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Méliès "Die Reise zum Mond"
Vor 120 Jahren kam der erste Sciene-Fiction-Film in die Kinos

Sie ist nicht nur Urahn aller Science-Fiction-Filme, sondern hat auch sämtliche Genres der Filmgeschichte beeinflusst, denn erstmals gab es eine fiktive Handlung: Vor 120 Jahren wurde Georges Méliès „Reise zum Mond“ in Paris uraufgeführt.

Von Hartmut Goege |
"Die Reise zum Mond" von George Méliès gilt als erster Science-Fiction-Film der Kinogeschichte
Der Stummfilm von George Méliès war mit seinen 15 Minuten damals außergewöhnlich lang und begeisterte sein Publikum (picture-alliance / Mary Evans Picture Library)
Die rasant fortschreitenden technischen Entwicklungen in allen Bereichen des Lebens und spektakuläre Erfindungen wie Telefon, Auto, Telegrafie und Kinematografie ließen viele zum Ende des 19. Jahrhunderts an das Machbare des noch Unmöglichen glauben. Jules Vernes und H.G. Wells hatten mit ihren fantastischen Romanen über Mondreisen weltweit ihre Leser begeistert. Georges Méliès aber, Betreiber eines Illusionstheaters in Paris, wollte diese Fantasie-Vorstellungen in reale Bilder verwandeln:
„Ich habe keinerlei Bedenken zu erklären, dass heute im Film die Verwirklichung unwahrscheinlichster Dinge möglich ist. Ein mit Intelligenz angewendeter Trick, mit dessen Hilfe man das sichtbar machen kann, was übernatürlich, erdacht und unreal ist, erlaubt echte künstlerische Bilder zu schaffen.“ (Zitat)

„Reise zum Mond“ trifft den Nerv der Zeit

Als Méliès am 1. September 1902 in Paris seine „Reise zum Mond“ präsentierte, traf er einen Nerv der Zeit. Das Publikum ließ sich von einem Film verzaubern, der die damals ungewöhnlich lange Spieldauer von fünfzehn Minuten erreichte. Und vor allem, anders als die mittlerweile beim Publikum sattsam bekannten dokumentarischen Zweiminüter der Gebrüder Lumière, besaß Méliès Film erstmals eine fiktive Handlung. Regisseur Costa Gavras, Präsident der Cinémathèque française:
„Er war der erste, der aus dem Kino ein Schauspiel machte. Er war Theatermacher und wollte unterhalten. Er hat das Theaterschauspiel für das Kino adaptiert.“
Méliès lässt in diesem Film nicht ohne Ironie eine Gruppe bärtiger, aufgeregt gestikulierender Wissenschaftler darüber streiten, ob eine Mondreise überhaupt möglich sei. Nach dem Bau einer Rakete in Form einer riesigen Gewehrkugel besteigen sie ihr Fluggerät und lassen sich mit einer gewaltigen Kanone ins All schießen. Der Mond schaut dem Treiben derweil freundlich zu.

Méliès: „Aufwändige Geschichten erzählen“

Die berühmteste Szene zeigt, wie sich die Raumkapsel in das rechte Auge des Mondes bohrt, der darüber eine Grimasse zieht. Als feindliche Mondbewohner mit Speeren die Erdeindringlinge gefangen nehmen wollen, flüchten sich die Forscher in ihre Rakete und kehren auf die sichere Erde zurück.
Für seine Filme hatte Georges Méliès fünf Jahre zuvor ein Atelier bauen lassen, das erste in Frankreich. Die Reise zum Mond war sein bis dahin spektakulärster Film, den er innerhalb von drei Monaten dort produzierte.
„Das war ein siebzehn mal sechs Meter langer Raum mit Wänden aus trübem Fensterglas. Ohne Vorbereitung hätte ich meine Effekte nicht machen können. Ich hatte eine ganze Maschinerie, um aufwendige Geschichten erzählen zu können.“
Das Studio war wie die Bühne seines Theaters etwa mit nicht sichtbaren Seilen ausgestattet, um Darsteller durch den Raum schweben zu lassen. In dieser Zeit entdeckte er auch einen einfachen Trick, mit dessen Hilfe er Gegenstände oder Personen plötzlich auftauchen oder verschwinden lassen konnte:
„Ich kam zufällig auf die Idee, als ich Pferdewagen filmte. Auf einmal klemmte die Kurbel der Kamera, aber die Wagen fuhren natürlich weiter. So sah ich später im fertigen Film, dass der Pferdewagen von einem Moment auf den anderen durch einen Leichenwagen ersetzt worden war, dem Angehörige folgten.“

Nach 1912 brach das Geschäft ein

Fortan experimentierte er mit Überblendungen, Doppelbelichtungen und Zeitraffern, um seinem stetig wachsenden Publikum utopische Reisen und märchenhafte Träume zu verkaufen. Doch ihre kindliche und barocke Machart fand nach 1912 kaum noch Resonanz. Die Konkurrenz wuchs, sein einst florierendes Geschäft brach ein. Über fünfhundert Filme hatte er produziert. Als sein Bestand zu Schleuderpreisen verramscht werden musste, verbrannte der insolvente Méliès aus Verbitterung viele seiner Negative. Costa Gavras:
„Für mich ist das wie Selbstmord. Selbstmord durch Morden seines Werks. Das ist auch eine Art starken Protests. Es gibt große Künstler, die Werke wie Gemälde verbrannten. Aber das ist unerklärlich.“
Ein Großteil seiner Filme sind zwar vergessen und verloren, Die Reise zum Mond“ aber, Urahn nicht nur aller Science-Fiction-Filme, beeinflusste sämtliche Genres und trug wesentlich dazu bei, das Kino als Traumfabrik zu etablieren.