Eigentlich hätte Reinhard Genzel seinen Posten als Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching längst räumen müssen: „Ich bin jetzt 69, nächstes Jahr 70. Also, eigentlich bin ich ja schon im Ruhestand“, sagt er. Doch dann bot ihm sein Arbeitgeber eine Verlängerung an: Bis 75 kann er weitermachen. Genzel willigte gern ein, denn: „Es macht wahnsinnig Spaß. Und die Forschung ist eine unglaublich schöne Sache, wenn so tolle Sachen rauskommen.“
Durch jahrzehntelanges Beobachten hatte Genzel herausgefunden, dass sich bestimmte Sterne im Zentrum der Milchstraße ungewöhnlich bewegen: Ganz offenbar kreisen sie um etwas, das zwar unsichtbar ist, aber eine enorme Masse besitzt. Die stimmigste Erklärung: Es ist ein supermassives Schwarzes Loch – ein Gravitationsmonster, dessen Schwerkraft selbst das Licht nicht entkommen kann. 2002 veröffentlichte Genzel seine Resultate, 2020 erhielt er dafür den Physiknobelpreis.
Rätsel um das Schwarze Loch
Die Forschung aber war damit noch längst nicht am Ende. Denn das Gebilde im Zentrum unserer Galaxis barg noch manche Geheimnisse. Zum Beispiel: „Handelt es sich hier um ein einzelnes Schwarzes Loch?“, so Genzel. „Oder gibt es da zwei davon, die zusammen die Masse dieses einen Objekts ausmachen, was wir bislang gemessen haben? Und schließlich ist die Frage: Gibt es da noch etwas anderes? Viele Leute haben postuliert, dass Dunkle Materie durch solch ein Objekt angezogen werden könnte.“
Dunkle Materie – das ist eine bis dato spekulative Materieform. Laut Theorie könnte sie die Milchstraße zusammenhalten wie ein unsichtbarer Klebstoff. Um die offenen Fragen zu klären, musste Genzels Team das Zentrum der Milchstraße sehr viel genauer unter die Lupe nehmen und per Teleskop einer Handvoll Sternen folgen, die äußerst dicht am Schwarzen Loch vorbeischrammen.
„Und da hatten wir das Glück mit einem Gerät, was einzigartig ist in der Welt, indem wir die vier Acht-Meter-Teleskope der Europäischen Sternwarte in Chile zusammenschalten, um damit die entsprechende Messgenauigkeit zu bekommen“, erzählt der Nobel-Laureat. „Die erlaubt uns, eine Eurocent-Münze auf dem Mond aufzulösen.“
Corona sorgt für Forschungsstopp
Doch als die Messungen starten sollten, kam den Fachleuten etwas völlig Unerwartetes in die Quere – die Corona-Pandemie. „Deshalb musste das Observatorium geschlossen werden“, erzählt Genzel. „In dieser Umgebung von Nordchile, wo das Teleskop steht, gibt es eine große Stadt, die heißt Antofagasta. Da gibt es in der ganzen Gegend drei Beatmungsgeräte. Da will man ganz sicher sein, dass man da kein Covid reinträgt in so einer Situation.“
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EL-Teleskop in Chile - Gummispiegel für scharfe Bilder
Größtes Teleskop der Welt - Viermal acht gleich sechzehn
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Im Frühjahr 2020 machte das Observatorium dicht. Erst seit letztem Herbst war es Genzels Team wieder erlaubt, Leute nach Chile zu schicken, wenn auch nur sehr begrenzt. Doch zum Glück gibt es das Internet, und das machte es möglich, vieles von Europa aus fernzusteuern. „Immerhin konnten wir wieder Messungen machen“, sagt Genzel. „Und zwar zu unserem großen Erstaunen höchst interessante Messungen.“
Wieviel wiegt das Schwerkraft-Monstrum?
Es gelang, die Masse des Schwarzen Lochs genauer zu vermessen als zuvor: Es ist 4,3 Millionen Mal so schwer wie die Sonne. Auch die Entfernung zur Erde konnte das Team präzise bestimmen: Es sind ziemlich genau 27.000 Lichtjahre. „Es ist unglaublich“, freut sich Genzel. „In der Astronomie ist es oftmals nicht möglich, so genau zu messen wie die Physiker im Labor. Aber wir können das jetzt hinbekommen.“
Das vielleicht spannendste Resultat: Im Zentrum der Galaxis scheint tatsächlich nur ein Schwarzes Loch zu lauern und nicht mehrere kleinere. Und: „Man hätte erwarten können, dass sehr viel mehr Materie um das Schwarze Loch herum da sein könnte“, erklärt der Astrophysiker. „Das haben wir jetzt nicht gesehen. Und insbesondere auch nicht irgendein Anzeichen von sogenannter Dunkler Materie, was immer wieder in den Spekulationen von vielen theoretischen Kollegen der Fall war.“
Wettlauf mit der Zeit
Ein Füllhorn an Resultaten also – und das trotz Corona. Dennoch treibt die Pandemie dem Nobelpreisträger manche Sorgenfalte ins Gesicht. Derzeit nämlich entsteht in Chile mit dem ELT ein neues Teleskop, das weltweit größte seiner Art. „40 Meter Durchmesser, also nicht wie bislang acht Meter, sondern 40 Meter“, beschreibt Reinhard Genzel. „Ein Riesending!“ Er leitet ein internationales Konsortium, das eine hochpräzise Infrarot-Kamera für dieses Mega-Teleskop baut. Eigentlich sollte das ELT 2025 loslegen. Doch wegen Corona verzögert sich das nun um zwei Jahre. Für den Fast-Pensionär Genzel ein Wettlauf mit der Zeit.
„Da habe ich schon jetzt sehr tiefe Befürchtungen, dass das vor meiner Emeritierung nichts mehr wird“, beklagt er. „Obwohl die Max-Planck-Gesellschaft mir dankenswerterweise eine Zeit über die normale Arbeitszeit hinaus gegeben hat.“ Sollte das ELT erst nach seinem 75. Geburtstag in Betrieb gehen, könnte es sein, dass jemand anderes die Arbeit von Reinhard Genzel fortsetzen muss. Es sei denn, sein Arbeitgeber gewährt ihm dann noch einen weiteren Zuschlag.