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Reihe: Späte Reue
Die "Afrika-Schmonzette" im deutschen Fernsehen

Im deutschen Fernsehfilm hat die Kolonialgeschichte Spuren hinterlassen. Das Afrika-Bild dort wird von Stereotypen bestimmt. "Das sind Klischees, die mit dem Fremden spielen", sagte die Kommunikationswissenschaftlerin Cornelia Grobner im Dlf. Die Filme griffen auf "uralte koloniale Legitimationsmythen" zurück.

Cornelia Grobner im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
    Ein Filmstill aus "Die Weiße Massai" aus dem Jahr 2005 zeigt Nina Hoss im Brautkleid und Jacky Ido als Afrikaner in traditioneller Tracht.
    Der Film "Die Weiße Massai" mit Nina Hoss und Jacky Ido aus dem Jahr 2005. (imago stock&people / Entertainment Pictures 2005)
    Maja Ellmenreich: Wir gehen dieser Tage in "Kultur heute" den Spuren nach, die die Historie hinterlässt – genauer gesagt: die deutsche Kolonialgeschichte. "Späte Reue" heißt unsere Gesprächsreihe über den Umgang mit besagter Kolonialgeschichte. Und darin schalten wir heute im Radio mal den Fernseher ein und wollen darüber sprechen, was für ein Afrika-Bild im 21. Jahrhundert bei uns im Fernsehen eigentlich vermittelt wird. Die Kommunikationswissenschaftlerin Cornelia Grobner hat in Salzburg über "Fremdheit im deutschsprachigen Unterhaltungsfernsehen" promoviert. Und sie hat im Zuge ihrer Arbeit ein eigenes Fernsehformat beziehungsweise ein Filmgenre ausgemacht, dem sie – mit einer sympathischen Süffisanz – den Namen "Afrika-Schmonzette" gegeben hat.
    Frau Grobner, was genau zeichnet so eine "Afrika-Schmonzette" aus? Ist das so etwas wie "Rosamunde Pilcher in der Savanne"?
    Cornelia Grobner: Ja, so könnte man es durchaus umschreiben. Es ist tatsächlich so, dass die Filme in Afrika spielen, aber die Hauptfiguren kommen aus Deutschland oder Österreich, das heißt, es sind weiße Hauptfiguren, und die formale und die ästhetische und die inhaltliche Gestaltung der Filme ist sehr einfach. Einfach heißt dann zum Beispiel, dass die Darstellungen sehr klischeehaft sind, die Landschaften idyllisch, es gibt sehr, sehr simple Konfliktlösungsmodelle, und es hat ein Happy End und es wird eine heile Welt gezeichnet.
    "Vergnügen an exotisierten Menschen"
    Ellmenreich: Warum eignet sich denn, sag ich jetzt mal ganz bewusst, der afrikanische Kontinent so gut für solche Filme, welche Klischees werden da bedient?
    Grobner: Das sind Klischees, die mit dem Fremden spielen. Afrika wird da inszeniert als etwas, das Europa fremd ist und das uns fremd ist. Und dieses Spiel mit dem Unheimlichen und dem Unbekannten ist ganz ein klassischer Wert im Fiktionalen. Und mit diesen Filmen werden eben dann Afrika, afrikanische Landschaften, aber eben auch schwarze Menschen zu diesen Fremden gemacht. Das ist ein Unterhaltungswert sozusagen für das westliche Publikum. Wir, wir Weißen, unter Anführungsstrichen, wir vergnügen uns an exotisierten Menschen, an gefährlichen Situationen und Landschaften, dass dann alles gleich recht abenteuerlich und aufregender wirkt.
    Ellmenreich: Und deuten Sie das immer noch als eine gewisse Kolonialherrenattitüde, denn das, was Sie gerade beschrieben haben, das erinnert ja doch durchaus an diese Zeit damals.
    Grobner: Genau. Also wenn man diese Klischees sozusagen herausgreift aus dem Film und in ihrer Entstehung nachverfolgt, dann kann man ganz schön sehen, dass die Geschichten zurückgreifen auf die ganz uralten kolonialen Legitimationsmythen, die vor Hunderten von Jahren erfunden wurden, um eigene Kolonialtätigkeiten und Sklaverei zu legitimieren.
    Ellmenreich: Das heißt, der kluge Weiße kommt und hilft dem Schwarzen, der noch nicht so weit ist in seiner Zivilisierung, das Leben zu meistern und klarzukommen in der großen weiten Welt?
    Grobner: Genau, so ist es. In der Wissenschaft nennen wir das ein "white savior"-Narrativ, das kommt in ganz, ganz vielen Filmen vor, also überhaupt nicht nur in diesen Afrikafilmen, wo einfache Dramaturgie story-konzipierend ist, sondern das [Anm.: rassistische Stereotype generell] gibt es auch in den großen Hollywoodfilmen, aber auch in Märchen - in Orientmärchen - und in vielen, vielen Erzählungen vom Westen.
    Afrika als Sehnsuchtsort
    Ellmenreich: Nun vergleichen Sie diese "afrikanisierten Heimatfilme", wie Sie sie auch nennen, mit dem deutschen Heimatfilm der Nachkriegszeit. Lautet in beiden Fällen die Formel, wir kleben so eine Art Heile-Welt-Pflaster auf, um darunter die tiefen Wunden, also die Schuldgefühle womöglich nicht sehen zu müssen und auch nicht spüren zu müssen? Kann man diese beiden Filmgenres so zusammenfassen?
    Grobner: Ja, also in gewisser Weise würde ich das durchaus so zusammenfassen. Von der Idee her gibt es da ganz, ganz viele Parallelen von der Art und Weise der Darstellung. Ein großer Unterschied ist das Setting, aber auch da wieder: Damals waren es die Alpen, die Heidelandschaft, der Schwarzwald, heute sind es afrikanische Landschaften, die sozusagen als Sehnsuchtsort idealisiert werden und dadurch auch in gewisser Weise eine Art Sehnsuchtsheimat bilden, also einen Ort, an dem man gerne wäre. Und da gibt es auch ganz interessante Parallelen zu den touristischen und den massentouristischen Bewegungen, mit denen wir heute im Westen durchaus weiter greifen als nur in die eigene Natur zurück.
    Keine afrikanische Realitäten
    Ellmenreich: Nun heißt unsere Gesprächsreihe "Späte Reue", auch weil ja doch vielerorts die kritische und schuldbewusste Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte stattfindet, aber Sie, wenn ich Sie richtig verstehe, attestieren den Filmemachern, über die wir jetzt gerade sprechen, offensichtlich keine späte Reue. Oder gibt es auch positive Beispiele für eine moderne und zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem Kontinent Afrika?
    Grobner: Also im deutschsprachigen Raum würde ich vorsichtig Nein sagen. Grundsätzlich ist schon die Tendenz zu beobachten, auch bei Filmen, die inhaltlich und formal komplexer sind, wie zum Beispiel "Winterreise" von Hans Steinbichler oder "Paradies Liebe" von Ulrich Seidl, da sieht man auch ganz genau, dass es in den Filmen nicht tatsächlich um Afrika oder afrikanische Realitäten geht, sondern Afrika immer nur als Negativ verwendet oder auch missbraucht wird, um eigene Befindlichkeiten darzustellen. Insofern würde ich keine späte Reue sehen, nein.
    Ellmenreich: Die Kommunikationswissenschaftlerin Cornelia Grobner über den zeitgenössischen, aber nicht unbedingt zeitgemäßen Afrika-Film im deutschsprachigen Fernsehen. Ein weiteres Gespräch in unserer Reihe "Späte Reue".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.