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Reihe: "Woher kommt die Energie?"
"Eingespannt in Optimierungsmaschinen"

Doping, Fitness-Studio-Boom und Schönheitsoperationen - obwohl der menschliche Körper in der heutigen Zeit nicht mehr in erster Linie Arbeitsmedium sei, gebe es einen riesigen Druck, ihn immer noch mehr zu optimieren, sagte die Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser im Dlf. Das wiederum führe seltsamerweise zu Erschöpfungszuständen.

Karin Harrasser im Gespräch mit Britta Fecke |
    Die Illustration zeigen einen Bodybuilder, der die Rücken- und Armmuskulatur anspannt.
    Karin Harrasse sieht einen "riesigen Druck, sich immer noch mehr zu optimieren, die richtigen Entscheidungen für den eigenen Körper zu treffen, die richtige Sportart, die richtige Ernährung." (imago/Ikon Images)
    Britta Fecke: Energie entsteht nicht, sie ist! Sie verändert vielleicht die Form von der Bewegungs- in die Wärmeenergie, aber sie geht nicht verloren. Die Gesamtenergie bleibt in einem abgeschlossenen System gleich. Es ist nach dem Energieerhaltungssatz nicht möglich Energie zu erzeugen oder zu vernichten. Soweit das physikalische Verständnis des Energiebegriffs, was uns als nicht abgeschlossenes System Mensch aber nicht daran hindert von Energieverlust oder -Schüben und Energieverbrauch zu sprechen.
    In unserer Gesprächsreihe, über die verschiedenen Energieformen wollen wir aus verschiedenen Perspektiven auf die Möglichkeiten der Energiezufuhr sprechen. Wir können Energie oder Kraft optimal einsetzten bzw. uns selber so optimieren, dass wir mit geringem Energieeinsatz weiter kommen. Ein Beispiel wäre ein beinamputierter Mensch, dessen Karbonprothese die Bewegungsenergie viel besser umsetzt als menschliches Gewebe.
    "Technische Hilfsmittel sind immer Körpererweiterungen"
    Karin Harrasser ist Professorin für Kulturwissenschaft an der Kunstuniversität Linz, sie hat sich mit der Frage der technischen Erweiterung des Menschen im Rahmen ihrer Forschung ausführlich beschäftigt. Von ihr wollte ich wissen wohin die die Energie fließt, wenn wir die Körperkraft auf die tote Materie zum Beispiel auf einer Carbonprothese übertragen?
    Karin Harrasser: In der Medienwissenschaft würden wir wahrscheinlich damit ansetzen zu sagen, dass es innerhalb der Medienwissenschaft eine ganz verbreitete Idee gibt, dass technische Hilfsmittel immer Körpererweiterungen sind. Das heißt, dann wird die Energie in einem prothetischen Verständnis von Technologie vom Subjekt aus sich verströmen und eine Erweiterung von Subjektivität und von Wahrnehmung und von dem Radius der körperlichen Aktivität darstellen, würde ich sagen. Die traditionelle medienwissenschaftliche Idee wäre, dass sich durch prothetische Erweiterungen das Subjekt, die Subjektivität nach außen verströmt, die Energie größer wird.
    Fecke: Sie wird größer. Diese Carbon-Prothese kann mehr als das menschliche Gewebe.
    Harrasser: Genau. In der klassischen kulturmedienwissenschaftlichen Auffassung, etwa die von Marshall McLuhan, der ja meinte, dass sämtliche Medien Erweiterungen, Extensionen der Physis sind. Meiner Meinung nach kommt das nicht ganz hin, denn so was wie technische Körpererweiterungen verschieben eher das, was das menschliche organische Material kann, als dass sie es per se jetzt erweitern und vergrößern. Ich würde das meiner Meinung nach anders anschauen und eher sagen, dass mit jedem Eingriff in die physische, organische Substanz was Neues entsteht, aber auch verschiedene Kompetenzen abnehmen.
    Prothese als Doping?
    Fecke: Es ist dann auch schwierig zu beurteilen, wo noch der Mensch rennt und wo schon der Mensch verstärkt durch eine Prothese rennt.
    Harrasser: Ja. Das war ja in der ganzen Diskussion rund um Oscar Pistorius der Diskussionspunkt. Darüber haben sich ja auch die verschiedenen Experten gestritten in diesem Fall. Da ging es um diese Frage, ob die Prothese von Oscar Pistorius einfach ihm eine andere Form des Laufens ermöglicht, oder ob das als Doping, als Leistungssteigerung anzusehen ist. Es ist interessant, dass da zwei Kommissionen drüber befunden haben. Die erste Kommission war der Meinung, das ist eine Leistungssteigerung, also illegitim im sportlichen Wettkampf, und kann man nur in einer Ausnahmeregelung erlauben. Im zweiten Gutachten ist dann befunden worden, dass es keine Leistungssteigerung ist, sondern einfach eine andere Art und Weise zu laufen, und das war der Streit, um den es da ging. Im Sport ist natürlich der Imperativ, dass die Leistung selbst vollbracht werden muss, und deshalb ist es überhaupt zum Streitgegenstand geworden.
    Fecke: Wenn wir mal diesen sportlichen Aspekt außen vor lassen - es gibt ja auch inzwischen eine Kultur der Selbstoptimierung. Ist das ein Kind der Zeit, diese Selbstoptimierung? Ist das ein Ausdruck dieser gesättigten Gesellschaft, die Energie über hat und sich deswegen um die Selbstoptimierung oder diese Erweiterung mit technischen Hilfsmitteln kümmern kann?
    Erschöpfung ist die andere Seite der Münze zum Optimierungsimperativ
    Harrasser: Ich habe mir darüber auch im Vorfeld des Gesprächs Gedanken gemacht: Was ist das eigentlich, diese Selbstoptimierung, mit Blick auf gesellschaftliche Energiezustände. Und ich glaube, ich würde es so beschreiben wollen, dass die Optimierung des Körpers im Fitness-Studio oder auch durch operative Eingriffe sicher auch viel damit zu tun hat, dass im Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts der menschliche Körper ja noch ganz deutlich als Energielieferant aufgefasst worden ist. Fabrikarbeit, Körpereinsatz, auch der gezielte Einsatz von menschlicher Physis, um Mehrwert zu generieren.
    Und genau auf dem Sektor hat es natürlich gerade in den europäisch-westlichen Gesellschaften sehr große Veränderungen gegeben. Mehrwert wird derzeit ja nur in unseren Breitengraden, muss man immer dazu sagen, eher aus dem kognitiven Vermögen geschöpft und dadurch ist der Körper, der physische Körper ein bisschen zur Nebensache geworden, der jetzt in so eine Dauerschleife der Selbstgestaltung eingegangen ist. Das interessanterweise ist aber nicht so, dass das dazu führt, dass alle Menschen glücklich jetzt nur noch ihren Körper als Zusatz, zusätzliches freudvolles Feature ihres Daseins sehen, sondern dass daraus ein riesiger Druck erwächst, immer noch mehr zu optimieren, immer noch besser zu werden, die richtigen Entscheidungen für den eigenen Körper zu treffen, die richtige Sportart, die richtige Ernährung. Das wiederum führt zu seltsamerweise zu diesen Erschöpfungszuständen, zu Depressionen, wie das Ehrenberg ja gut beschreibt.
    Das sagt er auch: Die Depression, die Erschöpfung ist die andere Seite der Münze zum Optimierungsimperativ. Das ist schon ganz schön interessant und auch rätselhaft eigentlich. Eigentlich könnten wir jetzt auch, nachdem man den Körper nicht mehr als Energielieferanten, als Arbeitsinstrument in erster Linie auffasst, ja auch ein ganz, ganz entspanntes Verhältnis zum Körper finden und sagen, der ist jetzt sozusagen Freizeitinstrument.
    Fecke: Und umgekehrt spielt es sich ab in der westlichen Kultur.
    Harrasser: Ja, genau. Es hat auch ganz was Rätselhaftes, dass der Körper nach wie vor so eingespannt ist in so Optimierungsmaschinen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.