Archiv

Reihe Isolationsfutter
Reduktion und Wiedererkennen bei Okay Kaya

Keine Konzerte, verschobene Plattenveröffentlichungen – keine Neuentdeckungen. Also wie wäre es mit einer Hinwendung zum Vertrauten? Okay Kaya interpretiert einen opulenten Pop-Hit neu und legt mit ihrem minimalistischen Cover die verborgene Verletzlichkeit des Songs frei.

Von Kolja Unger |
Die Musikerin Kaya Wilkins mit langen dunklen Haaren schaut nach hinten, im Hintergrund eine Stadtsilhoutte im Abendlicht
Okaya Kayas Markenzeichen: radikale Offenheit und minimalistische Arrangements (Coco Capitán)
Wer sich gerade nach einem klugen und sinnlichen Austausch über Isolation und Beziehungen sehnt, dem lasse von Okay Kaya gesagt sein: "Here I Am"
Beziehungen sind für Okay Kaya wie Zweier-Symbiosen, ein Aufeinanderangewiesensein wie eine Alge und ein Pilz. Liebe und Zärtlichkeit werden zum Geben und Nehmen und färben das Leben grün – die Farbe der Hoffnung. In Zeiten des Social Distancing klingt das wie eine ehrliche Verheißung.
Radikale Offenheit
Anfang 2020 ist "Watch This Liquid Pour Itself" erschienen. Das zweite Album der US-norwegischen Künstlerin Kaya Wilkins – so ihr bürgerlicher Name – ist wegweisend. Die Platte ist durchzogen von einer radikalen persönlichen Offenheit, die trotz allem nicht aufdringlich ist. Nicht mal, wenn Wilkins von mittelmäßigem Sex und Vaginal-Pilzen singt:
Okay Kayas Sound ist sehr vielseitig, aber dennoch stimmig: Sie verwebt 90er-Jahre Indie- mit funkigen Disco-Pop-Elementen zwischen retro und modern. Und doch sind die Songs nicht zu treibend oder zu experimentell.
Der Song, allerdings, der meine Heavy-Corona-Rotation am meisten geprägt hat, ist dieses bereits vor einem Jahr erschienene Cover. Sie kennen das Original, aber wie lange brauchen Sie, um es zu erkennen?
Richtig: es handelt sich um Chers "Believe". Okay Kaya hat den Dance-Klassiker so weit reduziert, dass er nicht mehr so reinballert, sondern schwebt. Damit schafft sie es, das im Song angelegte Grundgefühl freizulegen: Die Verletzlichkeit nach einer Trennung. Oder anders gesagt: Kaya Wilkins hat mir aufgezeigt, warum ich einen so trashigen Song wie "Believe" so gerne mag.
Was unsere Pop-Kritiker zu Corona-Zeiten noch so empfehlen: Reihe Isolationsfutter - Pop-Tipps für die Quarantäne
Ein derart reduziertes Cover wie dieses wirkt jetzt, da wir auf uns und darauf, was wir bereits kennen, zurückgeworfen sind, umso stärker. Die Reduktion wird zum poetischen Verfahren, um das noch Unbekannte im Bekannten freizulegen. Es macht aus Vertrautem etwas Neues und eröffnet Perspektiven auf uns selbst in einem Leben nach der Liebe - und vielleicht auch in einem Leben nach der Krise.
Okay Kayas Cover von Chers "Believe" ist im Frühjahr 2019 als Single bei Jagjaguwar erschienen. Letzten Januar ist hier auch ihr zweites Album "Watch the liquid pour itself" rausgekommen.