brandgefährlich, wie man am Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2020 gesehen habe. "Das war abzusehen. Wir konnten in den letzten zehn Monaten immer wieder in den Bundesländern Ereignisse sehen, die genau in diese Richtung gegangen sind. Ich denke zum Beispiel an Michigan, wo es im Frühjahr nach dem Lockdown eine Protestaktion im Landtag gegeben hat, wo schwer bewaffnete Milizen-Mitglieder in die Legislatur gedrängt haben und aus der Galerie zugeschaut haben, während die Landtagsabgeordneten versucht haben, Gesetze zu verabschieden. In großer Angst und unter großem Protest."

Trumps Politik war eine Politik für die Reichen

Warum aber sind 74 Millionen Amerikaner, die Donald Trump im November gewählt haben, so empfänglich für dessen einfache Wahrheiten? Melinda Crane sieht durchaus Widersprüche: "Er hat den Menschen, die das Gefühl haben, seit Jahren nicht mehr von einer elitären Politik gesehen zu werden, im Stich gelassen worden zu sein, denen hat er versprochen, dass er sich um sie und ihre Bedürfnisse und ihre Ideen kümmern würde. Er hat das nicht faktisch getan. Die Politik, die er machte, gerade auch die wirtschaftliche Innenpolitik, war absolut für die Reichen, für die wohlhabenden Bürger, für die großen Firmen."

Abrutschen der Arbeiterklasse in den Neunziger Jahren

Das könne man nur erklären, wenn man weiter zurückblicke, in die Zeit der demokratischen Regierung Bill Clintons. Da seien "viele weiße Amerikaner der unteren Mittelschicht und auch der Arbeiterschicht abgerutscht, die früher in Gewerkschaften organisiert waren, die gut bezahlte Jobs hatten, diese Jobs verloren haben und zunehmend in schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs oder gar arbeitslos geworden sind." Diese Politik der Demokraten und auch anderer Politiker betrachteten die Trump-Wähler als elitär und ignorant.

Polarisierung durch Medien mit einfachen Botschaften

An der Verbreitung einfacher Wahrheiten seien aber auch die Medien schuld, so Melinda Crane, die darauf verweist, dass im Gegensatz zu Deutschland mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die USA ganz anders aufgestellt seien. Zum einen seien Sender wie Fox News hochideologisch, zum anderen sind Medien Wirtschaftsunternehmen. "Es gibt viele Menschen, angefangen bei Rupert Murdoch bei Fox News, die von der Polarisierung profitieren, die ein großes Interesse haben an einer Deregulierung. Dadurch wird eine neoliberale Ideologie am Leben erhalten, die auch sehr einfache Antworten auf sehr komplexe Problemlagen bietet. All diese Faktoren sind zum Teil auch in europäischen Demokratien präsent, aber lange nicht in dem Ausmaß wie in den Vereinigten Staaten."