"Man glaubt es nicht, es bis heute so, tatsächlich so: Wenn man irgendwo hinkommen und werde gefragt, wo kommst du denn her – na, aus Hoyerswerda. Oh Gott, das muss ja gruselig sein."
Der Architektin und Ausstellungsmacherin Dorit Baumeister ist die Last und die Lust an ihrer Heimatstadt Hoyerswerda deutlich anzusehen. Das Gruselige, das sie anspricht – damit sind vor allem die ausländerfeindlichen Übergriffe aus dem Jahr 1991 gemeint. Hinzu kamen damals Massenarbeitslosigkeit und die damit verbundene Abwanderung in den Neunziger Jahren. Hoyerswerda, lange ein Synonym für ostdeutsche Tristesse.
Doch nun, 25 Jahre nach dem Mauerfall, gibt es einige Pioniere, die sich Gedanken über die Zukunft der Stadt machen.
Verbindung zur Kindheit
Dorit Baumeister zählt dazu. Sie hat Architektur studiert wie ihr Vater, mit dem sie 1992 ein gemeinsames Büro in Hoyerswerda eröffnete.
Es war eine Rückkehr in die Stadt ihrer Kindheit. Eine Stadt, die ihr Vater als Architekt in der DDR entscheidend mitgeprägt hatte. Die junge Architektin erlebte eine Stadt, die mit ihrem Schicksal haderte - nachdem das Werk Schwarze Pumpe, der einst größte Braunkohleveredelungsbetrieb der Welt, schrittweise stillgelegt wurde.
"Ja, Anfang der 90er Jahre da gab es die Schließung von Schwarze Pumpe, dann kamen die Massen-Entlassungswellen. Von Beginn an habe ich gespürt, dass Menschen die Stadt verlassen. In Größenordnungen. Das habe ich gesehen und gespürt."
Ihr Vater hatte die Stadt aufgebaut, doch schon kurz nach ihrer Ankunft ahnte sie, dass ihre eigene Arbeit möglicherweise viel mit Abriss zu tun haben könnte.
Ein Abriss auch der Plattenbauten der sozialistischen Modellstadt, mit denen sie viele glückliche Erinnerungen an Kinder- Jugendtage verband.
"Wir waren permanent draußen. Kurze Schulwegen. Viele Kinder zum Spielen. Es war lebendig, quicklebendig."
Heute sitzt die 52-Jährige an ihrem großen Planungstisch in einem hellen Büro.
Hoyerswerda als sozialistische Modellstadt
Baumeister beugt sich über einen alten Stadtplan aus den Wendejahren. Draußen vor dem Büro weht ein Sommersturm in drückender Hitze Laub und Blüten durch die menschenleeren Straßen.
"Neustadt ist eine Pilotstadt der Moderne. Bestand, was das Thema Wohnen betrifft, aus sieben Wohnkomplexe entlang einer Magistrale. Dann gab es das Zentrumsgebiet. Mit den Funktionen Handel, Dienstleistung, Kultur, Bildung."
Jeder sogenannte Wohnkomplex war eine kleine Stadt für sich. Mit Schule und Nahversorgung.
70.000 Menschen lebten einst in Hoyerswerda, davon über 50.000 in der Neustadt. Arbeiten in Schwarze Pumpe, schlafen in Hoyerswerda - so funktionierte die sozialistische Modellstadt über Jahrzehnte. Heute zählt die Stadt noch 34.000 Bewohner – die Zahl hat sich mehr als halbiert. Statistisch betrachtet ist Hoyerswerda die am schnellsten schrumpfende Stadt in ganz Deutschland. Und da flackert er wieder auf – dieser Gegensatz: die Last des Niedergangs der Stadt und die Lust, sich künstlerisch damit auseinanderzusetzen.
Der Schrumpfungsprozess war ein Schock für die Bewohner. Doch während einige es zu verdrängen versuchten, konzipierte Dorit Baumeister das Projekt namens Super-Umbau:
"Wir haben dann konkret in Wohnkomplex 8 was gemacht. Da haben wir einen ehemaligen Kindergarten wieder aufmachen dürfen. Die Kunstaktion war, dass der Wohnblock öffentlich abgerissen worden ist. Dieses Projekt hat sich sechs Wochen in Hoyerswerda installiert. Am Ende war die Raseneinsaat."
Projekt "Super-Umbau" als Kunst-Event
Die Stadt als Labor, der Abriss als Kunst-Event, es war der Versuch, das Lebensgefühl einer schrumpfenden Stadt in Worte zu fassen. Auf "Super-Umbau", das erste Projekt 2003, folgten weitere Kunstaktionen: die Dritte Stadt oder Orange Box. Ein Projekt mit Schülern nannte die Gruppe um Baumeister "Hoytopia", eine Wortneuschöpfung aus Hoyerswerda und Utopia.
Doch Dorit Baumeister erntete für ihr Engagement nicht nur Begeisterung – lange Zeit galt sie als Nestbeschmutzerin.
"Aber es gab auch viele, die gesagt haben, die ist verrückt. Jetzt legt die den Finger in die Wunde und erzählt der Welt davon. Geht noch nach draußen damit und macht das alles noch richtig öffentlich, unser Riesenproblem hier."
Hoyerswerda schrumpft und wir dürfen das nicht unter den Teppich kehren. Baumeister findet, dass nach Jahren des Zögerns, Zauderns und Wegsehens dies endlich auch in der Stadtverwaltung angekommen ist.
"In den letzten Jahren werden wir auch sehr wahrgenommen über das Thema Stadtumbau. Deswegen bin ich auch sehr viel in der Republik unterwegs. Um Vorträge darüber zu halten, wie man den Stadtumbau gestalten kann."
Eine Pilotkommune des Stadtumbaus
Bürgermeister Stefan Skora, CDU, sieht Hoyerswerda mittlerweile sogar in einer Pionierrolle: Als Schrumpfungslabor, das wertvolle Ergebnisse auch für westdeutsche Städte liefern könnte. Er freut sich, dass damit endlich mal ein positiver Aspekt mit seiner Stadt verbunden wird.
"Und deswegen wurden wir in den letzten Jahren als Pilotkommune des Stadtumbaus in Deutschland wahrgenommen."
Zurück zu Dorit Baumeister. Wer ihr eine Weile zugehört hat, fängt an, Hoyerswerda mit anderen Augen zu sehen. Nach einer Stunde könnte man sich sogar vorstellen, hierher zu ziehen - so begeistert erzählt sie von dieser Stadt, die Heimat für Menschen ist, die Freiräume nutzen wollen.
"Wir machen hier so viele irre Sachen, dass ich immer denke, wenn ihr wüsstet, wie spannend das ist, in den letzten zehn Jahren in dieser Stadt zu leben."