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Reihe: Späte Reue
"Es geht nicht darum, die Welt zu erklären"

Die Geschichte der Kolonisation als solche sei in einem Ethnologischen Museum schwierig zu erzählen, sagte die Museumsdirektorin Barbara Plankensteiner im DLF. Umso wichtiger sei es, ausgestellte Objekte aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und mit der Gegenwart in Verbindung zu setzen.

Barbara Plankensteiner im Gespräch mit Katja Lückert |
    Porträt von Barbara Plankensteiner - Sozialanthropologin und Afrikanistin, seit 2017 Direktorin des Völkerkundemuseums in Hamburg
    Barbara Plankensteiner - Sozialanthropologin und Afrikanistin, seit 2017 Direktorin des Völkerkundemuseums in Hamburg (Foto: Markus Scholz/dpa)
    Katja Lückert: Die Debatte um die deutsche Kolonial-Vergangenheit, der Umgang mit Kunstwerken und Sammlungen, die auf die unterschiedlichste Weise ihren Weg in deutsche Museen gefunden haben, wird besonders seitdem das Humboldt-Forum in Berlin als Weltkulturmuseum gehandelt wird, wieder intensiver geführt. Sogar im Koalitionsvertrag wird die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte neuerdings zum "demokratischen Grundkonsens" gezählt – und in einem Atemzug mit der Aufarbeitung der NS-Zeit und der SED-Diktatur genannt. Ein Grund für uns in einer kleinen Serie, die in Kultur heute über die Osterfeiertage gesendet wird und die heute beginnt, einmal über Möglichkeiten einer solchen Aufarbeitung nachzudenken.
    Das Hamburger Museum für Völkerkunde zählt zu den größten ethnologischen Häusern Europas. Vor einem Jahr hatte es an dem Haus einen Wechsel gegeben, nach Wulf Köpke wurde die Sozialanthropologin und Afrikanistin Barbara Plankensteiner neue Direktorin. Sie war am Weltmuseum Wien stellvertretende Direktorin und Chefkuratorin, sowie an der Art Gallery in Yale Kuratorin für afrikanische Kunst. Frau Plankensteiner, ich habe Sie als Sozialanthropologin vorgestellt, ist das etwas anderes als eine Völkerkundlerin, eine Ethnologin, Sie setzen sich auch für die Umbenennung ihres Hauses ein – auf der Webseite steht: Die Neuausrichtung des Museums hat begonnen, worum geht es Ihnen genau?


    Barbara Plankensteiner: Ich glaube, dass sich die Häuser insgesamt in Europa in den letzten 20 Jahren sehr stark verändert haben, in ihren Inhalten und in der Art und Weise, welche Themen sie aufbereiten, mit welchen Fragen sie sich befassen. Ich glaube schon, dass man sagen kann, dass sich kein Haus oder dass man das in der Regel nicht mehr macht, "Völker" zu beschreiben, wenn ich das so unter Anführungszeichen sagen kann, sondern es geht eigentlich um ganz andere Fragen. Es geht um kulturelle Vernetzungen, um kulturelle Beziehungen, es geht um Kulturgeschichte, um Kunst, auch um historische Verankerung der Sammlungen, was dahinter stand, wie die Museen entstanden sind, wie die Sammlungen sich konstituiert haben. Es geht auch darum, zum Fragment zu stehen und nicht mehr so zu tun, als ob man Welten erklären könnte in unseren Häusern, oder gesamte Weltregionen, in gesamte Weltregionen einführen kann mit diesen Sammlungen, und viele andere Fragen mehr.
    Blick auf die Gegenwart
    Lückert: Nach Ostern wird es ja eine neue Sonderausstellung in Ihrem Haus unter dem Titel "Designgeschichten zwischen Afrika und Europa" geben. Auf welche Weise werden die Besucher dann schon diese Neuausrichtung bemerken können?

    Plankensteiner: Ja, in diesem Fall bei uns, die Ausstellung "Designgeschichten zwischen Afrika und Europa", da geht es uns vor allem darum, auch zu zeigen, dass sich ein Haus wie unseres mit Gegenwartsfragen beschäftigen kann, mit einem Fokus auf Objekten, in diesem Fall Design, die sehr viel davon erzählen, mit was sich Kreative in Afrika heute beschäftigen und wie das auch mit vielleicht Kolonialgeschichte zusammenhängt, wie es mit unserer Geschichte zusammenhängt und mit welchen Fragen sich heute Künstler und Kreative in Afrika befassen: Mit Fragen der Nachhaltigkeit, mit einer neuen Interpretation lokaler Traditionen, mit Afro-Futurismus, mit der eigenen Moderne und vielem mehr.

    Lückert: Wenn wir über Kolonialvergangenheit sprechen, was ist in Ihren Augen nötig, damit so eine Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit gelingen kann?

    Plankensteiner: Ich glaube, dass unsere Häuser hier eine ganz spezifische Rolle haben. Wir sind ja nicht jetzt Häuser, in denen man vielleicht eine Kolonialgeschichte als solche erzählen kann. Das ist ja eher die Aufgabe historischer Museen. Doch ich glaube, in unseren Häusern geht es darum aufzuzeigen, welche Rolle ethnographische Museen in der Konstruktion des sogenannten Anderen geleistet haben, welche Bilder sie in den Köpfen der Menschen verankert haben, die heute noch bestehen, Stereotypisierungen von Kulturen, Folklorisierungen von Kulturen, Exotisierung und vieles mehr.
    Auch haben die Häuser etwas konstruiert, was man Völker nannte, also Entitäten, die es in dieser Art und Weise ja oft gar nicht gegeben hat, die auch Konstruktionen waren in der Kolonialzeit – einerseits, um sie besser beherrschen zu können, und andererseits, um sie leichter studieren zu können, indem man sie so dargestellt hat, als ob sie von außen unbeeinflusst ein authentisches kulturelles Leben geführt hätten, das mit der Außenwelt keinen Kontakt hat, und dass es so abgeschlossene Einheiten waren, die man dann einfach besser darstellen konnte.
    Es geht einerseits darum, aber auch darum, wie eigentlich unsere Sammlungen entstanden sind in dieser Zeit. Diese Frage ist, glaube ich, auch ganz wichtig zu erzählen hier, weil das immer auch mit uns zu tun hat und mit unserer eigenen Geschichte.

    Lückert: Menschen sehen ja in ethnologischen Museen Kunstwerke oder auch Werkzeuge oder Gebrauchsgegenstände, also keine Konzepte. Haben Sie ein Beispiel für eine Kontextualisierung an einem Objekt?
    Aus mehreren Perspektiven auf ein Objekt blicken
    Plankensteiner: Ja. Ich glaube, es geht heute auch vor allem darum, dass wir dann transdisziplinär arbeiten. Die Gegenstände oder die Sammlungsgegenstände bei uns wurden eigentlich immer nur aus einer Perspektive betrachtet, die man jetzt mal als Kulturen beschreiben und bezeichnen könnte. Aber sie sind oft viel mehr, und das könnte ich Ihnen an einem Beispiel der Wiener Sammlung erklären, mit dem ich mich ein bisschen näher befasst habe. Zum Beispiel haben Sie dort im Inventar ein Objekt, das als Häuptlingshocker bezeichnet wurde und in der Vergangenheit immer wieder als solcher ausgestellt worden ist, als Häuptlingshocker der Niamwesi - das ist eine Bevölkerungsgruppe im Zentrum Tansanias – und vielleicht dafür gestanden ist, für ein besonders fein gearbeitetes Objekt, aber als Kategorie eines Häuptlingshockers. Wenn Sie dann im Archiv nachschauen, steht dort aber bei diesem sogenannten Häuptlingshocker dabei, dass es aus dem Besitz eines gewissen Sultan Kandi war. Und ich bin der Sache nachgegangen. Diese Tatsache, dass es im Besitz einer bestimmten Persönlichkeit stand, die war für dieses ethnographische Prinzip des Kulturbeschreibens nicht relevant.
    Wenn Sie aber jetzt der Geschichte mehr nachgehen und schauen, wer war denn eigentlich der Sammler, der dieses Stück gesammelt hat, und wer war denn diese Persönlichkeit Sultan Kandi, und wie kommt überhaupt so ein sogenannter Häuptlingshocker, der eigentlich ein Herrscherstuhl oder ein Thron ist, in die Sammlung des Museums, dann erzählen Sie plötzlich eine ganz andere Geschichte mit diesem Objekt. Es wird plötzlich das Besitztum eines Individuums, eines Herrschers, der abgesetzt worden ist nach der Besetzung durch die deutsche Schutztruppe, die gegen ihn vorgegangen ist, weil er sich nicht freundlich zu den Deutschen verhalten hat, weil er weiterhin den Handel unterstützt hat, abseits von den Kolonialinteressen. Er hat sozusagen Widerstand geleistet. Er wurde abgesetzt und offenbar hat man sein Eigentum nach Österreich gebracht. Die Person, die das getan hat, war ein Stationsvorsteher in Tabora, genau im Zentrum dieses Gebietes. Und dann erzählen Sie plötzlich mit diesem Objekt eine ganz andere Geschichte, die plötzlich zeigt, dass es ein wichtiger Thron war in der Geschichte einer Bevölkerungsgruppe, die im Zuge einer kolonialen Auseinandersetzung, im Zuge dieser kolonialen Aneignung des Gebietes nach Europa gelangt ist.

    Lückert: Auf welche Weise können wir denn die Kenntnisse der Menschen in den Regionen, aus denen die Objekte stammen, zum Teil mit einbeziehen in diese Aufarbeitung der Kolonialgeschichte? Wie steht es um Rückgabe, um Wiedergutmachung?

    Plankensteiner: Bei diesem Beispiel würden wir jetzt wissen, woher denn dieses Objekt kommt und wer der Vorbesitzer ist. Jetzt müsste man eine Recherche vor Ort machen, ob es Nachfahren gibt, mit diesen Personen in Kontakt treten und herausfinden – die wissen wahrscheinlich gar nicht, dass dieses Objekt hier jetzt in dieser Sammlung, in diesem Fall in Wien existiert. Und dann muss man ins Gespräch kommen und herausfinden, wie das Interesse der Gemeinschaft oder der Nachfahren ist, und dann wird sich die Frage stellen, will die Gruppe diesen Thron zurück, ist er für sie und ihre Geschichte von Bedeutung. Ich würde sagen, wenn sich herausstellt, wenn man das alles nachweisen kann, ist die Sachlage meiner Ansicht nach klar.
    Dann ist es natürlich immer eine politische Entscheidung, ob dieses Stück dann zurückgeht oder nicht, denn die Sammlungen sind ja eigentlich nicht im Eigentum der Museen, sondern die sind ja in der Regel öffentlicher Besitz.
    Sammlungen historisch kontextualisieren
    Lückert: Zuletzt, wenn wir den Blick noch mal ein bisschen weiten, die Frage: Wenn Sie in die Lage versetzt würden, Barbara Plankensteiner, sich ausdenken zu müssen, was und auf welche Weise ein Weltkulturmuseum im Humboldt-Forum entstehen könnte. Was wären Ihre Vorschläge?

    Plankensteiner: Es ist ein bisschen schwierig zu beantworten, weil ich mich natürlich mit den Sammlungen und den Gegebenheiten dort nicht im Detail auseinandergesetzt habe. Aber ich glaube, es ist heute sehr wichtig, dass man die Sammlungen historisch kontextualisiert, einerseits in dem wissenschaftlichen Verständnis, in dem sie angelegt worden sind. Diese Geschichte ist, glaube ich, wichtig zu erzählen, damit man das versteht. Und dann natürlich ist es sehr wichtig, dass man erzählt, was bedeuten oder bedeuteten diese Dinge in ihrer Herkunftsgesellschaft, was war ihre Funktion dort. Und vielleicht auch, was bedeuten diese Dinge für die Nachfahren dieser Gesellschaft in der eigenen Erinnerungskultur. Sind sie ein Archiv für Techniken, die heute nicht mehr existieren? Sind es historische Objekte, die für die Gemeinschaft wichtig sind? Ich denke mir, man muss sie multiperspektivisch betrachten. Ich glaube, das sagen die Vertreter des Humboldt-Forums ja auch, dass sie das tun. Ich kenne das Konzept nicht, aber ich glaube, dass das wichtige Ansätze sind heute, dass wir sie aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
    Und dann spielen diese Sammlungen, Gegenstände, Werke ja auch eine wichtige Rolle in der heutigen pluralen Gesellschaft hier. Menschen, von deren ursprünglicher Herkunftskultur die Gegenstände stammen, leben ja heute in direkter Nachbarschaft, sind ja Mitbürger von uns, und auch das hat natürlich einen Einfluss auf unsere Museen und wir müssen uns damit beschäftigen, welche Rolle können wir als kultureller Anker auch in dieser Gesellschaft spielen für Menschen, deren Kulturgut, Kulturgeschichte, Kunst in den anderen Museen nicht vertreten ist.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.