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Reihe "Up, up to the Moon" (3): Quarzglas-Produzent Heraeus
Hat noch einen Koffer auf dem Mond

Am Sonntag feiert die NASA den 50. Jahrestag der Mondlandung. Beteiligt war damals auch das hessische Familienunternehmen Heraeus. Aus dessen Quarzglas wurde der Weltraumkoffer, den US-Astronaut Neil Armstrong auf der Mond-Oberfläche abstellte, hergestellt.

Von Ludger Fittkau |
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Die Mondlandung der Apollo 11-Crew: Der Weltraumkoffer für diese Mission wurde vom hessischen Familienunternehmen Heraeus produziert. (imago | United Archives International)
In einer Fabrikhalle der Firma Heraeus im südhessischen Hanau wird Quarzglas zugeschnitten. Im Gegensatz zu normalem Glas, in dem sich zum Beispiel noch Salzreste befinden, besteht Quarzglas beinahe zu 100 Prozent aus der chemischen Verbindung Siliciumdioxid. Das gibt dem Quarzglas Eigenschaften, die etwa in der Weltraumfahrt gebraucht werden:
"Extrem rein, chemisch beständig, sehr temperaturbeständig. Das macht dieses Material besonders im Vergleich zu anderen Materialen. Man kann an Grenzen herangehen, wo man früher nicht heran gehen konnte",
sagt Frank Nürnberg. Der Laserphysiker leitet bei Heraeus in Hanau den Forschungsbereich Optik. Eine der Grenzbereiche, für die sich Quarzglas eignet, ist die Oberfläche des Mondes. Als am 21. Juli 1969 erstmals Menschen aus einer kleinen Raumkapsel klettern und den Bodes des Erdtrabanten betreten, haben sie ein kleines, kofferartiges Gerät dabei, auf dem kleine Spiegel angebracht sind. Es ist ein Reflektor mit rund 100 Prismen von Heraeus, der für exakte Abstandsmessungen von der Erde aus mit einem Laserstrahl erreicht werden kann. Frank Nürnberg:
"Voraussetzungen waren: Es muss schnell gehen, es muss einfach und stabil sein. Keiner hat gewusst, wenn ich das erste Mal auf den Mond trete, klappt das? Sacke ich ein, gehe ich unter? Also der Koffer musste einfach abzustellen sein. Der ist schön handlich, man hat eine Folie abgezogen, das Ding hingestellt und es funktioniert. Sehr einfach, ohne externe Stromquelle oder so und es funktioniert. Es funktioniert seit 50 Jahren."
Die NASA kam mit hohen Anforderungen
Einer derjenigen, die vor 50 Jahren in Hanau die Quarzglas-Prismen für die erste Mondlandung gefertigt hat, ist der heute 82 Jahre alte Gerhard Steiner. Er erinnert sich, dass die NASA 1967 auf die Hanauer Quarzglas-Spezialisten zugekommen war:
"Wir waren erstmal geschockt über diese hohe Anforderung, die gestellt wurden. Aber wir konnten doch schon sagen, das müssen wir schaffen. Das können wir schaffen. Es waren eigentlich nur einige Leute, die fähig waren, an den Produktionsmaschinen diese Qualität herzustellen."
Raumfahrt-Veteran Steiner ergänzt:
"Das Material jetzt ist genau das Gleiche, wie das vor 50 Jahren war. Wir stellen mittlerweile seit über 100 Jahren Quarzglas her und wir können es auf die Anwendung genau anpassen".
Wo normales Glas nicht mehr funktioniert, kommt Quarzglas
Nach wie vor gibt es aus der Weltraum-Industrie Nachfrage nach dem Quarzglas des Hanauer Technologie-Unternehmens, das weltweit rund 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt. Bezogen auf den Umsatz ist Heraeus eines der größten Familienunternehmens Deutschlands. Quarzglas aus Hanau befindet sich in einer Vielzahl von Alltagsprodukten, etwa in Glasfaserkabeln. Eine wissenschaftliche Grundlage ist die Photonik. Dabei geht es um optische Verfahren vor allem für die Übertragung, Speicherung und Verarbeitung von Information. Ein Spezialgebiet des Physikers Frank Nürnberg:
"Man nennt das Jahrhundert das Jahrhundert der Photonik. Es wird immer mehr mit Licht passieren. Kommunikation über Licht, die ganze Glasfasertechnik. Und dementsprechend hat sich auch die Industrie weiterentwickelt. Zum Beispiel in der Autoindustrie wird heutzutage nicht mehr gesägt, sondern es wird mit Lasern geschnitten und geschweißt. Und genau dort drin finden sie Quarzglas-Optiken, die notwendig sind. Also überall, wo normales Glas nicht mehr funktioniert, speziell im ultravioletten oder im infraroten Lichtbereich, Speziallichtquellen zur Wasserreinigung oder zum Aushärten von Lacken, da kommen Quarzglasrohre vor."
Aus dem Quarzglas-Fenster ins Weltall gucken
Doch auch bei neuen Projekten in der Weltraumfahrt werden die Hanauer immer wieder in die Planungen einbezogen. Aktuell interessieren sich etwas Unternehmen, die Tourismusreisen in den Weltraum anbieten wollen dafür, ob Heraeus etwa besonders große Panorama-Fenster aus Quarzglas anbieten könnte.
Das Vertrauen in die Weltraum-Tauglichkeit der Hanauer Produkte basiert auf dem Erfolg der ersten Mondlandung vor 50 Jahren. Auch der pensionierte Ingenieur Peter Hitzschke war damals bei dem abenteuerlichen Projekt dabei. Damals habe man zunächst nicht gewusst, wofür die NASA die Quarzglas-Prismen bei der Apollo-Mission genau einsetzen wollte, erzählt Hitzschke heute:
"Nein, wir wussten, dass Quarzglas für die Weltraumfahrt für diesen Start am 20. Juli 1969 zur Verfügung gestellt worden ist. Wie das dann praktisch montiert worden ist, das haben wir alle nicht gewusst. Auch diese Mondlandung als solches mit den Prismen, hat man ja auch bei dem ersten Start nicht mitgekriegt. Sondern das war im Nachhinein mit Bildern zu sehen, mit Fotografien, war das dann sichtbar. Aber man wusste, dass wir etwas getan haben, was dann auf dem Mond zu irgendeinem Zeitpunkt aufgestellt wird."
"Jedes Stück schon in der Hand gehabt"
Gerhard Steiner erinnert sich genau an den Tag:
"Jedenfalls, am nächsten Tag war ich unterwegs mit Freunden zu einer Wanderung und da ist die Mondlandung am Nachmittag übertragen worden. Und wir waren ganz begeistert. Aber ich wusste nicht, da sind jetzt unsere Prismen drauf, das hat man später erst erfahren. Da waren wir ganz stolz: O je, da hast Du ja jedes Stück schon in der Hand gehabt! Aber das war erst ein ganz Stück später, dass man das erfahren hat, das Heraeus-Prismen mit dabei sind."