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Reise in die Lutherzeit
Hexen und Heringe, Milzweh und Marzipan

Der Innovationsschub, der von der Reformation ausging, sei "nicht zu überschätzen", sagte der Schriftsteller Bruno Preisendörfer im Deutschlandfunk. Es sei Luthers ganz persönliche Leistung, wie er die deutsche Sprache geprägt habe. Der Autor, der eine "Reise in die Lutherzeit" veröffentlicht hat, bezeichnete Luther als "großformatiges Reformationstier".

Bruno Preisendörfer im Gespräch mit Andreas Main |
    Denkmal des Reformators Martin Luther (1483-1546) mit der Stadtkirche im Hintergrund in der Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt).
    Denkmal des Reformators Martin Luther mit der Stadtkirche im Hintergrund in der Lutherstadt Wittenberg (dpa / picture alliance / Peter Endig)
    Bruno Preisendörfer ist Schriftsteller. Er ist 1957 in Aschaffenburg geboren und lebt in Berlin. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht - zuletzt: "Als Deutschland noch nicht Deutschland war. Reise in die Goethezeit." Jetzt also eine "Reise in die Lutherzeit". Preisendörfer will Theologen und Historiker nicht Konkurrenz machen - er verfolgt einen anderen Ansatz. Er möchte sein Publikum erzählerisch motivieren, eine Zeitreise anzutreten, um Albrecht Dürer beim Malen oder Luthers Frau Katharina bei der Haushaltsführung zuzusehen.
    Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk erzählt Bruno Preisendörfer über Gewalt und apokalyptische Stimmungen in der frühen Neuzeit. Der kirchenferne Schriftsteller lobt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) dafür, wie sie das Reformationsjubiläum angeht.
    Das Interview in voller Länge:
    Andreas Main: Bruno Preisendörfer ist kein Theologe, er ist auch kein Religionswissenschaftler, er ist Schriftsteller und er ist ein Zeitreisender. Sein neues Buch hat den Untertitel "Reise in die Lutherzeit". Er schreibt über Himmel, Hölle, Alltag oder über Wollüsterei und Gattenliebe oder über Milzweh und Marzipan. So ein paar Überschriften aus dem Buch, "Als unser Deutsch erfunden wurde". Preisendörfer geht es also weniger um Religion und mehr um materielle Bedingungen und eben diese Zeit, in der sich die Reformation entwickelt hat. Er lebt in Berlin und ist dort in unserem Studio. Herzlichen Willkommen, guten Morgen, Bruno Preisendörfer.
    Bruno Preisendörfer: Ja, guten Morgen.
    Main: Zeitreisende erleben ja so einiges. Was hat Sie bei dieser Zeitreise besonders überrascht?
    Preisendörfer: Na, überraschend und schockierend und wirklich auch mitnehmend, tangierend und verletzend ist die ungeheure Gewaltpräsenz. Also, das gesamte Leben, vom politischen Leben bis hinein in das ganz normale Alltagsleben, war durchherrscht und geprägt von Gewalt. Und nicht von verbaler Gewalt – das auch, ohnehin –, sondern wirklich von dauernd präsenter physischer Gewalt. Und dann ist man schon froh, dass man doch Zivilisierungsprozesse hinter sich gebracht hat und wir heute noch – es ist ja momentan ein bisschen dabei, sich zu ändern – noch in einer durchzivilisierten Gesellschaft leben.
    Main: Ein Plädoyer für das Gewaltmonopol des Staates sozusagen.
    Preisendörfer: Genau.
    Main: Ihre Mitbewerber sind Luther-Biographen, Historiker, Theologen. Alles Zeitgenossen, die sich ihr Leben lang mit der Reformation beschäftigen und es kommen ja einige Bücher über die Reformationszeit und über Luther zurzeit auf den Markt. Was wollen Sie denen entgegen setzen?
    Preisendörfer: Na, entgegensetzen eigentlich gar nichts, weil ich bin ja diesen Autoren und diesen Fachwissenschaftlern und den Koryphäen der Luther- und Reformationsforschung zu großem Dank verpflichtet. Denn ohne solche historischen Werke hätte ich ja mein eigenes Buch gar nicht schreiben können. Dennoch geht es mir ja weder um eine Biographie Luthers, deshalb ist es ja auch kein Luther-Buch, sondern ein Buch über die Lutherzeit, es geht mir auch nicht um die Darstellung theologischer Finessen – so interessant die mitunter sein können –, sondern es geht mir um das Alltagsleben der damaligen Zeit. Und das wollte ich sozusagen rekonstruieren, aber nicht wissenschaftlich, systematisch, strukturell, sondern erzählerisch. Also, reflektierend erzählerisch und unter Aufrufung von Zeitzeugen-Stimmen. Und da geht es eben darum zu zeigen und zu erzählen, das kann ich nur unterstreichen, wie die Menschen damals gelebt haben. Und die Religion war ja ein Alltagsbestandteil, der aus dem normalen Leben gar nicht wegzudenken war, selbst wenn man es gewollt hätte.
    Main: Mit ein paar Federstrichen erzählen Sie, wie diese Lutherzeit auch geprägt ist von Weltuntergangsszenarien. Wie würden Sie die damalige apokalyptische Grundstimmung charakterisieren?
    Preisendörfer: Also, diese damalige Stimmung war eigentlich nur Voraussetzung für verschiedene religiöse Aufbrüche und auch Ausbrüche. Es ist ja ganz interessant, dass das eine Gemeinsamkeit ist eigentlich mit dem Frühchristentum. Also, auch die frühen Christen haben ja immer in der Naherwartung gelebt. Und dann bestand die Aufgabe der Kirche, diese Naherwartung zu institutionalisieren und die Zeit bis zum jüngsten Tag zu überbrücken. Ohne das hätte es ja die Kirche gar nicht gebraucht. Wenn morgen die Welt untergeht, muss ich mich heute nicht mehr um weltliche Belange kümmern. Und in dieser Grundstimmung hat sich das alles entfaltet, auch die Aufbegehrung Luthers, und zwar sowohl in religiöser als auch in sozial-politischer Hinsicht.
    Fanatismus in der Reformationszeit
    Main: Vergleichen wir das doch noch mal mit heute, auch wenn das nicht die eigentliche Absicht Ihrer Arbeit ist, aber ich rede ja mit einem Schriftsteller. Die Untergangsstimmungen, die zum Teil auch durch unsere Zeit wabern, gibt es Ähnlichkeiten oder war damals alles anders?
    Preisendörfer: Es war schon sehr vieles anders, und zwar deshalb, weil aus heutiger Perspektive so etwas wie das bürgerliche Subjekt ja damals noch gar nicht konfiguriert war, wenn ich mich mal so abstrakt ausdrücken darf. Von daher muss man vorsichtig sein mit anachronistischen Rückprojektionen. Dennoch ist es so, dass man schon Ähnlichkeiten sehen kann in bestimmten apokalyptischen Grundstimmungen. Ich will jetzt in der Analyse der Gegenwart nicht zu weit gehen, aber sehen Sie: Wenn jemand sich in die Luft sprengt, dann ist es ja eine agonale Aktion, hinter der nichts folgt, also jedenfalls nicht auf Erden. Und wenn Gestalten wie Müntzer oder die Täufer in Münster, das waren ja alles auch agonale Bewegungen, wo die Menschen in ihrem Fundamentalismus und in ihrem Fanatismus und auch in ihrer grundstürzenden Überzeugtheit agiert haben und da nicht mehr nach links und rechts geguckt haben, was sonst noch vielleicht nötig wäre.
    Main: Sie hören den Deutschlandfunk, die Sendung "Tag für Tag", im Gespräch mit dem Schriftsteller Bruno Preisendörfer. Herr Preisendörfer, Sie durchleuchten die materiellen und gesellschaftlichen Bedingungen der Lutherzeit. Einen schönen Satz möchte ich zitieren. Zitat: "Die Lumpensammler sind sozusagen schuld an der Reformation". Erinnern Sie sich noch, was Sie mit diesem Satz bezweckt haben, als Sie ihn schrieben?
    Preisendörfer: Ja, das ist natürlich eine überspitzte Formulierung, eine Zusammenfassung der Situation, dass ohne die Bücher und ohne die Flugschriften, die ja verteilt wurden, also auch mit den Thesen, ohne die Plakate, also ohne Gewerbeschrift auf Papier, dass die Reformation wahrscheinlich nicht vonstattengegangen wäre, weil man sonst nicht hätte auf diese Weise mobilisieren können. Wenn ich aber Druckwerke verbreite, brauche ich dafür Papier. Und wenn ich Papier erzeuge – damals jedenfalls – brauche ich dafür bestimmte Materialien und eines dieser Materialien waren eben Lumpen.
    Main: Also, sind die Lumpensammler schuld.
    Preisendörfer: Und die Lumpensammler sind halt herumgezogen, hatten sogar teilweise Privilegien, dass sie nur in diesem Gebiet sammeln durften und kein anderer. Und die Lumpen wurden dann halt in Papiermühlen gebracht und dann zerstampft zu einer Maische. Und von daher könnte man auf die Lumpensammler die ganze Sache dann schieben, wenn man das wörtlich nehmen möchte.
    Main: Also, ein Beispiel dafür, dass Sie sich nicht so sehr für hehre Worte interessieren, weniger für Ideen-Geschichte. Sie interessiert mehr, was hinten herauskommt. Und da zeigen Sie auf, wie in Gegenden, in denen sich die Reformation durchgesetzt hatte, wieder weiter munter Prozesse gegen Hexen, zum Beispiel, geführt wurden. Hat die Reformation, hat Luther nichts besser gemacht?
    Luther - eine Riesengestalt
    Preisendörfer: Ich möchte diese Frage weder allgemein mit 'Ja‘ noch allgemein mit 'Nein' beantworten. Ich denke: Luther ist erstens eine Riesengestalt, und dann ist er eine Riesengestalt auf einem Berg, der Abhänge ins Mittelalter hat und Abhänge in die Neuzeit hat. Und er ist eigentlich beidem irgendwie zuzuordnen.
    Was die Hexen angeht, ist schon viel gesagt und kritisiert worden an seinen Äußerungen darüber – die muss man auch nicht kleinreden. Auch die Tatsache, dass viele, viele Hexen – das wird oft falsch kolportiert –, viele, viele Hexen eben nicht in den katholischen Gebieten, also jedenfalls nicht in den deutschen Gebieten, nicht in den katholischen Gebieten verfolgt wurden, sondern gerade nun in den evangelischen, das ist es ja schon irgendwie ein merkwürdiger Vorgang. Aber die einzelnen Fälle muss man gucken: Für manche ist Luther vielleicht mitverantwortlich, aber man kann natürlich nicht jede Hexenverfolgung, besonders wenn sie nach seinem Tode dann stattfand, ihm jetzt nachträglich, also persönlich in die Schuhe schieben. Da muss man auch gerecht bleiben. Also, ich wollte jetzt Luther nicht an den Pranger stellen, das steht mir auch gar nicht zu. Ich wollte aber auch nicht sagen: Na ja, es war halt die Zeit damals - und seinen Antisemitismus, das muss man alles aus der Zeit heraus verstehen. Das ist auch zu einfach, also da macht man es sich zu einfach und immunisiert so eine Riesengestalt. Das ist auch gar nicht notwendig.
    Der große Abkanzler
    Main: Dennoch hat Ihr Buch ja auch einen eher optimistischen Titel, "Als unser Deutsch erfunden wurde". Wie schätzen Sie den Innovationsschub ein, der von der Reformation ausging?
    Preisendörfer: Ungeheuer groß. Also, dieser Innovationsschub, wie Sie das so treffend ausdrücken, ist eigentlich gar nicht zu überschätzen - und da, in diesem Punkt sehe ich auch Luthers ganz persönliche Leistung. Also, die Bibelübersetzung ist auch eine große persönliche Leistung von ihm, aber eben nicht nur. Es gibt bestimmte Voraussetzungen, die vorlagen, und es gab einen ganzen Stab von Mitarbeitern, die da mitgearbeitet haben. Es ist also keine Einzelleistung gewesen. Dennoch ist es natürlich ohne Luther … die Lutherbibel ohne Luther ist absurd, ist nicht vorstellbar und seine eigene Sprachwucht, auch sein Grobianismus. Er war ja nun ein großer Abkanzler, er hat ja mit dem Hammer philosophiert, also wie später ein anderer für sich in Anspruch genommen hat. Und das sind Dinge, die sind überzeitlich für die deutsche Sprache prägend und hinreißend und einfach überwältigend. Wenn man ein paar Sätze seiner Übersetzung liest, also nicht die eingedeutschte, eingehochdeutschte Modernisierung der EKD, der offiziellen, sondern wirklich seinen Text, man ist hingerissen und begeistert und mitunter auch fassungslos. Einfach großartig.
    Plastiken von Martin Luther des Künstlers Ottmar Hörl stehen 2010 auf der Kunstmesse St-Art in Straßburg am Stand der Berliner Galerie Maisenbacher.
    Plastiken von Martin Luther des Künstlers Ottmar Hörl stehen 2010 auf der Kunstmesse St-Art in Straßburg am Stand der Berliner Galerie Maisenbacher. (dpa / picture alliance / Rolf Haid)
    Main: Und er ist ja auch nicht nur ein Grobian. Sie zitieren ihn, wie er einen Brief an seine Ehefrau unterschreibt, und zwar mit "Dein Liebchen". Also er kann auch entzückend sein.
    Preisendörfer: Ja, er kann entzückend sein. Bei dem Liebchen natürlich, da musste er sich ein bisschen anstrengen, nett zu sein. Denn da geht es nämlich darum, dass er gerne eine Flasche Bier von ihr geschickt bekommen hätte. Und dann ist man natürlich besonders lieb zu seiner Frau, wenn man was von ihr will, sei es nur eine Flasche Bier. Aber er kann auch wirklich süß sein, wenn er sich über die Zöpfe freut, die morgens… Also, vorher war man allein als zölibatärer Priester oder Mönch und dann ist man verheiratet und dann wacht man morgens auf und da liegen dann die Zöpfe neben einem auf den Kopfkissen, die man vorher nicht sah. Also so etwas greift natürlich dann auch ans Herz.
    "Ein großformatiges Religionstier"
    Main: Sie sagen, es geht ihm um Bier und Wein. Sie interessieren sich auch für das Materielle, Luther eben auch – unter anderem. Sind Sie an diesem Punkt Geistes- und Seelenverwandte?
    Preisendörfer: Oh je, also ich glaube, meine Lebensintensität ist weniger ausgeprägt als die Luthers, was die Leiblichkeit angeht, will ich mal so sagen. Also nicht, dass ich jetzt nicht gerne… ich rauche und ich trinke meinen Wein, vielleicht auch zu viel. Aber er war ja in allen Dingen großformatig. Also er ist ja nun auch etwas aus dem Leim gegangen, wenn ich das so etwas despektierlich sagen darf, also er war doch recht fettleibig am Ende seines Lebens. In seiner Arbeitswut und seiner Arbeitswucht, unerhört, was der Mann geleistet hat, also in allem großformatig, in allem, auch zornig in allem, immer auf 100. Ein großformatiges Religionstier, wenn ich das mal so ausdrücken darf.
    Nah und fern zugleich
    Main: Sie zitieren ja nicht nur immer wieder Luther, sondern auch andere Zeitgenossen und auch deren Sprache. Wenn man sich die zu Gemüte führt: Sie ist einfach weit weg - und das kann man wohl insgesamt sagen für die Lutherzeit. Sie ist uns sehr fremd. Geht Ihnen das auch so?
    Preisendörfer: Ja, sicher. Man braucht ein bisschen Geduld. Ich habe das Verfahren gewählt in dem Buch, dass ich viele Zitate sozusagen eindeutsche, also in unser Deutsch, also vermodernisierend, damit man halt die leichter lesen kann. Habe aber bewusst auch eine ganze Reihe von Zitaten in der Sprache, in dem Deutsch der damaligen Zeit belassen, damit man die Aura und das Gespür ein bisschen dafür bekommt. Und bei den Passagen, die sozusagen im Luther-Deutsch oder im Deutsch des 15./16. Jahrhunderts gehalten sind, da muss man ein bisschen langsamer lesen und muss die sich vielleicht auch laut vorlesen, dann versteht man das schon. Aber da ist schon so ein Flirren zwischen Verwandtschaft und Fremdheit. Und darauf kam es mir auch an, zu zeigen, dass die Fremdheit – das ist ein halbes Jahrtausend –natürlich schon auch wichtig ist. Wenn man die übergeht, versteht man die Zeit nicht. Dann begegnet man immer nur sich selber, wenn man das Fremde da ausblendet.
    Main: Was ist neben der Sprache besonders fremd?
    Preisendörfer: Die Vorstellung, diese religiösen Vorstellungen von Himmel und Hölle oder vom Teufel. So etwas wie der Teufel, das waren ja für Luther und erst recht für die einfacheren Leute keine abstrakten Vorstellungen, das waren keine Sinnbilder, sondern das war der, wie das Wort das ja auch schon sagt, es war der Leibhaftige. Es waren also personale, leibliche, fleischliche Vorstellungen bei der Verkörperung des Bösen. Das ist heute den allermeisten Menschen doch sehr, sehr, sehr, sehr fremd. Und diese Dinge sind natürlich dann auch interessant und faszinierend, dass es tatsächlich real war. Denn wenn der Mensch so agiert und wenn der Mensch daran glaubt, dann ist ja das real, das kann man ja nicht einfach dann wegtun, weil das das ganze Alltagsleben ja mitprägt.
    "Die EKD macht alles schon recht richtig"
    Main: Sie sind nun alles Mögliche, aber wohl nicht allzu kirchennah. Dennoch, wenn Sie Verantwortung hätten in der Evangelischen Kirche, auf welche Inhalte würden Sie setzen beim Reformationsjubiläum? Gerade auch vor dem Hintergrund Ihrer Zeitreise in diese fremde, ferne, manchmal auch nahe Lutherzeit?
    Preisendörfer: Also ich glaube, die Evangelische Kirche, die macht da das alles schon recht richtig. Man kann ja nicht verlangen, dass man den Propheten sozusagen von der Kanzel schubst. Man kann aber auch nicht verlangen, dass man zu den eigentlichen Inhalten zurückkehrt. Sehen Sie, also ein wesentlicher Kernbestand bei der protestantischen Theologie ist ja diese Sola-Gratia-Geschichte, also die Gnadenvorherbestimmtheit des Menschen. Viele Protestanten heute wissen das gar nicht mehr und wollen es auch nicht wissen. Wenn Sie heute jemandem sagen: ‚Du bist vorherbestimmt für Himmel oder Hölle, für die Ewigkeit, egal was du tust auf Erden‘ – was ein zentraler Gedanke seiner Lehre ist, diese Vorherbestimmung –, da schüttelt ein moderner Mensch den Kopf und sagt: 'Das kann nicht so sein. Kein Gott kann das wollen.‘ Nur, dass man auf diese Sachen da nicht so viel Wert legt und es lieber so ein bisschen beiseiteschweigt, das finde ich ganz vernünftig. Auch die Ausgleichsbemühungen finde ich vernünftig.
    Main: Also, Ausgleich mit katholischer Kirche!
    Preisendörfer: Ja genau. Alle ökumenischen Bewegungen finde ich richtig. Selbst dann, wenn es etwas mit einer gewissen Verlauung zu tun hat. Wissen Sie, es ist ein Unterschied, ob ich intellektuell eigentlich radikale Positionen interessanter finde, aber als Staatsbürger und als nächster Mensch im Zusammenleben ist mir doch das Laue lieber als fundamentalistische Überkonsequenz.
    Main: Danke, Bruno Preisendörfer, der Luther und seinen Zeitgenossen über die Schulter geschaut hat. Das Buch des Berliner Schriftstellers hat den Titel "Als unser Deutsch erfunden wurde – Reise in die Lutherzeit". Es ist erschienen im Verlag Galiani Berlin, rund 500 Seiten kosten rund 25,00 Euro. Danke Ihnen, Bruno Preisendörfer, für dieses Gespräch.
    Preisendörfer: Ja, gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.