"Ein merkwürdiges Gefühl bereitet sich in seinem Magen aus, er kann es kaum beschreiben. Die Räder des Flugzeugs haben gerade den Boden berührt. Er hat tatsächlich das 'Heilige Land' unter seinen Füßen. Wenn ihm jemand vor einigen Monaten erzählt hätte, dass er bald auf dem Flughafen des 'Erbfeindes' landen würde, hätte er ihn mit Sicherheit für verrückt erklärt. Nun ist es aber Realität. Die Forschungen haben ihm keine andere Wahl gelassen. Er musste seine Furcht hinter sich lassen."
"Er musste seine Furcht hinter sich lassen?" Diese Worte stehen am Anfang jenes Büchleins, aus dem dieser Auszug stammt. Geschrieben von einem promovierten Wissenschaftler, der sich gerade habilitiert.
"Das hängt mit meinem Aufwachsen in einem arabo-islamischen Land zusammen. Das Bild, das ich dort zu Israel vermittelt bekommen habe, löst Furcht vor dem Land aus. Dennoch gilt ein muslimischer Marokkaner, der nach Israel reist, in der eigenen Community als Verräter. Es ist in etwa das Gleiche, als wenn ein deutscher Intellektueller heutzutage dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt ist."
Doktor Mohammed Khallouk ist Politologe, Arabist und Islamwissenschaftler. Gebürtig aus Marokko, lebt er heute in Marburg. Seit dem 13. Lebensjahr ist er infolge eines Unfalls erblindet. Zurzeit lehrt der
Familienvater als Gastdozent an der Universität Doha. Für den Zentralrat der Muslime in Deutschland arbeitet er als wissenschaftlicher Berater.
Familienvater als Gastdozent an der Universität Doha. Für den Zentralrat der Muslime in Deutschland arbeitet er als wissenschaftlicher Berater.
Nebenbei bereitet Khallouk seine Habilitation über die Vermittler-Rolle Marokkos im Friedensprozess zwischen Ägypten und Israel Ende der 1970er-Jahre vor. Die Forschungsarbeiten hierfür führten ihn nach Israel. Seine Erfahrungen hat er auf 40 Seiten aufgeschrieben.
"Salam Jerusalem" - schon der Titel ist ein Statement. Kombiniert er doch das arabische Wort "salâm", statt des hebräischen Worts "shalom", mit dem im Judentum gebräuchlichen Namen Jerusalem. Im Islam heißt die Stadt "al-Quds".
Herausgekommen ist ein bebilderter Reisebericht, der einen staunen und schmunzeln lässt über die Alltagserfahrungen eines 43-jährigen Mannes. Plötzlich wieder scheu und behutsam wie ein Kind wagt er sich in ein Land vor, das wie kein zweites in seinem gewohnten Umfeld mit Vorurteile und Antipathien belegt wird.
Handlungsreisender im Auftrag des gegenseitigen Respekts
Der Historiker und Publizist Michael Wolffssohn, 1947 in Tel Aviv geboren, schreibt darüber in einem Testimonial:
"Dass weltoffene Muslime, wie Nicht-Muslime, Israel gegenüber Vorbehalte haben, ist als Ergebnis der langen muslimisch-jüdischen Konfrontationen nicht verwunderlich. Erfreulich ist es, wenn sich Menschen schließlich doch dazu durchringen eigene Vorurteile durch eigene Anschauungen zu überprüfen - und gegebenenfalls abzubauen. Mohammed Khallouk ist so ein Moslem - so ein Mensch."
Es war die Begegnung mit dem jüdischen Historiker und Parlamentsabgeordneten Simon Levy in Marokko, die ihn geprägt hat. Levy hat, so Khallouk, das erste und bisher einzige Jüdische Museum in der arabischen Welt begründet. Es steht in Casablanca. So kam der Deutsch-Marokkaner erstmals näher mit dem Judentum in Kontakt. Versteht man das Ganze als klassisches Drama, ist Khallouks Israelreise Höhepunkt und - ein Wendepunkt.
"Juden mit schwarzen Hüten oder Kippas in Reih und Glied vor der Klagemauer - wenn sie ihren Oberkörper während des Gebets nach vorn beugen und ihre Liturgie singen, wird aus der Polyfonie eine Monofonie. Die vielen einzelnen, kleinen und großen Gebete fügen sich zu einem großen Choral zusammen, der auch den gottesfürchtigen Nichtjuden in Verzückung bringt."
Damit jeder seine Erfahrungen nachvollziehen kann, habe er sich dazu entschieden, sagt Khallouk, die Erlebnisse nicht in der Ich-Form, sondern in der dritten Person aufzuschreiben. Eine etwas gewöhnungsbedürftige Entscheidung.
Für den Muslim Khallouk wirkt die Reise nach Israel wie harte Arbeit. Sein ererbtes Misstrauen gegenüber dem Land hemmt ihn. So werden Alltags-Situationen zur Herausforderung. Etwa der erste Gang zum Forschungsarchiv und die Eingangskontrolle. Die Frage, ob er Waffen dabei habe. Erst als Khallouk bemerkt, dass die Frage nach den Waffen Routine ist, und die Empfangsleute ihn als den angekündigten Wissenschaftler aus Deutschland erkennen, löst sich die Spannung.
Mohammed Khallouk ist Handlungsreisender im Auftrag des gegenseitigen Respekts. Er will mit seinem Buch, wie er sagt, vor allem unter Glaubensgeschwistern ein Umdenken erreichen:
"Mein Anliegen dahinter ist, dieses Furchtbild Jude und Israel aus den Köpfen der Muslime herausbekommen. Ich möchte sie dazu animieren, wieder nach Jerusalem zum drittwichtigsten Heiligtum des Islam zu pilgern, wie sie das über Jahrhunderte hinweg getan haben."
"Eine historisch belegbare Feindschaft zwischen Juden und Muslimen gibt es nicht"
Das schwierige Verhältnis von arabischen Muslimen zum Staat Israel sieht der Wissenschaftler primär im Nahostkonflikt begründet, nicht in einer tradierten Judenfeindschaft. Mit der Bezeichnung "muslimischer Antisemitismus" tut er sich schwer.
"Ich halte diese Bezeichnung für unpassend. Antisemitismus ist ein singuläres Phänomen einer rassistisch begründeten Judenfeindschaft in Europa. Die Ausweitung dieses Begriffes Antisemitismus auf andere Phänomene oder Bevölkerungsgruppen entwertet ihn."
Das Verhältnis zwischen Juden und Muslimen ist allerdings nicht erst seit dem Nahostkonflikt belastet. Auch in früheren Jahrhunderten gab es Ausgrenzung und Pogrome. Schon der Koran, vor rund 1.400 Jahren entstanden, berichtet von Gewalttaten, die die junge Glaubensgemeinschaft um den Propheten Mohammed an Juden begangen hat. Das bestreitet Khallouk nicht, aber:
"Eine historische belegbare Feindschaft zwischen Juden und Muslimen gibt es nicht. Die Juden haben in der islamischen Welt die meiste Zeit ungehindert ihre Religion und Kultur praktiziert. Es gab einige Ausnahmezeiten, in denen es zu Konfrontationen und auch zu Verfolgungen von Juden durch Muslime gekommen ist. Die größten Verfolgungswellen von Juden fanden jedoch sämtlich im christlich geprägten Kulturkreis statt. Diese historischen Konflikte werden von denjenigen Intellektuellen instrumentalisiert, die das Miteinander und die gegenseitige Wertschätzung von Muslimen und Juden verhindern wollen."
Damit will sich Mohammed Khallouk nicht abfinden. Und so steht für den Forscher und islamischen Verbandsfunktionär ungeachtet aller äußeren Widrigkeiten fest: Auch wenn er weiterhin mit der Politik Israels in vielen Punkten nicht einverstanden ist, wie er betont, wird er wieder in das Heilige Land reisen.
"Wie weit doch unsere Vorstellung von der erfahrenen Realität entfernt ist. Das gilt für Jerusalem und auch für Tel Aviv. Beide Städte haben ein einzigartiges Flair, das ihnen den unwiederbringlichen Reiz verleiht."