Tobias Armbrüster: Die Verhaftung von Dogan Akhanli in Spanien, sie sorgt nach wie vor für Streit in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Dabei ist der Schriftsteller nur der vorerst letzte einer ganzen Reihe von Bundesbürgern, die ins Visier der türkischen Justiz geraten sind. Die Hintergründe für diese Verhaftungen sind oft nicht leicht zu durchschauen. Viele Experten sagen, diese Verhaftungen sind willkürlich, sie sollen politischen Druck aufbauen. Sigmar Gabriel, der deutsche Außenminister, hat deshalb jetzt zur Vorsicht gemahnt bei Reisen in die Türkei.
Was ist da los in der Türkei und was sind die Auswirkungen dieser Verwerfungen zwischen Berlin und Ankara? Das können wir jetzt besprechen mit Kristian Brakel. Er ist Büroleiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Schönen guten Tag, Herr Brakel.
Kristian Brakel: Guten Tag.
Gabriel ist übers Ziel hinausgeschossen
Armbrüster: Herr Brakel, wir sind ja noch mitten in der Ferien-, mitten in der Urlaubssaison. Was sind die Auswirkungen dieser Reisewarnungen aus Deutschland?
Brakel: Ich glaube, es ist ganz klar, dass sich natürlich viele deutsche Reisende überlegen, oder das zweimal überlegen, was sie wahrscheinlich auch vorher schon zumindest einmal überlegt haben – jetzt überlegt man sich es vielleicht noch ein zweites Mal -, ob es denn gut ist, im Moment in die Türkei zu fahren. Wobei ich das, was der Bundesaußenminister sagt, auch nur zum Teil unterschreiben kann. Es stimmt, es gibt keine absolute Sicherheit. Jeder kann in das Visier geraten. Wir haben das gerade jetzt gesehen bei einem deutschen Backpacker, der am Flughafen in Izmir aufgehalten wurde und wieder zurückgeschickt wurde. Die Wahrscheinlichkeit – das muss ich allerdings auch sagen -, verhaftet zu werden, jetzt einfach so, ohne dass man irgendwas mit Politik zu tun hat, nicht weil man irgendwie schuldig ist oder so – man kann auch ins Visier geraten, obwohl man sich nichts hat zuschulden kommen lassen -, aber solange man mit Politik nichts zu tun hat und auch mit der Türkei sonst nicht so viel zu tun hat, die Wahrscheinlichkeit ist immer noch relativ gering.
Armbrüster: Würden Sie dann dem deutschen Außenminister widersprechen? Ist er da ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen?
Brakel: Ich glaube schon. Das Problem ist im Moment nicht so sehr, dass die Gefahr wirklich so immanent ist, dass jeder Tourist, der in die Türkei einreist, jetzt fürchten muss, gleich morgen festgenommen zu werden. Das Problem ist die große Unsicherheit. Wir wissen einfach nicht, was passiert. Sie können das, glaube ich, sehr gut an diesem Fall von Peter Steudtner, diesem Menschenrechtsaktivisten sehen, der ja vor gut einem Monat verhaftet wurde in Istanbul. Der war wahrscheinlich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Wenn er ganz normal als Tourist nach Istanbul eingereist wäre, hätte sich vielleicht durchaus auch mit Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International getroffen, wahrscheinlich wäre ihm nichts passiert. Er hat eben das Pech gehabt, dass jemand da etwas übereifrig war, in diesem Fall ja wohl der Dolmetscher dieser Gruppe, der das Ganze dann an die Polizei gemeldet hat und daraus dann ein großes Komplott entstanden ist. Wir haben im Moment eine so große Paranoia auch im türkischen Staatsapparat, dass es sehr, sehr schwierig vorherzusagen ist, was passieren kann.
Touristenzahlen gehen zurück
Armbrüster: Was hören Sie denn von, ich sage mal, türkischen Touristikunternehmen, von Hotels oder einfach Firmen, die eng mit dem Tourismus verbandelt sind, Restaurants in Urlaubsgebieten und solchen Verbänden? Spüren die schon etwas von diesen massiven Einbrüchen?
Brakel: Ich kann jetzt nicht sagen, ob es noch mal eine Verschlechterung gegeben hat, nachdem das Auswärtige Amt diese Reisehinweise verschärft hat. Aber ganz klar: Seit dem letzten Jahr, seitdem es diese Terroranschläge gegeben hat, aber dann natürlich auch noch mal nach diesem vereitelten Putsch, da hat es massive Einbrüche gegeben in den Besucherzahlen. Wir wissen, dass sowohl in den klassischen Touristengebieten an der Mittelmeer-Küste, aber auch in Istanbul, vorher ja ein Ziel vor allen Dingen für große internationale Tagungen und Konferenzen, dass da ganz massiv die Zahlen zurückgegangen sind. Das hat sich ein bisschen erholt schon in diesem Jahr, aber man kommt natürlich nicht mehr auf die Zahlen von 2015, 2014 oder in den Jahren davor.
Armbrüster: Herr Brakel, Sie haben jetzt auch schon angesprochen die Wirtschaftshilfen aus Deutschland, die ja auch infrage gestellt werden. Wie groß ist denn da die Nervosität bei türkischen Unternehmen ganz allgemein, wenn deutsche Geschäftspartner jetzt plötzlich kalte Füße bekommen könnten?
Brakel: Ich glaube, das Problem ist eher, auch wenn Sie mit deutschen Unternehmen in der Türkei sprechen. Da gibt es ja wenig Unternehmen, die jetzt sagen, wir werden jetzt von heute auf morgen alle Zelte abbrechen. Das ist auch für viele gerade dieser großen DAX-orientierten Unternehmen nicht möglich. Nehmen wir zum Beispiel Mercedes-Benz: Die haben da, ich glaube, fast ihre komplette Bus-Produktion. Wenn Sie irgendwo hier in Deutschland in einen Bus von Mercedes steigen, dann ist der mit großer Sicherheit in der Türkei gefertigt. Das kann man nicht so einfach abbauen und das wollen die Unternehmen in der Regel auch nicht.
Aber was natürlich schon so ist: Unternehmen – und nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern – überlegen sich ganz genau, ob sie Neuinvestitionen tätigen sollen, und diese Neuinvestitionen, das ist natürlich etwas, was der türkische Staat ganz dringend braucht. Er braucht Investitionen von außen und die kommen jetzt in letzter Zeit vor allen Dingen nur noch aus den Golf-Staaten, aber nicht mehr ganz so stark aus Europa. Und wenn es jetzt tatsächlich so sein sollte, dass man sich innerhalb der EU entscheidet, auch Investitionsgarantien zurückzunehmen, zum Beispiel von der Europäischen Investitionsbank, dann stehen natürlich auch Großprojekte, die der türkischen Regierung sehr am Herzen liegen, auf einem zumindest schlechteren Stand als vorher.
"Die Priorität für Erdogan ist der Machterhalt"
Armbrüster: Und welche Wirkung macht solch eine drohende Entwicklung auf den türkischen Präsidenten?
Brakel: Ich glaube, man kann schon ganz deutlich sehen, dass es eine Wirkung erzielt. Ob es immer bis zum Präsidenten durchdringt, das ist ein bisschen fraglich. Ich kann darüber natürlich auch nur Vermutungen anstellen. Das ist ja auch jemand, mit dem wir nicht im ständigen Kontakt stehen. Aber wenn Sie mit Mitgliedern der Regierung sprechen, wenn Sie mit Regierungsbeamten sprechen, dann haben Sie da natürlich schon genügend Leute, die wissen, dass eine funktionierende Wirtschaftsbeziehung mit Europa ganz, ganz entscheidend ist, dass auch so etwas wie die Zollunion, wo man ja gerade eigentlich gehofft hatte, dass man da ein Upgrade verhandeln kann, dass das für die türkische Wirtschaft schon sehr wichtig wäre. Aber die Frage ist, wie toll beeinflusst das wirklich noch den Präsidenten. Ich glaube, das ist sehr zweifelhaft. Wir kennen das von anderen Personen, die sehr lange an der Spitze eines Staates standen, die auch eher in autoritären Regimen arbeiten. Da entsteht sehr leicht eine Echokammer und es ist nicht immer ganz klar, was noch zum Präsidenten durchdringt. Ich glaube schon, dass Berater damit durchdringen, dass sie ihm sagen können, guck mal, wir müssen hier und dort umsteuern, aber ganz klar: die Priorität für Erdogan ist der Machterhalt. Im Großen und Ganzen kann man auch mit diesen Wirtschaftssanktionen nichts ändern, aber man kann vielleicht in einigen kleineren Feldern etwas erreichen.
Armbrüster: Wie lang wird das Ihrer Einschätzung nach noch weitergehen? Wird es wirklich jetzt ein monatelanges weitergehendes Hickhack sein, bis zur Präsidentenwahl 2019?
Brakel: Ich glaube, vielleicht nicht in der Form, wie es jetzt gerade ist. Es ist ja jetzt auch gerade wieder sehr aufgeheizt. Aber ich glaube schon, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass unter der aktuellen türkischen Regierung diese Entwicklungen mehr oder weniger so weitergehen. Das Verhältnis wird sich vielleicht wieder etwas beruhigen, aber diese Krisen oder diese Krisenhaftigkeit in den außenpolitischen Beziehungen mit Europa, mit Deutschland, die sind systemimmanent. Das ist ein Teil der Politik Erdogans, Teil der Politik der AKP, und die werden immer wieder kommen. Und die werden auch kommen, selbst wenn die türkische Seite das verhindern möchte unter Umständen oder zu dem Schluss kommt, dass es vielleicht nicht gut für sie ist, denn natürlich werden die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei hier in Deutschland ganz stark rezipiert und da können sich deutsche Politiker auch nicht von frei machen und sagen, okay, selbst wenn jetzt keine deutschen Staatsbürger in Haft säßen, da könnte man jetzt trotzdem nicht sagen, wir gucken über alles hinweg, was in der Türkei passiert.
Armbrüster: … sagt hier bei uns live in den "Informationen am Mittag" Kristian Brakel, der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag.
Brakel: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.