Beatrix Novy: Und damit lässt sich auch ein Bogen schlagen, nämlich zu unserer Reihe "Kopf oder Bauch", heute mit Corinna Belz, Filmautorin, Regisseurin und Produzentin. Im Fokus stehen ihre abendfüllenden Dokumentarfilme über Künstler, geduldig und ohne Zeitdruck begleitete sie Gerhard Richter und Peter Handke. "Gerhard Richter – Painting" von 2011 wurde ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis, "Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte", das ist der Titel des Handke-Films, herausgekommen voriges Jahr. Warum der so heißt, das wird Corinna Belz gleich hier verraten. Ich habe sie vor der Sendung gefragt, wen und was solche sehr persönlichen Einblicke in Künstlerpersönlichkeiten und Schaffensprozesse erreichen sollen, und um was es mehr geht: die Köpfe der Zuschauer, also um das, was sie lernen sollen, oder um ihre Bäuche, also ums Emotionen-Wecken? Wie ist das Verhältnis dieser beiden?
Corinna Belz: Ich glaube, wer was lernen will, lernt was als Zuschauer. Und für mich hängt natürlich beides zusammen. Obwohl, wenn ich es genau überlege, ist es so, dass die Gefühle der Protagonisten unmittelbar … interessieren mich gar nicht so. Also, was mich immer interessiert, ist die Verarbeitung der Gefühle, also wie diese Gefühle eine Form finden, wie sie einen Ausdruck finden. Und da ist man ja schon beim Werk. Also, da ist man bei den Bildern oder bei einem Buch, da ist man bei Sprache, da ist man bei Malerei. Ich würde auch sagen, Gefühle haben ja alle Menschen, aber dieser besondere Ausdruck, also diese Fähigkeit, aus diesen vielfältigen Gefühlen, die als negativ oder positiv empfunden werden, etwas zu machen, was dann auch für andere interessant ist oder überhaupt etwas vermitteln vom Menschsein, das ist das Werk. Das ist das, was mich interessiert.
Novy: Es hat ja nun jedes Werk sein Eigenleben. Jeder, der nur ein bisschen schreibt oder sonst wie künstlert, weiß das ja. Und Gerhard Richter, der seine Bilder zum Teil auch mehrfach übermalt, sagt im Film einmal: Die Bilder machen, was sie wollen, genau, ich hatte sie ganz anders angelegt. Was haben Sie beim Beobachten dieser Künstler gelernt über den Entstehungsprozess, und wie eben solche ungewollten Wirkungen hervorkommen?
"Er sieht in den Bildern wahrscheinlich etwas anderes als ich"
Belz: Also, es war erst mal ja ein großes Privileg, dass wir da überhaupt drehen konnten, in diesen Monaten, in denen er diesen Bilderzyklus gemalt hat. Und was ich zuerst begriffen habe, als ich da im Atelier stand mit dem Team, war, dass er wahrscheinlich etwas ganz anderes sieht in diesen Bildern, die gerade im Begriff waren zu entstehen, als ich. Deshalb steuerte das ja auch auf diese kritische Situation zu, wo er innehält und sagt: Ich glaube, ich kann das hier gar nicht machen, während Sie drehen, ich kann hier gar nicht weitermalen. Und da laufen ja die Empfindungen auseinander. Und für mich ist wichtig, das nicht zu überspielen, auch das nicht auszuschneiden, sondern dass es immer diesen Moment auch der Friktion, des Widerspruchs oder eventuell eben der Verweigerung gibt.
Novy: Noch einmal zur Präzisierung: Gerhard Richter hat mal gesagt, Malen ist eine andere Form des Denkens, auf die obligate Frage: "Was haben Sie sich denn dabei gedacht?". Treibt Sie auch in Ihren Filmen die Frage um, ob es nun der Kopf oder der Bauch des Künstlers ist, das die Entstehung der Werke bestimmt?
"Richter hat den Rhythmus der Musik in den Malprozess umgesetzt"
Belz: Ich glaube, dass sich das beides ununterbrochen durchdringt, beeinflusst, manchmal auch stört. Aber in den gelungenen Prozessen, also auch wenn ein Künstler viel Erfahrung damit hat, dann ist er vielleicht durchlässig für das, was aus dem Nicht-Bewussten kommt, und hat dann aber auch gleichzeitig die Mittel – also, die Mittel sind die … ist die Erfahrung mit dem Malen, mit der Farbe, wie sich die Farbe aufbaut, schichtet –, das zu verbinden, das umzusetzen. Also, es ist ja auch bekannt, dass Richter zum Beispiel beim Malen oft Musik gehört hat und wie sich dann zum Beispiel der Rhythmus der Musik in den Malprozess umsetzt. Ist alles weitgehend unerforscht, aber ich denke doch, dass da bewusstes Denken und auch unbewusste Erfahrung ganz eng zusammenspielt und das ein Grund dafür ist, dass uns dann die Bilder, wenn wir davorstehen, so viel sagen.
Novy: Sie haben nun ja über einen Maler und über einen Schriftsteller Filme gemacht. Landläufig verbinden wir mit Literatur mehr Kopf als mit der bildenden Kunst. Haben Sie so einen Unterschied in Ihren beiden Filmen erlebt?
"Der sprachliche Ausdruck ist natürlich filmisch viel schwerer umzusetzen"
Belz: Ganz gewiss. Also, es war mir schon, als ich den Film über Peter Handke begonnen habe, klar, dass der sprachliche Ausdruck natürlich filmisch auch viel schwerer umzusetzen ist. Es geht da mehr um Reflektion, es geht aber auch um Fragen der Literatur, Geschichten erzählen. Ist ein ganz anderer Prozess gewesen auch für mich, wie bringe ich die Sprache auf die Leinwand, aus welchen Werken zitiere ich die Sprache an sich? Buchstaben sind ja abstrakt und der Leser füllt sozusagen dieses Abstraktum der Sprache mit seinen eigenen Vorstellungen. Und das ist etwas, was daran ungeheuer interessant ist. Er füllt es mit seinen Vorstellungen, mit seinen Gefühlen, und das ist auch wieder die Faszination, wenn etwas nicht zum Bild wird. Weil, wir leben ja in dieser bilderüberfluteten Welt, wo jedes Bild, Nachrichtenbild – also, um diesen Begriff des Postfaktischen mal reinzubringen – aus dem Zusammenhang gerissen ist und wir die Bilder gar nicht zuordnen können. Und in der Sprache ist natürlich auch das Gleiche, ist die Frage um den Wahrheitsgehalt einer Aussage. Aber jetzt in der Literatur würde ich schon sagen, dass Sprache eher innere Bilder aufruft und erfahrbar macht beim Leser.
Novy: Sie haben gesagt: bilderüberflutet. Die Welt ist auch musiküberflutet, Sie verwenden Musik in Ihren Filmen. Das ist natürlich immer eine so etwas kritische Frage, in beiden Filmen kommt sie zurückhaltend zum Einsatz, aber Musik hat ja immer zweifellos emotionalisierende Wirkung und erhöht vielleicht auch das Objekt der Beobachtung, also den Künstler in diesem Fall. Was war Ihre Absicht mit der Musik?
"Es steckt ganz viel Zufall darin"
Belz: Also, wir haben die Musik sehr zurückhaltend eingesetzt. In dem Film über Gerhard Richter ist es sogar Musik, die er während der Aufnahmen gehört hat. Und durch den Schnitt ist die fragmentiert. Und wir haben bei Kurtág die Erlaubnis eingeholt, diese tatsächlich so zu verwenden. In dem Peter-Handke-Film habe ich die Erfahrung gemacht, wenn man bestimmte Alltagsszenen mit Musik unterlegt, dass sie dann automatisch fiktionalisiert werden, also, oder stärker beeindruckt von Fiktion Inszenierung entsteht. Deshalb haben wir die dann wieder rausgenommen. Ich habe in bestimmten Momenten Musik eingesetzt, wo ich diese Überhöhung … Also, das hängt zusammen mit seiner Erinnerung an seine Kindheit in diesem bäuerlichen Kärnten, in so einer frühindustriellen, also eigentlich nicht industriellen, bäuerlichen Welt, wo ich das verstärken wollte.
Novy: Es heißt im Abspann Ihrer Filme: Buch und Regie Corinna Belz. Wie viel Planung und wie viel Zufall steckt denn eigentlich in solchen Projekten? Man fragt sich ja immer, wie das überhaupt abläuft.
Belz: Ja, es steckt ganz viel Zufall darin. Und das ist eigentlich für mich auch wichtig, den Zufall einzuladen, mitzugestalten.
Novy: Wie geht das?
"Dokumentarfilm ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Realität des anderen"
Belz: Ja, ich bereite mich gut vor, dann komme ich aber dahin und versuche, erst mal alle Erwartungen abzulegen, dass ich die Situation selber nicht zu sehr steuere und gestalte. Also, der Film hat ja den etwas merkwürdigen, mir selber manchmal spinnert erscheinenden Titel "Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte", und das war zum Beispiel so eine Situation, dass wir beim ersten Drehtag hinkamen und da klebte dieser Zettel an der Tür: "Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte." Und dieser Satz wurde dann Arbeitstitel. Und ich habe jetzt noch mal gedacht, dass er eigentlich doch viel über meine Herangehensweise aussagt, weil Dokumentarfilm ja so eine ganz intensive Auseinandersetzung mit der Realität des anderen ist. Und durch nichts konstituiert sich eigentlich die Realität des anderen so sehr als in seiner Abwesenheit. Da steht er einem nicht mehr zur Verfügung, ist einem nicht zu Willen. Und diesen kleinen Moment der Abwesenheit hat quasi Handke da zu Anfang eingebaut. Und dann später geht es ja darum, in dem Film sagt er, wünscht sich immer noch, diese Menschenscheu abzulegen, weil, der andere bringt ihn irgendwie aus dem Gleichgewicht. Und das ist dann auch die Kunst des Dokumentarfilmers, sich durch die Eigenarten und die Besonderheit und auch die Fremdheit des Protagonisten nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen, also ganz offen zu sein für dessen Realität, für dessen Gewohnheiten, für dessen Gefühle auch und das Werk, und gleichzeitig aber so viel Material zu sammeln, dass man dann nachher daraus einen interessanten Film machen kann, ohne die Bruchstückhaftigkeit des Materials zu sehr zu glätten oder zu überspielen. Aber dem Zuschauer eine Idee zu geben, also auch eine Lust auf das Werk, vielleicht weiterzulesen, sich Ausstellungen anzuschauen.
Novy: Also geradezu eine Übung darin, den Verstand nicht auszuschalten, während man aber einen emotionalen Zugang akzeptiert?
Belz: Genau.
Novy: Corinna Belz war das in unserer Reihe "Kopf oder Bauch".
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