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Reihe Einheitscheck
Ost und West aus der Vogel-Perspektive

Regierungschef in einem West- und anschließend in einem Ostbundesland - das hat Bernhard Vogel bis heute keiner nachgemacht. Und noch heute ist dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und von Thüringen präsent, wie unterschiedlich vor einem Vierteljahrhundert die Mentalitäten, die sozialen und politischen Bedingungen waren.

Von Ludger Fittkau | 17.07.2014
    Bernhard Vogel stellt am 14.10.2012 sein Buch "Mutige Bürger braucht das Land" auf der Buchmesse Frankfurt vor.
    Der CDU-Politiker Bernhard Vogel regierte in Rheinland-Pfalz und in Thüringen (picture alliance / dpa / Susannah V. Vergau)
    Ein geräumiger Bungalow in einer ruhigen 60er-Jahre-Siedlung am Rande von Speyer. Bernhard Vogel öffnet persönlich die Tür, geht voraus ins Wohnzimmer. Die Schiebetür zur Terrasse ist weit geöffnet. Er freue sich über die Sommerwärme, die in das Haus strömt, sagt der leger gekleidete Mann in den 80ern, dessen Stimme immer noch viel jünger klingt.
    "Gott schütze Rheinland-Pfalz".
    Mit diesen Worten verabschiedete sich Bernhard Vogel 1988 als Ministerpräsident aus dem tiefsten Westdeutschland. Zwölf Jahre lang hatte er dort regiert. Und schon kurz danach sollte er sich auf ein Land einlassen, wo die Leute auf Gottes Schutz weit weniger gaben: Thüringen.
    "In Rheinland-Pfalz bekennen sich mehr als Zweidrittel der Bevölkerung zu einer dieser beiden christlichen Kirchen. In Thüringen und in allen jungen Ländern sind es höchstens 25 bis 30 Prozent. Und zwar nicht in der ersten, sondern in der dritten Generation. Hier liegt in der Tat ein wesentlicher Unterschied, und hier liegt eine Folge der sozialistischen Herrschaft, die auch für die Zukunft bestimmend sein wird."
    Regierungschef in einem West- und anschließend in einem Ostbundesland - das hat Bernhard Vogel bis heute keiner nachgemacht. Und noch heute ist ihm präsent, wie unterschiedlich die Mentalitäten waren vor einem Vierteljahrhundert, die sozialen und politischen Bedingungen in den beiden Bundesländern, die er regierte.
    Rheinland-Pfalz war bis zur Wende ganz nahe an der "Bonner Republik", konservativ, christlich geprägt. Thüringen hingegen war in der DDR ein atheistisch anmutendes Peripherieland - weit weg von Ostberlin. Vogel schaut heute gern die "Tagesschau" von früher, die aus der Zeit vor dem Mauerfall, um sich zu vergegenwärtigen wie die Zeiten waren.
    "Ich sehe die Sendungen mit größtem Erstaunen. Schon deswegen, weil mir vieles wieder bewusst wird, was ich längst vergessen hatte."
    Überhaupt hält Vogel die Erinnerung gern wach, hält sich auf dem Laufenden über seine Bundesländer. Der 82-Jährige lebt schon lange wieder am Rhein, seit dem Ende seiner Regierungszeit in Thüringen 2003. Aber in der geräumigen Sitzecke seines Bungalows in Speyer liest Vogel bis heute eine Erfurter und eine Mainzer Regionalzeitung - um den Vergleich zu haben.
    Vogel sieht Thüringen heute gut aufgestellt
    Und der Vergleich mag manchen verblüffen. Denn so sehr der Katholik Vogel hadert mit der eher religionsfernen ethischen Grundhaltung und Alltagskultur in Thüringen, in Wirtschaft und Wissenschaft sieht er das Bundesland im Vergleich zu vielen anderen ganz weit vorn.
    "Wir liegen jetzt grob gesagt unter den 16 auf Platz 12. Aber meine Zukunftsperspektive ist natürlich, dass Thüringen den Platz einnehmen sollte, den es ohne deutsche Teilung selbstverständlich eingenommen hätte - und das ist unter den vordersten Plätzen und nicht in der Mitte."
    Und: Thüringen kommt dabei 25 Jahre nach dem Mauerfall für den ehemaligen Doppel-Regierungschef strukturell besser weg als sein Rheinland-Pfalz:
    "Rheinland-Pfalz war - auch zu Zeiten Helmut Kohls vor allem - Zentrum in der alten Bundesrepublik. Nahe bei Bonn und sehr eng auch personell verbunden mit Bonn und der Bundeshauptstadt. Das ist heute nicht mehr so. Und deswegen ist mein Rat: Rheinland-Pfalz sollte etwas mehr über die Ziele seiner Zukunft und nicht nur über die Bewältigung seiner Gegenwartsaufgaben nachdenken."
    In Bildung und in Zukunft investieren
    Besonders ärgert Vogel die Unterfinanzierung der rheinland-pfälzischen Unis. In seiner Zeit als Kultusminister und später Ministerpräsident in Mainz hatte er sich für sie stark gemacht. Auch später in Thüringen gründete er neue Hochschulen, gab Geld.
    "In Erfurt eine Universität zu gründen, war mir ein besonderes Herzensanliegen. Wäre Erfurt im Westen Deutschlands gelegen, wäre in den 70er-Jahren, wo viele Universitäten in Westdeutschland neu entstanden sind, selbstverständlich auch in Erfurt die alte Universität, die zu Napoleons Zeiten geschlossen worden war, wiederentstanden."
    Und wenn er den Thüringern Gott schon nicht näherbringen konnte, wollte er ihnen zumindest einen Erfurter in Erinnerung rufen, der ihm stets viel bedeutete. Der in der DDR aber als "bürgerlicher" Autor galt und somit für den Aufbau des Sozialismus in der Lesart der Parteiideologen nicht bedeutsam war:
    "Der Name Max Weber war für mich nicht nur wichtig, weil ich bei seinem Bruder Alfred Weber in Heidelberg noch studiert hatte, sondern weil beide Webers in Erfurt geboren worden sind und ich beispielsweise dafür gesorgt habe, dass an das Geburtshaus eine Gedenktafel für beide errichtet wurde, was zu DDR-Zeiten natürlich undenkbar gewesen wäre."
    Thüringen: Vom Rand ins Zentrum
    Undenkbar war vor dem Mauerfall auch, dass Thüringen seine zentrale Lage in Deutschland eines Tages wieder ausnutzen würde: Die Nähe nicht nur zu Sachsen und Sachsen-Anhalt, sondern eben auch zu Bayern und Hessen. Wenn Vogel an Thüringen denkt, ist es nicht nur Teil der ehemaligen DDR. Vogel denkt an die Tradition davor, in der Thüringen offener war als Rheinland-Pfalz:
    "Die berühmtesten Thüringer sind keine Thüringer: Goethe und Schiller. Und viele andere sind in dieses offene Land zugewandert. Rheinland-Pfalz war demgegenüber viel stärker dadurch geprägt, dass es über Generationen Aufmarschgebiet für die feindliche Auseinandersetzungen mit dem angeblichen Erzfeind Frankreich gewesen ist. Die Grenzen von Rheinland-Pfalz, jedenfalls nach Westen, waren geschlossene Grenzen. Thüringen hat, bis die Zonengrenze widernatürlicherweise gezogen wurde, immer offenen Grenzen gehabt."