Das dürfte Els Vordemberge gefallen haben - ihr, die beruflich immer mit Stimmen und Geräuschen zu tun hatte: Still ist es fast nie an ihrem Grab auf dem Kölner Zentralfriedhof Melaten, wo Dutzende Halsbandsittiche unterwegs sind. Dort, wo die Prominenten der Stadt - Künstler, Politiker, Industrielle - neben den Normalsterblichen ihre letzte Ruhe finden. "1902 bis 1999" steht auf dem Naturstein, den ein Engel ziert, gestaltet nach einem Holzschnitt ihres Mannes, Friedrich Vordemberge.
Ihn lernt die gebürtige Wienerin während ihrer Ausbildung zur Schauspielerin in Deutschland kennen und zieht mit ihm nach Köln. Dort erfährt sie von einem Freund, dass ein Rundfunkhaus entsteht, erzählt sie später in einem Interview: "Ja Gott, wer wusste damals schon was von Rundfunk oder was Rundfunk einmal bedeuten würde?"
1927 ist das Jahr, in dem die Westdeutsche Rundfunk AG ihren Betrieb aufnimmt. Die WERAG ist, anders als ihr späterer Nachfolger WDR, noch nicht vollständig in öffentlicher Hand, wird auch von privaten Investoren finanziert.
Die Schauspielerin wird Redakteurin
Und Vordemberge ist eine Mitarbeiterin der ersten Stunde in dem neuen Funkhaus. Als Schauspielerin ist sie dann auch gleich an der Hörspiel-Premiere des Senders beteiligt, dem Drama "Hanneles Himmelfahrt" von Gerhart Hauptmann. Die Aufnahmen von damals überleben die Jahre nicht, aber Els Vordemberge erinnert sich später genau an diese Zeit:
"Damals gab es nur Originalaufnahmen, heute sagt man live. Nur. Alle Sendungen, die vom Morgen bis zum Abend liefen, waren original. Also für uns war jede Sendung ein ganz feierlicher Augenblick. Wir kamen so abends, ehe die Sendung lief, manchmal schon eine Stunde vorher ins Funkhaus. Und wir waren in einer, ich möchte fast sagen, so gespannten Feierlichkeit. Wir kamen auch festlich angezogen. Genau so, wie wenn ich heute in die Premiere ins Theater gehen würde."
Eine glückliche Zeit für Vordemberge. Dennoch entscheidet sie sich, als sich die Gelegenheit bietet, für einen Wechsel: Die Schauspielerin wird Redakteurin. Dass sie von nun an den Kinderfunk verantwortet, ist kein Zufall, erklärt Birgit Bernard, Autorin und langjährige Archivarin im Historischen Archiv des WDR: "Es gibt natürlich Frauen im Rundfunk, aber in leitenden Funktionen so gut wie gar nicht. Und als Redakteurinnen eigentlich nur in den Bereichen, die als typische Frauenthemen angesehen wurden, also Frauenfunk, Kinderfunk."
Keine Märchentante
Doch wie sie ihre neue Rolle ausfüllt, ist nicht selbstverständlich. Ernst Hardt, der damalige Intendant, hat klare Vorstellungen davon, wie Kinder in dem neuen Medium angesprochen werden sollen: "Er hat, ganz politisch unkorrekt, gesagt: Wenn ich eine von diesen Märchentanten höre, dann möchte ich ihr am liebsten eine runterhauen."
Vater des deutschen Radios
Hans Bredow gilt als Begründer und Organisator des modernen deutschen Rundfunkwesens. Als einer der Ersten sah er die Möglichkeiten des Rundfunks als Massenmedium.
Hans Bredow gilt als Begründer und Organisator des modernen deutschen Rundfunkwesens. Als einer der Ersten sah er die Möglichkeiten des Rundfunks als Massenmedium.
Els Vordemberge ist keine Märchentante. Sie erfindet Sendeformen, die das Genre prägen: lässt Kinder frei am Mikrofon über selbst gewählte Themen sprechen, lässt eigene Hörspiele produzieren, führt Sing- und Bastelstunden ein: "Alles Mögliche. Sie hat sich überlegt: Was alles davon kann ich rundfunkgemäß umsetzen? Das war ein ziemlich reichhaltiges Angebot. Und dass es gut funktioniert hat, können wir vielleicht auch daraus rückschließen, dass die Kinderstunde in der Gauzeitung der NSDAP in Köln immer sehr gelobt wurde, also die fanden die ganz toll."
Flucht vor den Nazis 1933
Was sich jedoch 1932 ändert, als die Nazis herausfinden, dass Els Vordemberge Jüdin ist. Von da an ist sie Hetze und übler Propaganda ausgesetzt. "Und dann kam so langsam das Jahr 1933 heran, und am Tage der Machtübernahme musste ich das Haus sofort verlassen und mit mir noch manche andere."
So blickt Els Vordemberge auf ihr vorläufiges berufliches Aus im Rundfunk zurück, damals ist sie Anfang 30. Die nächsten Jahre, die Zeit des Nationalsozialismus, werden für sie und ihren Mann Jahre des immer größer werdenden Grauens. Beruflich geächtet, geht es am Ende für beide ums nackte Überleben, als sie deportiert werden sollen, wahrscheinlich in ein Vernichtungslager. Doch Freunde warnen und retten sie, indem sie das Ehepaar an wechselnden Orten in Köln verstecken.
Rückkehr zum Radio nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt Els Vordemberge, obwohl sie es nach den Erfahrungen von 1933 eigentlich nicht will, ihre Arbeit beim Rundfunk wieder auf und leitet den Kinderfunk, erst beim Nordwestdeutschen, dann beim Westdeutschen Rundfunk. Eine WDR-Produktion unter ihrer Federführung aus dieser Zeit heißt "Immer dieser Fizzibitz". Und beim "Fizzibitz" wird Kölsch gesprochen. Els Vordemberge war die Buchvorlage, der "Pumuckl" von Ellis Kaut, "zu bayerisch" gewesen - durchsetzen wird sich dennoch, auch im Rheinland, das Original.
Vor ihrer Pensionierung 1964 baut Vordemberge noch die Redaktion für das Kinderfernsehen im WDR mit auf. Doch es ist nicht diese Zeit, auf die sie später besonders zurückblicken wird: "Ich kann nur sagen, dass die Arbeit, die ich unter Ernst Hardt getan habe, dass diese Zeit für mich die schönste war." Also die Jahre zwischen 1927 und 1933, als Els Vordemberge den Kinderfunk erfunden und geprägt hat.