"Also, wenn man hier gegen kam, ging das los ..."
Im alten Fischerhaus steht die Zeit scheinbar still. Verblasste Fotos zeigen Wachtürme im Flutlicht, Hunde auf Patrouille. An den Wänden ringsum zeugen Landkarten von der einst so strategischen Lage: Schnackenburg an der Elbe war die letzte Bastion des Westens, auf drei Seiten bedrängt von den Grenzsoldaten der DDR.
"Die sind hier mit ihren Schnellbooten immer rauf und runter gefahren. Wir haben an und für sich immer versucht, zu grüßen. Aber von drüben kam keine Erwiderung - durften sie auch nicht!"
Ulrich Bethge organisiert das kleine Grenzlandmuseum. Ein ehemaliger Zöllnerkollege hilft mit. Mindestens 26 Mauertote allein an ihrem Grenzabschnitt - auch daran wollen die Veteranen die Nachgeborenen erinnern.
"Wir möchten das dokumentieren, was gewesen ist. Dass die Leute eingesperrt wurden. Und wenn ich jetzt von Deutschland nach Deutschland wollte, musste ich da mit meinem Leben bezahlen."
Schnackenburg bekam die Einheit nicht gut
Auf seinem Stuhl am Eingang wartet Bethge auf Besucher. Oft viele Stunden lang. Er ist umstellt von mannsgroßen Puppen. Sie tragen die Uniformen der entsorgten Obrigkeit. Früher, als Schnackenburg noch ein Begriff war, wurden die Westler in ganzen Busladungen herangekarrt: Einmal mit dem Feldstecher über den Zaun hinweg ins andere Deutschland lugen. Im Schutzhafen lagen die Lastkähne damals in Reihe vertäut. Die Schiffer brachten Kohle und Getreide für das umzingelte Berlin.
"Aber bevor sie weitergefahren sind, haben sie hier immer eingekauft. Weil sie nie wussten, wie lange sie dort festgehalten werden. Da war viel Schikane mit drin!"
Seit dem Fall der Mauer wird der Hafen kaum mehr angelaufen. Mit den Zöllner-Familien verschwand auch das Leben aus der Stadt. Jenseits der Elbe sieht Bethge viele der einst so mausgrauen Dörfer aufblühen. Schnackenburg bekam die Einheit nicht so gut.
"Wir sind gleich nach der Wende auch rüber gewesen und haben uns angeguckt, wie kaputt das alles war. Wenn man heute rüberfährt: Zu Teil sind dann Bürgersteige auf beiden Seiten gebaut worden! In Orten, die vielleicht nur 200 Einwohner haben. Da wurde einfach Geld auch zum Teil sinnlos verbraten, weil man eben die westdeutschen Städte und Orte vernachlässigt hat. "Aufbau Ost" wurde immer nur gesagt."
Immerhin pendelt heute eine Fähre über die Elbe, wo einst nur eine einzige Straße ins Niemandsland hinein und wieder hinausführte. Irene Brade steht am Anleger, schaut zu, wie das Schiff in kleiner Fahrt über das Wasser gleitet. Die Bürgermeisterin, Jahrgang 1961, ist eine elegante Erscheinung. Sie sagt, natürlich sei der Mauerfall für alle Beteiligten ein großer Glücksfall gewesen.
"Wir sind in diesen 25 Jahren doch ganz schön zusammengerückt. Die blühenden Landschaften sind zum Teil wahr geworden."
Brade zwinkert in die Sonne. In der Ferne zieht jetzt eine Formation Schwäne vorbei.
"Erstmals herrschte ja allerseits Euphorie. Man wusste, man ist jetzt irgendwo im Zentrum Deutschlands. Aber die Hoffnungen haben sich da weitestgehend nicht erfüllt. Weil, das Belebte, was hier damals war, ging halt einfach zurück. Und eine andere Belebung konnten wir dann nicht wieder erfahren."
"Einen sanften Tourismus forcieren"
Die meisten Jugendlichen sehen ihre Zukunft woanders. Wer höhere Bildung anstrebt, muss 35 Kilometer bis zum nächsten Gymnasium fahren. Vergebens mühte sich der Magistrat, Betriebe in die weit abgelegene Naturidylle zu locken. So setzt die Stadtobere ihre Hoffnung nunmehr auf die Fernradler. Gleich zwei Routen, am Elbufer sowie entlang des früheren Grenzstreifens – heute das "grüne Band" genannt - passieren Schnackenburg.
"Aber auch hier wollen wir keinen Rummel, sondern einen sanften Tourismus forcieren."
In der Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen ist, hat Brade zuletzt den Rückzug koordiniert. Beamten wurden versetzt, Gebäude verkauft, das kleine Budget ist schuldenfrei. Denn Schnackenburg zieht heute Menschen an, die sich nach Ruhe sehnen. Die viel Geld in die Hand nehmen, um leer stehende Backsteinhäuser aufzumöbeln.
"Hallo, herzlich willkommen!"
Im prächtigen Gutshaus des Grafen von Bernstorff hatte einst der Zoll sein Quartier. Heute lebt dort ein weit gereistes Künstlerpaar. Arkadi Zenzipér bekleidet in Dresden eine Professur für Klavier, gebürtig stammt er aus St. Petersburg, Schnackenburg ist der Ort, der seine Seele bewegt.
Einmal im Jahr lässt Zenzipér seinen Flügel in die Kirche wuchten. Zu seinen "Schubertiaden" lädt der Virtuose namhafte Künstlerfreunde aus aller Welt ein.
"Wir sind oft berührt, von diesem unmittelbaren Kontakt. Sicherlich, in Schnackenburg realisiert sich für mich auch die Welt von gestern."
Doch der Träumer Zenzipér ist nicht weltentrückt. Er mag die zupackende Art der stolzen Wendländer. Zenzipér fordert Investitionen in die Menschen. Wenn man es richtig anpacke in Schnackenburg, meint er, könne noch einmal eine attraktive Stadt der Zukunft entstehen.
"Zumindest die jungen Leute brauchen schnellen Internet-Zugang. Weil dann können wir wirklich zu post-industriellen Strukturen kommen, wo die Leute auch von zu Hause arbeiten. Dafür braucht man Datenautobahnen. Und wir sind da leider in Provinz abgeschnitten."