Wenige Tage vor Beginn der Osterferien sprach sich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig dafür aus, Urlaub in der eigenen Ferienwohnung zu ermöglichen. "Warum Urlaub auf Mallorca weniger gefährlich sein soll, als wenn eine Familie aus Rostock auf den Darß fährt, das kann mir keiner erklären", sagte Manuela Schwesig im Dlf.
Es gebe gute Konzepte für heimischen Urlaub. Zu viel Mobilität hingegen könne schnell zum Problem werden, das habe man im Herbst 2020 beobachten können.
Auch Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) hatte sich dafür ausgesprochen, seinen Bürgerinnen und Bürgern zu Ostern Urlaub im eigenen Bundesland zu ermöglichen. Er könne niemandem erklären, warum der gleiche Hausstand, der ohnehin zusammen wohnt, sich nicht mit den Kindern ins Auto setzen und in eine Ferienwohnung im eigenen Bundesland fahren darf, so Haseloff gegenüber "Bild".
Aktuelle Corona-Zahlen der JHU für Deutschland
Vor dem Impfgipfel kritisierte Schwesig außerdem die Impfstrategie der Bundesregierung. "Wir alle wissen, dass uns vor allem der Impfstoff in dieser dritten Welle gegen die Mutationen geholfen hätte, wenn er denn in ausreichendem Umfang da wäre", so die SPD-Politikerin.
Da Astrazeneca jetzt nochmals von der EMA überprüft und freigegeben worden sei, könne man den Impfstoff auch empfehlen. Das Impfen sei freiwillig und es gebe Beratung. Sie sei sehr dafür, so schnell wie möglich, die Hausärzte miteinzubeziehen, so Schwesig.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Frau Schwesig, wie passen Urlaubsreisen zu steigenden Infektionszahlen?
Manuela Schwesig: Die steigenden Infektionszahlen in Deutschland machen mir Sorgen. Ich bin froh, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern weiter stabile Zahlen haben, aber natürlich unterschätzen wir diese Lage nicht. Wir alle wissen, dass uns vor allem der Impfstoff in dieser dritten Welle gegen die Mutationen sehr geholfen hätte, wenn er denn in ausreichendem Umfang da wäre.
Was wir jetzt brauchen beim Impfgipfel heute ist Klarheit darüber, was wird jetzt noch im März geliefert und was kommt vor allem im April.
Corona-Neuinfektionen in Deutschland pro Tag
Heinemann: Also keine Urlaubsreisen?
Schwesig: Zum Thema Urlaub habe ich mich klar geäußert. Dass Urlaub in Mallorca möglich ist, mehrere Menschen kommen zusammen im Flieger, fliegen dann nach Mallorca, da kommen viele Leute aus verschiedenen Ländern zusammen, und das gleiche wieder zurück, warum das weniger gefährlich sein soll, als wenn sich eine Familie in Rostock eine Stunde lang ins Auto setzt und zum Beispiel auf den Darß fährt, das kann mir keiner erklären.
Ich habe bereits in der letzten MPK vorgeschlagen, dass wir wenigstens sogenannten kontaktlosen Urlaub ermöglichen. Das wäre ja für die Menschen im eigenen Land der Urlaub in der Ferienwohnung oder im Ferienhaus. Übrigens machen das jetzt schon Tausende von Zweitwohnungsbesitzern. Dass jetzt wieder der Mallorca-Urlaub dem Urlaub im eigenen Land aus epidemiologischen Gründen vorgezogen wird, das versteht niemand. Und ich sage Ihnen, darüber sind die Menschen vor Ort sauer. Und vor allem natürlich auch die Branche.
"Lage spricht für Rostock und gegen Mallorca"
Heinemann: Spricht denn die gegenwärtige Lage für Rostock oder gegen Malle?
Schwesig: Die gegenwärtige Lage spricht für Rostock und gegen Mallorca, weil es geht nicht um den Inzidenz-Wert allein vor Ort. Es geht vor allem auch um die Mobilität. Das ist übrigens gerade die ganze Zeit das Hauptargument auch der Bundeskanzlerin, zurecht, und das vertreten wir hier.
Es gibt gute Konzepte in der Gastronomie, im Fitness-Studio, im Theater, und wir sagen immer, unser Problem ist, wenn wir alles auf einmal aufmachen, gibt es zu viel Mobilität. Wir haben im letzten Jahr ganz schlechte Erfahrungen mit Auslandsreisen gemacht. Die Rückkehrer aus Auslandsreisen, die dann zwischendurch noch Risikogebiet wurden, hatten selber, sage ich mal, dann Probleme mit zusätzlichen Auflagen und das hat uns auch Probleme in den Infektionsketten gemacht. Ich erinnere an den Herbst letzten Jahres.
Heinemann: Frau Schwesig, Kanzleramtsminister Helge Braun hat gesagt, Urlaub auf Malle sei ein Mutanten-Schmelztiegel. Inwiefern wäre das im Nordosten in Deutschland anders?
Schwesig: Weil es nicht darum geht, dass zum Beispiel bei uns im Land jetzt alle aus Deutschland oder viele Leute aus der ganzen Welt zusammenkommen. Wir haben mit unserer Tourismus-Branche ein zweistufiges Modell und wir haben immer davon gesprochen, dass es erst mal nur darum geht – so haben wir es im letzten Jahr auch sicher gemacht -, dass Einheimische im ersten Schritt Urlaub machen können.
Man muss ja auch sehen: Seit fünf Monaten geht für die Bürgerinnen und Bürger gar nichts. Und noch mal: Ich spreche über einen ersten Minischritt, dass man kontaktlosen Urlaub ermöglicht in einem Ferienhaus, in einer Ferienwohnung, und das wirklich im Land beschränkt. Wir müssen sehen: Es ist nicht so, dass, wenn sich niemand bewegen darf, alle zuhause sicher sitzen, sondern die Leute werden sich gerade über Ostern in ihren Gärten ihre Freiräume suchen, und auch das darf man nicht unterschätzen.
Heinemann: Im Urlaub feiern die Leute und dann trinken sie Alkohol und schon ist das mit der Kontaktlosigkeit wieder vorbei.
Schwesig: Na ja. Es ist ja nun nicht so, als ob die Leute nur im Urlaub feiern und Alkohol trinken. Das ist jetzt irgendwie totale Pauschalisierung. Die Leute verhalten sich in ihrem Privatbereich, wie sie sich verhalten, wie sie selber die Lage ernst nehmen. Das kann zuhause im Garten sein. Aber warum jetzt eine vierköpfige Familie, die in Rostock leben mit einer Inzidenz von 20, nicht nach Vorpommern-Rügen dürfen, wo auch kein Risikogebiet ist – die sitzen eine Stunde im Auto und sind dann in der Ferienwohnung, im Ferienhaus -, warum das nicht möglich ist, aber eine Reise nach Mallorca, das hat die Bundesregierung noch nicht plausibel erklärt.
"Inzidenz spielt weiterhin eine Rolle"
Heinemann: Wie und wann sollte notgebremst werden?
Schwesig: Wir haben da klare Regeln, dass bei einer Inzidenz von 100 Notbremsungen gemacht werden und dass wir regional vorgehen in den Bundesländern. Das sind klare Regeln und das muss auch umgesetzt werden.
Heinemann: Das heißt, die Inzidenz spielt dann doch schon eine wichtige Rolle?
Schwesig: Die Inzidenz spielt weiterhin eine Rolle und das Robert-Koch-Institut hat ja vorgeschlagen, auch weitere Parameter in die Risikobewertung einzubeziehen. Nichts desto trotz ist der Inzidenz-Wert der Hauptwert und vor allem ist es auch entscheidend, wie ist der R-Faktor. Wir sehen ja, dass sich die Lage immer weiterentwickelt und die Inzidenzen immer weiter steigen. Vor allem ist unser Hauptproblem, dass uns der Impfstoff fehlt, mit dem wir uns in dieser dritten Welle stärker schützen können.
Heinemann: Darauf kommen wir gleich noch. – Wer erklärt die Notbremse bei Inzidenz 100 Ihrem Parteifreund und Amtskollegen Woidke?
Schwesig: Das besprechen wir natürlich auch intern, und wie gesagt, wir haben in der MPK die Notbremse miteinander festgelegt, und daran sollte sich auch jeder irgendwie halten.
"Können Astrazeneca empfehlen"
Heinemann: Wir kommen jetzt gleich zum Impfstoff. Forscherinnen und Forscher der Universität Greifswald in Ihrem Bundesland haben die Ursachen für Thrombosen nach Impfungen mit dem Wirkstoff von Astrazeneca gefunden,
wie Robert Schubert berichtet
. Das spricht für den Forschungsstandort Mecklenburg-Vorpommern. – Grünes Licht gestern für AstraZeneca, aber mit einem Warnhinweis. Es wird jetzt wieder in Deutschland verimpft. Viele Bürgerinnen und Bürger wollen aber nicht. Wie bekommt man die Impfdosen in die Oberarme?
Schwesig: Erst mal muss ich sagen, ich habe großen Respekt vor den Wissenschaftlern, die zum einen den Impfstoff entwickelt haben, die aber jetzt, wie unsere Wissenschaftler in Mecklenburg-Vorpommern, dabei sind, wenn es Nebenwirkungen gibt, auch sie herauszufinden und auch gleich wieder Therapien anzubieten. Das zeigt, die Wissenschaft ist in ganz Deutschland wirklich mit dabei. Da muss man Zeit für diesen großen Respekt haben.
Erstens ist es gut, dass so was aufgedeckt wird und dass sofort dann auch wieder Therapien dafür angeboten werden.
Zweitens war es gut, dass der Impfstoff jetzt von der EMA nochmals überprüft worden ist. Die EMA ist auch streng. Wenn er jetzt freigegeben wird, dann können wir diesen Impfstoff empfehlen und dann hat er auch einen großen Nutzen und auch eine große Wirksamkeit - das dürfen wir ja nicht vergessen - vor einer schweren Erkrankung.
Trotzdem verstehe ich, dass jetzt die einen oder anderen Sorgen und Bedenken haben. Deswegen ist wichtig zu wissen: Erstens, das Impfen ist freiwillig. Und zweitens, es gibt Beratungen, sowohl in den Impfzentren vor Ort durch die Impfärzte, und ich bin jetzt sehr dafür, so schnell wie möglich die Hausärzte und die niedergelassenen Ärzte, die impfen wollen, mit einzubeziehen. Denn gerade Risikopatienten sind zum Beispiel in ärztlicher Behandlung und für sie ist es wichtig, von ihrem vertrauten Arzt auch die Beratung zu bekommen.
Heinemann: Was heißt so schnell wie möglich?
Schwesig: Wir hatten vereinbart in der letzten Ministerpräsidentenkonferenz Ende März, Anfang April. Ich möchte gerne, dass es bei diesem Termin bleibt, und das wird auch meine Forderung heute im Impfgipfel sein.
Heinemann: Sollte auch die bisherige Impfreihenfolge aufgeweicht werden?
Schwesig: Diese Notwendigkeit sehen wir noch nicht. Wir müssen jetzt sehen, wie die nächsten Tage laufen. Ich kann nur sagen, wir haben viel, viel mehr Impfwillige, als wir Impfstoff haben, und es ist wichtig, jetzt erst mal in der Reihenfolge zu bleiben. Da ist es schon schwer, wenn Sie nicht genug Impfstoff haben zu entscheiden, ist es jetzt die Erzieherin, der Lehrer, die Polizistin, oder die chronisch Kranken, die dran sind.
Das ist jetzt schon schwer. Wichtig ist die Einbeziehung der Hausärzte und der niedergelassenen Ärzte, weil wir gerade in Flächenländern damit viel dichter bei den Menschen sind. Und noch mal: Ich erwarte schon jetzt noch mal eine große Unsicherheit, und der können wir begegnen durch viel Offenheit, Ehrlichkeit und Beratung auch durch die Ärzte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.