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Reihe "Rundfunkpioniere"
Fritz Worm - der Mann, der den Kölner Dom ins Radio brachte

Die Architektur einer gotischen Kathedrale akustisch abbilden - an dieses Experiment wagte sich 1930 der Radiomacher Fritz Worm. In einer riskanten Live-Sendung kombinierte er Klänge, Stimmen und Stille. Das Tondokument beeindruckt noch heute.

Von Michael Kuhlmann und Birgit Bernard |
Deckenkonstruktion des Kölner Doms mit Schwalbennestorgel. Foto vom 22. Januar 2017.
Mit einer einstündigen Sendung versuchte Fritz Worms 1930, die Architektur des Kölner Doms akustisch einzufangen (picture alliance/Daniel Kalker)
Der Kölner Dom an einem Abend im Frühling. Kein Lichtstrahl dringt von draußen mehr in das große Kirchenschiff. Es herrscht eine feierliche Stille, gebrochen nur von Chorgesang oder der Orgel – und von einigen Männern an einem Radiomikrofon. Sie haben sich vorgenommen, die Atmosphäre dieser abendlichen Kathedrale in die Welt zu transportieren.

Eine Sendung mit vollem Risiko

Dann ist die Stimme von Fritz Worms zu hören: "In diesem Augenblicke gibt unser Führer, Bruder Josaphas, ein Zeichen mit der Fackel, das denen gilt, die drüben am Hochaltar stehen."
Alfred Braun, Schauspieler, Regisseur, Funkreporter, Rundfunkpionier und Chefreporter der "Berliner Funkstunde", sitzt in einem Studio vorm Mikrofon
Alfred Braun: der Erfinder der Radioreportage
Alfred Braun war so etwas wie die Stimme der 1920er Jahre. Der gelernte Schauspieler erfand die Hörfunkreportage, das Mitmachradio und war Deutschlands erster Rundfunksprecher.
Fritz Worm hat dieses Projekt erdacht: eine über einstündige Sendung unter dem Titel "Mit dem Mikrophon durch den Kölner Dom". Eine Collage aus Musik, Reportageblöcken, Geräuschen und Stille. Die Orgel erklingt, Menschen bewegen sich durch den Raum, Chöre setzen ein an unterschiedlichen Orten. Eine Improvisation, über den Sender direkt übertragen, mit vollem Risiko, in einem schwierigen Raum.

Jeder Ton hallt nach

Jörg Wyrschowy, Archivar im Detuschen Rundfunkarchiv in Frankfurt Main, hat sich intensiv mit der Dom-Reportage befasst:
"Ein sehr, sehr weiter Nachhall, und das Tragen des Tones des Sprechens, aber auch des Singens, mit viel Raum und wenig tragender Substanz. Das war ja gerade der Sinn des Konzepts von Fritz Worm. Er wollte den Geist der gotischen Kathedrale akustisch einfangen. Darum hat man es auch technisch so versucht darzustellen, wie der Raum selber klingt."
Auf einer historischen Fotografie sind zwei Männer zu sehen, die an technischen Geräten beschäftigt sind.
22. Dezember 1920: Die erste deutsche Rundfunkübertragung
Die Geburtsstunde des deutschen Hörfunks schlug auf dem "Funkerberg" bei Königs Wusterhausen. Nach jahrelangem Tüfteln an Sendeanlagen gelang am 22. Dezember 1920 die erste Ausstrahlung.
Und das alles – strenggenommen – als Quereinsteiger. Fritz Worm war eigentlich Buchhändler. Er stammte aus einer jüdisch-assimilierten Familie in Oberschlesien, eröffnete vor dem Ersten Weltkrieg eine Buchhandlung mitten in Düsseldorf.

Worms schätzt die Hochkultur

Kultur war Worms Leidenschaft – und zwar der traditionelle Kanon der deutschen Hochkultur: Klassik, Romantik, Idealismus. Und so ging es auch in Worms Dom-Reportrage um kulturelle Meilensteine. Etwa um das fast tausend Jahre alte Gero-Kreuz. Fritz Worms Gesprächspartnern stieß es sauer auf, dass Restauratoren dieses Gero-Kreuz gerade durch voreilige Maßnahmen verdorben hatten. Worm antwortete ihnen:
"Aber dennoch wirkt sich die ursprüngliche Form darin so stark aus, daß man diese Fehler eigentlich vergißt. Wie schmerzenstief, wie wildverzerrt klafft dort gleich einer Wunde der Mund! Wir haben..." Ein Priester unterbricht: "Aber darf ich bitten, zu schweigen? Die Orgel setzt ein."

Vom Radiovortrag zum Klangexperiment

Schon 1927 hatte Worm im Radio Vorträge gehalten, über Bildende Kunst, in der typischen, sehr förmlichen Machart des Weimarer Rundfunks. Um so überraschender kam 1930 das Experiment im Kölner Dom. Aber das unternahm Fritz Worm mitten in einer turbulenten Zeit, erklärt der heutige WDR-Redakteur für Neue Musik, Frank Hilberg:
"In den Jahren um 1930 ist eine unglaubliche Vielfalt an ästhetischen Mitteln und Möglichkeiten und Nachdenken entstanden. Das ist etwas, das man heute nicht mehr so auf dem Plan hat. Aber es gibt sofort eine große Debatte: Was ist Radio?"

Worms muss vor NS-Herrschaft fliehen

In diese Debatte aber konnte sich Fritz Worm nicht lange einschalten. Denn er hatte Gegner. Die saßen etwa beim "Westdeutschen Beobachter", dem regionalen Presseorgan der NSDAP. Dort hieß es am 21. Januar 1932:
"Wie tückisch sich der Jude dem deutschen Wesen nähert, um es mit jüdischen Ideen zu infizieren, beweist anschaulich der Jude Fritz Worm, der unheimliche Ohrenbläser im Westdeutschen Rundfunk."
Der Melker Fritz Janz aus Oerie (Kreis Springe) melkt im Dezember 1951 bei Musikberieselung eine Kuh. Aber nicht für sein Vergnügen hat er das Radio im Kuhstall aufgestellt, sondern für die Kühe. Der findige Melker hatte von Versuchen gehört, mit denen bei Musik im Stall die Milchleistung der Kühe erhöht werden sollte. Und prompt den Rundfunkempfänger in den Stall getragen. Der Versuch hat geklappt: Nach anfänglicher Unruhe haben sich die Kühe an die neuen Töne gewöhnt, die Milchleistung ist um acht Liter pro Tag gestiegen. Ganz besonders schätzt das Vieh den Jazz.
Das Radio - Demokratie auf Empfang
Radio ist ein urdemokratisches Medium: Jeder kann es hören, es bringt alle zusammen. In einer Reihe zeigen wir, was Hörfunk kann: als Jedermann-Sender und Gemeinschaftsmedium, als politische Informationsquelle und Werbeträger.
Worm war unter den ersten, die 1933 aus den Funkhäusern geworfen wurden. Immerhin gelang es ihm, 1935 aus Deutschland zu fliehen – nach Brasilien. Aber dort teilte er das Los so vieler Emigranten, die in der Fremde keine Arbeit fanden. Fünf Jahre lebte er in Rio de Janeiro, in immer tieferer Armut und Verbitterung:
"Je älter man wird, desto mehr sieht man ein, wie sinnlos, ja wie schädlich der europäische Begriff der sogenannten ‚Bildung‘ gewesen ist. Er hat im Grunde genau das Gegenteil von dem bewirkt, was er bewirken sollte; er hat alberne und charakterlose Quatsch-Hänse erzeugt, die, wenn es darauf ankommt, versagen."
Der Pionier der Akustischen Kunst kehrte nie zum deutschen Radio zurück. Nicht einmal ein Jahr nach Abfassen dieses Briefes starb Fritz Worm in Rio im Mai 1940.