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Reihe: Kulturwandel durch Krise (V)
Island - Aufbruchstimmung ade

Als Island 2008 mit voller Wucht von der Finanzkrise getroffen wurde, besann sich das kleine Land geradezu euphorisch auf die Stärken der eigenen Kultur. Mit der neuen konservativ-liberalen Regierung ist diese Aufbruchstimmung passé, im Kulturbetrieb wütet der Rotstift.

Von Jessica Sturmberg | 05.01.2014
    Vor gut zweieinhalb Jahren war Verlegerin Silja Aðalsteinsdóttir begeistert über die aufblühende Kulturlandschaft, die sich nach der Krise entfaltet hatte. "Unsere besten Schriftsteller beschäftigen sich damit, die Krise zeithistorisch zu bewerten, zu untersuchen, was passiert ist, warum und was daraus folgen wird. Der Büchermarkt ist merklich größer geworden, und die Menschen wollen auch mehr lesen. Genauso wie sie mehr ins Theater gehen und Konzerte besuchen. Sie wollen einfach mehr isländische Kultur erleben. Ich finde auch, es entstehen zurzeit viele gute Werke."
    Beflügelt durch den damals bevorstehenden Gastauftritt Islands auf der Frankfurter Buchmesse lebte vor allem die Literatur auf. Noch nie war so viel in andere Sprachen übersetzt worden wie in dieser Zeit. Auch danach fühlten sich vor allem junge Künstler ermutigt, neue Wege zu bestreiten, gesellschaftskritischer zu sein als in den Wohlstandsjahren, zu experimentieren. Doch die Euphorie ist seit diesem Winter wie weggeblasen. Die im April neu gewählte konservativ-liberale Regierung kürzte Ende vergangenen Jahres neben dem Gesundheitsetat massiv die Mittel für die Kultur. Betroffen sind fast alle Einrichtungen: Museen, Bibliotheken, Künstlerstipendien, und vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk: "Es ist einfach wie ein Überfall oder gegen das Herz der isländischen Kultur. Also es ist nichts heilig, das ist für mich das Entscheidende. Es geht einfach zu weit, das wieder aufzubauen, ich weiß nicht, ob es geht. Man ist echt einfach wortlos", sagt Ósk Vilhjálmsdóttir, bildende Künstlerin.
    Auch Áshildur Haraldsdóttir, Flötistin im isländischen Symphonieorchester, befürchtet, dass Strukturen zerstört werden, die sich später nicht mehr so einfach wiederherstellen lassen. Etwa die seit Jahrzehnten wöchentliche Radioübertragung eines Konzerts jeden Donnerstagabend. Der zuständigen Redakteurin beim Rundfunk wurde wie 38 weiteren Mitarbeitern ganz plötzlich gekündigt. Ohne Vorwarnung sollte sie ihre Sachen packen und nicht einmal mehr während der Kündigungsfrist arbeiten: "Sie kennt das Orchester wie kein anderer. Die Dirigenten, die Musiker. Sie arbeitet mit uns seit Jahrzehnten zusammen. Sie wurde ebenso gefeuert wie der Toningenieur, dessen Aufnahmen mehrfach ausgezeichnet worden sind. Man hat sich einfach so nach mehr als 30 Jahren von ihm verabschiedet. Wir verlieren damit viel Know-how und haben keine Ahnung, wie es nun weitergeht. Ob wir überhaupt noch die wöchentlichen Ausstrahlungen haben werden oder nicht." Das Orchester selbst ist von den Kürzungen weitgehend ausgenommen, aber wohl auch nur deshalb, weil man es für das 2011 mit viel Glanz und Pomp eröffnete neue und gut besuchte Konzerthaus Harpa braucht. Ungenutzte Konzertsäle wären öffentlich kaum zu vermitteln.
    Kulturkampf um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
    Aber mittlerweile würde Árni Daníelsson selbst das nicht mehr wundern. Die Kulturschaffenden in Island seien von Ausmaß und Zeitpunkt der drastischen Sparmaßnahmen völlig überrascht worden, betont der Historiker an der Reykjavíker Akademie. Denn gespart wurde schon seit Jahren: "Die Leute haben schon so viele Lasten auf sich genommen, um die 20 Prozent Kürzungen, aber jetzt sind schon fünf Jahre vergangen und wir dachten, das Schlimmste läge hinter uns und wir könnten anfangen, alles wieder aufzubauen."
    Schließlich waren die wirtschaftlichen Daten zuletzt positiv. Warum ausgerechnet jetzt, fragt sich Árni Daníelsson und sieht den Grund in den neuen Prioritäten der neuen Regierung. Sie muss teure Wahlversprechen einlösen, beispielsweise ein umstrittenes Entschuldungsprogramm für Eigenheimbesitzer: "Wir haben nicht etwa große Probleme die Kulturinstitutionen zu finanzieren, weil wir kein Geld haben, sondern weil es am politischen Willen mangelt." Der Historiker sieht darin eine Gefahr für die Demokratie, ausgerechnet in einem Land, das in seiner Geschichte eines der weltweit ältesten Parlamente vorzuweisen hat.
    Dass die Politik überhaupt auf den Rundfunketat Einfluss nehmen kann, ist einer Gebührenreform vor sechs Jahren geschuldet. Damals wurde die selbstständige Einzugszentrale beim Sender aufgelöst und eine Art Pro-Kopf-Steuer eingeführt. Für Politikprofessor Ólafur Harðarson von der Universität Island zeigt sich nun, wie problematisch diese Reform seinerzeit war: "Was besonders beunruhigend ist: Einige Politiker haben sich zuletzt darüber beklagt, dass die Medien zu einseitig seien. Was nichts anderes heißt als: "Wir mögen Eure kritischen Berichte nicht. Und das ist eine sehr ernste Angelegenheit, wenn die öffentlichen Medien ihre Funktion als vierte Macht ausüben sollen, dann ist es sehr wichtig, dass der Rundfunk unabhängig ist."
    Flötistin Áshildur Haraldsdóttir befürchtet, dass die Aufbruchstimmung nach der Krise, die Katharsis, wie sie von vielen wahrgenommen wurde, nun in Frust umschlägt: "Wir Kulturschaffende waren nach der Krise 2008 so voller Energie, aber wir werden jetzt müde und verlieren diesen Schwung. Die Sparmaßnahmen nach der Krise waren bei Weitem nicht so schlimm, aber jetzt taumeln wir in den Ruinen und verlieren die Zuversicht."