"Ein ewiger Krieg. Endlos zieht er sich hin – geschürt vom religiösen Fanatismus, vom Ehrgeiz einzelner Machthaber, von der Furcht vor Fremdherrschaft und wechselseitigem Argwohn. Nach und nach sind sämtliche benachbarte Mächte in den Sog von Gewalt geraten. Waffenstillstände unterbrechen dann und wann das Kampfgeschehen, doch scheitern sie allesamt. Unfassbares Leid bringt der Krieg. Abertausende Flüchtlinge treibt er vor sich her."
Ist es nun der Syrienkrieg oder der Dreißigjährige Krieg, den der englische Historiker Brendan Simms mit diesen Worten in der ZEIT beschrieb? Eigentlich ist es nicht entscheidbar. Denn Brendan Simms sieht viele Gemeinsamkeiten zwischen dem großen europäischen Krieg vor 400 Jahren und dem Krieg, der seit sieben Jahren in Syrien tobt. Zum Beispiel:
"In beiden Fällen, also heute Nah-Ost aber auch im Dreißigjährigen Krieg leidet in erster Linie die Zivilbevölkerung. Wir können sagen, ungefähr ein Drittel der deutschen Einwohner stirbt, meistens durch die Folgen des Krieges, also Hungersnot und Krankheit, aber zum Teil auch durch Militäraktionen. Es gibt ganz schlimme Massaker wie zum Beispiel in Magdeburg 1631 und ein Jahr später in Donauwörth. Das waren sozusagen die Aleppos von damals."
Brendan Simms ist nicht der einzige, der im Gedenkjahr an die große europäische Katastrophe des 17. Jahrhunderts Parallelen zu heute zieht. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler zum Beispiel sieht den Dreißigjährigen Krieg als eine Art "fernen Spiegel" für gegenwärtige Kriege. Und der Islamwissenschaftler und Nahost-Experte der FAZ Dr. Rainer Hermann weist auf die augenfälligste Gemeinsamkeit beider Kriege hin: beide Konflikte begannen mit einem Kampf der Konfessionen.
"Der Prager Fenstersturz war ja der Aufstand des protestantischen böhmischen Standes gegen den katholischen Habsburger Kaiser und war eine nationale Angelegenheit."
Am 23.Mai 1618 warfen böhmische Adlige kurzerhand drei kaiserliche Statthalter aus dem Fenster der Prager Burg. Und damit erhoben sich die Protestanten gegen die Katholiken. So wie im Jahr 2011:
"in Syrien es eine nationale Angelegenheit war, dass die überwiegend sunnitischen Aktivisten gegen die Herrschaft von Baschar al-Assad (waren), der aus der schiitischen Glaubensgemeinschaft der Alawiten entstammt."
Konfessionskrieg und Kampf um Hegemonie
Doch aus der nationalen Auseinandersetzung entwickelte sich in beiden Fällen ein länderübergreifender Konflikt. War vor 400 Jahren das Heilige Römische Reich Deutscher Nation die "Katastrophenzone" Europas, so sind heute Syrien und der Irak die Brennpunkte, wo sich entscheidet, wer in Zukunft in der arabisch-islamischen Welt das Sagen hat.
"Damals war Deutschland im Herzen Europas der gescheiterte Staat, heute ist es Syrien. Da entsteht ein Vakuum. Und da kommt die zweite Konfliktebene, der Kampf um die regionale Vorherrschaft entweder in Europa damals oder heute im Nahen Osten."
Und das heißt konkret:
"Damals haben Schweden, Frankreich, Dänemark versucht, dem Habsburger Reich die Vormacht in Europa streitig zu machen. Und heute will Saudi Arabien diese Kriege benutzen, um den Iran zurück zu drängen. Und über das Ganze übergelagert wird der Krieg der Religionen, denn mit nichts lässt sich so vortrefflich mobilisieren wie mit Religion."
Kriegsfürsten und Warlords
Für Herfried Münkler ist der Dreißigjährige Krieg der Prototyp eines "unordentlichen" Krieges. Denn damals gab es kaum steuerfinanzierte reguläre Armeen, sondern Truppen wurden von Krieg zu Krieg angeworben. Dazu aber brauchte man Geld. Und der böhmische Adlige Albrecht von Wallenstein war einer der ersten, der auf eigene Kosten Heere aufstellte, nicht zuletzt um sich selbst am Krieg zu bereichern. Er war, wie Herfried Münkler meint, ein früher "Kriegsfürst". Und damit durchaus vergleichbar heutigen "Warlords" in Ländern wie Afghanistan, Somalia, im Sudan oder Libyen, die gestützt auf bewaffnete Einheiten die militärische Kontrolle über ein Gebiet haben.
"Wenn wir auf die Gegenwart gucken, dann beobachten wir eine Wiederkehr dieser Kriegsunternehmer, die versuchen, durch den Krieg reich zu werden oder ein Landesherr zu werden. All das, was diese Gestalten der früheren Zeit ausgezeichnet hat. Die haben ein Interesse daran, bewaffnete Gefolgschaft hinter sich zu bringen, aber die müssen sie alimentieren. Das heißt: sie müssen Bodenschätze ausbeuten. Oder wenn die nicht da sind, wie in Afghanistan, dann produziert man illegale Güter, in diesem Fall Opium."
Und so wurden damals wie heute Kriege geprägt von nicht oder substaatlichen Akteuren: privaten Militärunternehmern mit ihren Söldnerheeren damals - Milizen, Rebellen- oder Terrorgruppen heute. Mal kämpfen sie im Namen einer religiösen oder politischen Idee, sie suchen Abenteuer, manchmal folgen sie auch ihren gewalttätigen Neigungen. Oder sie wollen einfach nur der Armut entkommen. Frontenwechsel war durchaus üblich, wie es Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen in seinem Roman über den Dreißigjährigen Krieg schildert. Sein "Simplicissimus" - der Held des Romans - kämpft mal auf Seiten der protestantischen Schweden, mal auf Seiten der katholischen Kaiserlichen. Ein Vorgang, den Herfried Münkler auch in den heutigen Kriegen beobachtet:
"Wir sollten uns auch den Nahen Osten oder Syrien nicht zu eng vorstellen. Da wechseln auch Truppenteile mal die Fronten, jetzt nicht von der sunnitischen auf die schiitische Seite, aber durchaus innerhalb der Frage der Radikalisierung schiitischer Gruppen oder der Radikalisierung sunnitischer Gruppen. Und die Frage der Finanzierung dieser Söldner, das ist eine Strukturanalogie, die man für 1618 beobachten kann, die man aber auch für unsere Zeit im Nahen Osten verfolgen kann."
Der Westfälische Friede
Über sieben Jahre währt jetzt das Töten in Syrien, 30 Jahre währte der Krieg vor 400 Jahren. Damals gab es Siege und Niederlagen, sogar Friedensschlüsse, die aber letztlich zur Folge hatten, dass neue Mächte in den Krieg eintraten, andere Fronten entstanden. Und trotzdem führte der Westfälische Friede im Jahr 1648 dann endlich zu einer Lösung der europäischen Konflikte. Und so fragen sich Politiker, Politikwissenschaftler und Historiker, ob man aus den Friedensschlüssen der damaligen Zeit für heute etwas lernen könne.
"Meine Damen und Herren, der Westfälische Frieden bietet uns keine Blaupause für einen Frieden im Mittleren Osten. Er bietet uns, wenn wir genau genug hinschauen, Instrumente, Methoden und Ideen. Die müssen wir erkennen und dann für die aktuelle Diplomatie nutzen", so Frank Walter Steinmeier, der damalige Außenminister im Jahr 2016 bei den Osnabrücker Friedensgesprächen.
Und auch Angela Merkel verglich auf der Bundeswehrtagung in München Anfang Mai dieses Jahres den Krieg in Syrien mit dem Dreißigjährigen Krieg. Aus dem damaligen Friedensprozess, so die Kanzlerin, könne man viel für die Lösung von Konflikten lernen. Und fügte hinzu, dass schließlich "der westfälische Frieden auch nicht in zwei Monaten geschaffen wurde".
"Wenn man genau hinguckt, dann sind die Verhandlungen in Münster und Osnabrück über 4 Jahre geführt worden."
Eigentlich waren es sogar 6 Jahre. Denn bereits seit dem Jahr 1642 trafen schleppend die Gesandten ein, im Gefolge Diener, eigenes Küchenpersonal oder auch "leichtfertiges Weibsvolk". Dann mussten erst einmal Rang- und Zeremoniellfragen verhandelt werden. Aber - so zerstritten die Parteien untereinander auch waren – in Münster und Osnabrück trafen sich alle: Vertreter des Kaisers und der deutschen Fürsten und Reichsstädte, Protestanten und Katholiken, Gesandte aus Frankreich, Schweden, den Niederlanden und Spanien.
"Das Erstaunliche ist, dass während der Verhandlungen kein Waffenstillstand herrscht, sondern der Krieg geht weiter und weiter. Und die Herausforderung in Münster und Osnabrück ist, die unterschiedlichen Dimensionen des Krieges - Religionskrieg, Hegemonialkrieg, Volksaufstand und Verschiebung von Grenzen - zusammenzubringen in der Weise, dass man sie zunächst einmal getrennt voneinander verhandelt. Und das dauert sehr, sehr lange."
Und endlich: im Jahr 1648 gelang nach jahrelangem Ringen - erstmals in Europa - eine Konfliktlösung durch Verhandlung. Man einigte sich - über territoriale Neuregelungen, Gebietsabtretungen, man klärte das Verhältnis zwischen dem Kaiser und den deutschen Fürsten, regelte das Zusammenleben der Konfessionen.
"Der Friede löst das Problem der Konfessionen dadurch, dass man erstens die Calvinisten in den Religionsfrieden aufnimmt."
Der Historiker Prof. Heinz Duchhardt über die Ausgestaltung dieses Friedens:
"Zweitens dadurch, dass man nicht mehr nach der Wahrheit sucht. Das war ja das große Dilemma des frühen 17. und späten 16. Jahrhunderts, dass man bei allen Reflexionen über Glauben und Kirche die Wahrheit finden wollte. Das klammert man im Westfälischen Frieden aus. Und das Dritte, was ich erwähnen würde, dass man im Westfälischen Frieden die Lösung findet, zwei Großmächte über das System, das man gefunden hat, wachen zu lassen als Garantiemächte. Nicht dass die in Zukunft beliebig oft eingegriffen hätten in der Reichsgeschichte. Aber das war eine Art Damoklesschwert, was über den Fürsten hing, es nicht zu weit zu treiben mit den Querelen mit den Nachbarn."
Lehren für heute?
Und heute? Wie damals in Münster und Osnabrück sei es erforderlich, alle am Konflikt beteiligten Parteien zusammenzubringen. Theologische Wahrheitsdispute müssten außen vor bleiben und so, wie die europäischen Mächte damals an einem umfassenden Frieden arbeiteten, müsse auch heute an einem Frieden für die ganze Region gearbeitet werden. Brendan Simms untersucht am Forum für Geopolitik in Cambridge in einem sogenannten "Labor des Weltaufbaus", wie die Konstruktionsprinzipien des Westfälischen Friedens heute nutzbar gemacht werden könnten.
"Genauso wie damals im Westfälischen Friedenskongress, sollten auch die regionalen Akteure und auch die Großmächte im Nahen Osten nicht davor zurückschrecken, sich ein allumfassendes Vertragswerk für die gesamte Region zum Ziel zu setzen."
Solche Verhandlungen könnten, so Brendan Simms, auch heute geführt werden, ohne dass zuvor ein Waffenstillstand ausgehandelt wurde:
"Also man hat weitergekämpft in Münster und Osnabrück während der Verhandlungen. Und man braucht einen Kongress, wo wirklich alle, oder fast alle Akteure präsentiert sind. Und sie müssten versuchen, so ein System der gegenseitigen Garantien aufzubauen, wie man das im Westfälischen Frieden gemacht hat."
Und Rainer Hermann erläutert, es müsse garantiert werden, dass externe Mächte über die vereinbarten Friedensverträge wachen und bei Verstößen intervenieren könnten.
"Der Westfälische Frieden hat die externen Mächte zu Garantiemächten für Deutschland bestimmt und ihnen das Recht gegeben, in Deutschland zu intervenieren. Und die Drohung hat gereicht, dass diese Bestimmungen nicht verletzt worden sind. Und heute stellt sich die Frage, wer ist bereit, eine externe Garantiemacht für Syrien zu sein? Heute ist eben niemand bereit. Russland ist bereit, Kriegsmacht zu sein, aber nicht eine externe Garantiemacht, um einen Frieden, der inklusiv ist, zu schützen."
Skepsis ist angesagt
Heute ist eben niemand bereit. Ebenso wenig ist es bislang gelungen, alle am Krieg in Syrien Beteiligten an einen Verhandlungstisch zu bekommen. Und während eine wesentliche Voraussetzung für den Westfälischen Frieden die Desillusionierung aller Parteien war, auf dem Schlachtfeld siegen zu können, konnten Baschar al-Assads Truppen ein Rebellengebiet nach dem anderen zurück erobern. In der vergangenen Woche führte er mit Putin bereits "vertiefte Gespräche" über ein Ende des Syrienkriegs. Dass dies der Region dann dauerhaft Frieden bringt, bleibt sehr zu bezweifeln. Und zudem: die durch die Reformation entstandenen konfessionellen Konflikte konnten nach gut 130 Jahren entschärft werden. Dagegen streiten sich Sunniten und Schiiten bereits seit weit über 1000 Jahren. Hatte nicht der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel recht, als er meinte, historische Vergleiche führten prinzipiell in die Irre? Er schrieb:
"Jede Zeit hat so eigentümliche Umstände, ist ein so individueller Zustand, dass in ihm aus ihm selbst entschieden werden muss und allein entschieden werden kann."
Also - Skepsis ist angesagt. Den Dreißigjährigen Krieg mit den Umbrüchen in der arabischen Welt zu vergleichen, mag durchaus beim Verständnis helfen, was dort geschieht. Und es mag ja auch tröstlich sein, dass ein scheinbar auswegloser Konflikt damals dann doch gelöst werden konnte. Dass aber deshalb die Umbrüche im Nahen Osten auch einmal in eine Art Westfälischen Frieden des 21. Jahrhunderts münden – das ist äußerst ungewiss. Denn die Geschichte – so sieht das jedenfalls auch Heinz Duchhardt – nimmt immer wieder einen anderen Lauf:
"Historiker sind da immer ganz zurückhaltend. Ich würde jetzt einfach sagen: Man kann lernen, dass die Kombination von Religion und Macht immer krisenfördernd ist. Die Strukturen sind andere, die Komponenten sind andere, die Persönlichkeiten sind andere. Ich zucke da immer zusammen, wenn ich in Sonntagsreden von Politikern höre: "Wie die Geschichte schon lehrt". Die Geschichte lehrt überhaupt nichts. Die Geschichte lehrt allenfalls, dass es bestimmte Situationen gibt, die so oder so gelöst werden können. Auf unterschiedliche Weise gelöst werden können. Deswegen bin ich da ganz zurückhaltend."