Weit ziehen sich Wiesen, Felder und Äcker durch die sanft hügelige Börde. Darüber viel blauer Himmel. Hier - eine knappe Autostunde westlich von Magdeburg – lebt Bauer Jochen Dettmer. Auf seinem Hof in Belsdorf bei Flechtingen nahe der früheren innerdeutschen Grenze hält er neben Gänsen und Hühnern, das vom Aussterben bedrohte Bunte Bentheimer Landschwein. Und bewirtschaftet 60 Hektar.
"Zwanzig Hektar davon sind Acker, vierzig davon Grünland. Da machen wir Heu für Pferde-Betriebe, das ist bei der Futterknappheit ein gefragtes Produkt."
Agrarkonzerne mit "Rucksackbauern" beackern den Boden
Wenn er mehr Land haben wollte, müsste sich Dettmer mächtig verschulden. Denn in Sachsen-Anhalt muss ein Landwirt für ländlichen Boden inzwischen tief in die Tasche greifen. Es werden inzwischen Preise von bis zu 100.000 Euro pro Hektar verlangt. Preise, die Landwirte niemals erwirtschaften, geschweige denn bezahlen können.
"Wenn sie von der Großmutter ein gutes Erbe haben, dann würde es gehen…"
Dettmer lacht. Über uns kreisen die Geier, sagt der Präsident des Bauernbunds in Sachsen-Anhalt. Und: Sachsen-Anhalt sei ein Brennpunkt der Bodenauseinandersetzung.
Für den Anstieg der Boden-Preise sind insbesondere Agrar-Investoren verantwortlich, die vor allem in Ostdeutschland riesige Flächen von den ehemaligen, flächenmäßig sehr großen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften aus DDR-Zeiten aufkaufen, 3.000 Hektar sind da keine Seltenheit. Anschließend würden die Flächen von den Kapitalanlegern an finanzkräftige – nicht regional verankerte - Agrarunternehmer verpachtet werden, erklärt Dettmer. In der Folge kämen sogenannte, Rucksackbauern, Land-Wanderarbeiter, die das Land bewirtschaften. Die Konsequenz: Die Dörfer veröden, weil keiner mehr vor Ort wohnt und arbeitet.
Dettmer ist ausgebildeter Agrarwissenschaftler und empört, dass Politiker seit Jahren versprechen, etwas – wie er sagt – gegen den Landraub durch Investoren zu tun. Doch passieren würde nichts. Seit nun schon fast zehn Jahren, ergänzt Dettmer. Die Augen blitzen.
"Wir verstehen das auch nicht, kritisieren die lange Dauer. Offenbar scheut sich die Regierung bzw. die regierungstragenden Fraktionen in Sachsen-Anhalt in eine öffentliche Auseinandersetzung zu gehen. Es steht in den Koalitionsvereinbarungen, es muss umgesetzt werden."
Gesetzentwurf für Agrarstrukturgesetz kommt nicht voran
Derzeit haben die sachsen-anhaltischen Landtagsabgeordneten der Regierungskoalition aus CDU, SPD und Bündnis 90 /Die Grünen einen Gesetzentwurf in der Schublade liegen. Wie zu hören ist, wird derzeit ein Gesetz-Entwurf von Juristen im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft rechtlich geprüft. Doch das könne dauern, hört man hinter vorgehaltener Hand.
Auch Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsministerin Claudia Dalbert, Bündnis 90/Die Grünen, ist verstimmt, auch ihr dauert es zu lange. Und sieht die Landtagsabgeordneten in der Pflicht, schleunigst ein Gesetz auf den Weg zu bringen
"Jeder Tag, an dem so ein Gesetz nicht kommt, schadet unserem Land. Weil an jedem Tag, Flächen veräußert werden können, an Investoren, die nicht aus der Landwirtschaft kommen und nicht vor Ort sind."
Nach Angaben des Bauernbunds in Sachsen-Anhalt sollen mittlerweile die Hälfte der gesamten Ackerflächen des Landes im Besitz von außerlandwirtschaftlichen stillen Kapitalinvestoren sein. Dazu zählen Unternehmen wie die Günter-Zech-Stiftung in Lichtenstein. 2016 kaufte diese Flächen vom insolventen Agrarkonzern KTG und hat jetzt so viele Äcker wie kein Bauer im Land. Ein entsprechendes – allerdings nicht vorhandenes – Agrarstrukturgesetz hätte das verhindern können, heißt es.
Weitere Investoren sind nach Angaben des Braunschweiger Thünen-Instituts unter anderem der Möbelkonzern Steinhoff, die Südzucker AG, das Dr. Oetker-Unternehmen, der Versicherer Munich Re oder das Autohaus Hercher in Leipzig [*]. Unternehmen, die nicht nach der Natur schielen, sondern nach der Börsenberichterstattung.
"Größte Landverschiebung seit der Völkerwanderung"
Ein ausgesprochener Kritiker der aktuellen Agrarstrukturen Ostdeutschlands ist Kurt-Henning Klamroth. Bauer in der Harzrandgemeinde Westerhausen und Präsident des Deutschen Bauernbunds, der die freien Landwirte vertritt.
"Ich sehe das, dass hier in den Neuen Ländern, die größte Landverschiebung seit der Völkerwanderung stattfindet. Die Wertschöpfung der landwirtschaftlichen Flächen findet sehr oft außerhalb der Neuen Länder statt, in irgendwelchen anonymisierten Kapitalgesellschaften."
Letztlich gehe es darum, mit einem Gesetz die Agrarstruktur vor weiteren Verwerfungen zu sichern, sagt Bauer Jochen Dettmer. Und unterstreicht: Es gehe um keine realsozialistische Lenkung des Bodenmarktes, sondern man wolle die bäuerlichen Strukturen sichern. Agrarinvestoren und Kapitalanlegern, die keinen Bezug zur Landwirtschaft hätten, soll der Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen schlicht erschwert werden. In dem der Kauf beispielsweise durch eine unabhängige Stelle genehmigt werden müsse, so der Vorschlag des Bauernbunds in Sachsen-Anhalt.
"Wir wollen darüber mitbestimmen. Wer ist der Bewirtschafter, wer ist unser Nachbar. Ich glaube hier muss man die Marktwirtschaft regulieren."
Doch wann das Agrarstrukturgesetz kommt, keiner weiß es. Schon in der letzten Legislaturperiode wurde es den sachsen-anhaltischen Bauern versprochen und es kam nicht. Ob jetzt das Gesetz kommt? Selbst die Abgeordneten der regierungstragenden Parteien sind sich nicht sicher. Wohl auch ein Grund, warum sich dort niemand zu diesem Thema äußern will.
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* Wir haben aus rechtlichen Gründen zwei Worte gelöscht.