Kathrin Hondl: "Eine Frage der Zeit" so heißt unsere Gesprächsreihe zum Jahresanfang hier in Kultur heute. Und, na ja, die Zeit, das ist natürlich erstmal unsere Lebenszeit – Geburt, Kindheit, Jugend, Erwachsensein, älter werden, alt sein, Tod. Und immer tickt die Uhr – so ist das nun mal bei uns Menschen. Vielleicht aber gibt es da doch gewisse Unterschiede: "Männer werden älter, Frauen werden alt gemacht!" Diesen bedenkenswerten Satz hat die Journalistin und Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, Bascha Mika geschrieben – in ihrem Buch "Mutprobe" – Untertitel: "Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden"… Und Bascha Mika ist heute unser Gesprächsgast.
Ist, Frau Mika, Älterwerden also nicht nur eine Frage der Zeit sondern auch des Geschlechts?
Bascha Mika: Unbedingt! Vor allen Dingen ist es keine Frage der Biologie, wie man so im ersten Moment denken würde, so nach dem Motto, alle werden noch älter und eigentlich fängt das Altern bereits bei der Stunde der Geburt an. Aber nein: Es gibt neben dem biologischen Alter eben auch noch so etwas wie ein soziales Alter. Das heißt ein Alter, das gesellschaftlich gemacht wird, und darum geht es mir.
"Auch Männer kommen in die Wechseljahre"
Hondl: Aber trotzdem – Sie haben das Stichwort Biologie genannt. Und wenn man jetzt vom Unterschied zwischen Frauen und Männern spricht, dann gibt es schon vor dem "richtig alt werden" diese berühmte biologische Uhr, die bei Frauen tickt und bei Männern eben nicht.
Mika: Wenn ich Sie unterbrechen darf? – Sie tickt bei Männern natürlich genauso. Aber es gehört zu dem Spiel, um das es hier geht, dass wir darüber nicht reden. Auch Männer kommen zum Beispiel in die Wechseljahre. Nur sagt das niemand. Männer haben zum Teil dieselben Phänomene in den Wechseljahren wie Frauen, aber niemand spricht darüber.
Mir geht es dabei nicht um das hohe Alter von Menschen. Das ist sehr gut erforscht. Wir haben ja eine richtige Alternsforschung. Das finde ich immer so hübsch, dass es heißt, Alternsforschung und nicht Altersforschung. Das ist wirklich gut untersucht und da sind auch sehr viele kluge Leute dabei, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Aber mit dem mittleren Alter und mit dem Prozess des älter Werdens und inwieweit das von den Geschlechtern abhängig ist, dazu gibt es eigentlich fast gar nichts. Damit beschäftigt sich niemand und darum geht es mir.
Hondl: Und Sie haben es getan, Sie haben sich damit beschäftigt. Und Sie sagen, Frauen werden alt gemacht.
Mika: Genau!
Der Blick auf Frauen ist ein anderer
Hondl: Wer macht Frauen alt und warum, Frau Mika?
Mika: Alle machen Frauen alt, um es mal deutlich zu sagen. Mit "alle" meine ich einerseits so etwas Unfassbares wie die Gesellschaft, die man ja nicht einfach am Kragen packen kann und sagen kann, so, jetzt ändere das mal, liebe Gesellschaft. Aber es ist ein gesellschaftliches Phänomen, das sich eigentlich über Jahrtausende herausgebildet hat.
Aber dann gibt es natürlich auch Beziehungen unter Menschen im gesellschaftlichen Bereich, im privaten Bereich, und auch da ist es so, dass Frauen alt gemacht werden, und zwar sowohl von Männern und Frauen. Das muss man dazusagen. Das heißt, wir haben einen Blick gelernt, sowohl der weibliche als auch der männliche Blick, der auf Frauen schaut und dabei sozusagen andere Vorzeichen davorsetzt, vor das Alter und die Wahrnehmung von Frauen und Männern.
Hondl: Sie zitieren in Ihrem Buch ja auch gleich am Anfang George Clooney, der mal gesagt hat: "Männer haben einen erheblichen Vorteil: Wir kriegen Falten, werden fett und glatzköpfig oder weißhaarig, und keinen kümmert’s" Und bei Frauen kümmert’s offenbar?
Mika: Ganz genau. – George Clooney ist übrigens ein sehr schönes Beispiel, weil er ist ja das hübscheste Knittergesicht Hollywoods, und er wurde zum sexiest man alive, also zum Sexsymbol gekürt. Da war er weit über 40 und hatte schon mehr als eine Falte. Das ist bei Frauen eigentlich kaum denkbar, obwohl – das muss man sagen – hat sich ja in den vergangenen Jahrzehnten etwas geändert. Es ist nicht mehr so, dass wir mit demselben abwertenden Blick auf Frauen schauen wie, sagen wir mal, noch vor 40, 50 Jahren. Heute sind Frauen im Durchschnitt zehn Jahre älter, wenn sie älter, wenn sie alt sind.
Hondl: Ja, genau. Wie war das? 50 ist das neue 40 oder so.
Mika: Ganz genau.
Oft sind die Frauen auch untereinander gnadenlos
Hondl: Okay. – Aber, um jetzt noch mal auf dieses Clooney-Zitat zurückzukommen: George Clooney selbst ist wahrscheinlich kein so ein gutes Beispiel. Aber diese vermeintliche Trotzdem-Attraktivität von dicken, glatzköpfigen, faltigen, fetten Männern, die funktioniert doch auch nur, wenn Frauen da mitspielen, oder? Haben nicht Frauen auch ihre Rolle in diesem höllischen Spiel, wie Sie es nennen?
Mika: Ganz genau! Das meinte ich vorhin, als ich sagte, es sind nicht nur Männer, die diesen abwertenden Blick haben auf Frauen, sondern es sind auch wir Frauen selbst. Wir untereinander sind völlig gnadenlos. Wir gucken eine andere Frau an und denken, wenn wir sie zum Beispiel im Fernsehen sehen, na ja, sollte sie nicht vielleicht doch ein Tuch tragen, wenn sie so einen faltigen Hals hat. – Wir haben dieses System, das die älter werdende Frau abwertet, völlig übernommen. Wir haben uns sozusagen identifiziert mit einem Muster, das uns selbst abwertet, und gleichzeitig leiden sehr viele Frauen darunter und bemühen sich wahnsinnig, nicht so betrachtet zu werden, nicht nach außen hin als alt angesehen zu werden. Und was die Kosmetik-Industrie daran verdient, darüber wollen wir gar nicht erst reden.
Die Gesellschaft verknüpft Attraktivität mit Leistungsfähigkeit
Hondl: Ihre Forderung in dem Buch, die ist ja im Grunde – ich hoffe, das ist jetzt nicht zu grob zusammengefasst -, im Grunde sagen Sie ja, auch ältere Frauen sollten oder müssten als attraktiv wahrgenommen werden. Geht es Ihnen letztlich darum, irgendwie neu zu erfinden, was wir schön finden?
Mika: Ja, ganz genau. Es hat auch ganz konkrete Auswirkungen bis hin in die Arbeitswelt und bis hin in die Beziehungswelt. Eine Frau, sagen wir mal, um die 50 hat es fünfmal so schwer, mindestens, einen gleichwertigen Partner zu finden als ein Mann.
Wenn ein Mann, egal ob nun durch die neuen Beziehungsbörsen oder ganz klassisch durch eine Anzeige, eine Frau sucht, dann ist sie in der Regel 20 Jahre älter, die er sich da vorstellt, und er bekommt sie häufig auch noch. Das heißt, in der Beziehungswelt gilt dieser doppelte Standard. Er gilt in der Arbeitswelt, weil Attraktivität mit Leistung verknüpft wird. Und wenn Frauen, die älter werden, nicht mehr als so attraktiv wahrgenommen werden, dann wird ihnen auch eine bestimmte Leistungsfähigkeit abgesprochen.
Hondl: Ist das tatsächlich so? Sie wären ja zum Beispiel das perfekte Gegenbeispiel als Chefin der Frankfurter Rundschau mit Anfang 60.
Mika: Ja, das stimmt. Aber ich bin da tatsächlich, so bitter es ist, für mich nicht, aber für sozusagen die gesellschaftliche Wahrnehmung, ich bin da einfach die große Ausnahme. Ich bin mit 60 als Chefredakteurin zur Frankfurter Rundschau gekommen. Für die meisten Frauen ist – und seien sie noch so qualifiziert – mit dem Aufstieg in höhere Positionen meistens mit um die 50 Schluss, während es für Männer so ist: die werden noch mit 70 in Aufsichtsräte berufen, und dazu gibt es jede Menge Studien. Und auch, was die Attraktivität in Verbindung mit Leistungsfähigkeit angeht; das hört sich ja so absurd an. Auch dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, die das belegen. Das ist nicht einfach nur eine Vorstellung, die man sich so macht, sondern nein, das ist tatsächlich belegt, dass Frauen es in der Arbeitswelt schwerer haben, wenn sie älter werden, weil das auch etwas mit der Abwertung des weiblichen Älterwerdens zu tun hat.
#Metoo-Debatte könnte etwas verbessern
Hondl: Seit Oktober, seit ein paar Wochen/Monaten, haben wir weltweit jetzt eine Debatte über Sexismus und sexualisierte Gewalt, die sogenannte #Metoo-Debatte. Meinen Sie denn, diese Debatte könnte vielleicht sogar auch mit Blick auf diese Altersdiskriminierung von Frauen etwas bewirken, was Positives bewirken? Es gibt ja eine Idee, die immer wieder auch zu hören war in den letzten Wochen, dass man die mächtigen alten Männer, die ihre Macht sexuell missbrauchen, jetzt durch mächtige alte Frauen ersetzen sollte.
Mika: Selbstverständlich ist es so, dass von dem Moment an, wo Frauen auch an der Spitze sind, egal wo, hoffentlich überall, dass sich das Klima ändert und dass Männer nicht mehr unter sich ihre Drecksdinger machen können. Von daher ist die #Metoo-Kampagne auch wichtig in diesem Zusammenhang. Und grundsätzlich ist es immer gut, wenn über Ungleichbehandlung, Ungerechtigkeit, Sexismus, Diskriminierung von Frauen gesprochen wird, egal in welchem Zusammenhang, weil dadurch natürlich eine Debatte lebendig gehalten wird und das Problem grundsätzlich immer wieder ins Bewusstsein gerückt wird, und da ist einfach noch so viel zu tun, dass wir ständig daran arbeiten müssen. Und wir müssen wie gesagt als Frauen – wir sprachen ja darüber, dass wir Frauen dieses ganze verdammte System unterstützen -, auch wir Frauen müssen sagen, Schluss jetzt damit, wir machen nicht mehr mit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.