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Reisen und Coronavirus
"Das Risiko steigt, je länger man fliegt"

Mit Blick auf die Sommerferien weist der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer Coronavirus-Übertragung mit der Dauer eines Flugs steige. Die Filterung der Luft im Flugzeug sei sehr gut, aber alles habe seine Grenzen - selbst mit Maske, sagte er im Dlf.

Jonas Schmidt-Chanasit im Interview mit Jörg Münchenberg |
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit arbeitet am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg (Imago)
Ein kurzer Flug von einer Stunde sei deutlich zu unterscheiden von einem Flug nach Übersee, der zehn Stunden dauere, oder auch schon einem Flug auf die Kanarischen Inseln mit fünf Stunden, so Schmidt-Chanasit. Reisen bedeute Risiko, damit müssten sich alle auseinandersetzen. Es gehe darum, das Risiko zu minimieren.
Angesichts des "überschaubaren Infektionsgeschehens" in den meisten europäischen Ländern halte er es für vertretbar, die Grenzen nun wieder zu öffnen, sagte der Leiter des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin. Wer Urlaub in Deutschland mache, habe allerdings eine höhere Sicherheit, dass er die beste Diagnostik und Behandlung bekomme, wenn es zu einer Infektion komme. Das sei ein Grund dafür, warum viele nicht in den Süden fahren, sondern in Deutschland blieben.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Das Interview in voller Länge:
Jörg Münchenberg: Noch hat Spanien wegen Corona seine Grenzen geschlossen, aber viele warten sehnsüchtig auf die Touristen. Schließlich sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Für knapp 11.000 deutsche Touristen gab es jetzt einen vorgezogenen Urlaub. Sie dürfen heute nämlich auf die Balearen fliegen als Testlauf, ob das denn alles funktioniert mit Regeln und Auflagen.
Mit dem heutigen Tag ist die Reisewarnung für die meisten europäischen Länder aufgehoben, vorläufig jedenfalls, und darüber habe ich - aus Zeitgründen vor der Sendung - mit dem Virologen Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg gesprochen und ihn zunächst gefragt, was er aus der Sicht des Virologen von der Öffnung der innereuropäischen Grenzen hält.
"Vertretbar, die Grenzen zu öffnen"
Jonas Schmidt-Chanasit: Na ja. Wir haben in den meisten Ländern Europas ein relativ überschaubares Infektionsgeschehen. Das heißt, wir sind von der Vielzahl der Infektionen in vielen europäischen Ländern – ich rede jetzt von Spanien, Frankreich und auch Italien – deutlich runtergekommen. Insofern ist das jetzt vertretbar, die Grenzen zu öffnen.
Und wir müssen ja auch sehen, dass selbst das Infektionsgeschehen in den Ländern auch nicht gleichmäßig verteilt war. Gerade wenn wir uns Spanien angucken, ist die Region um Madrid ganz anders betroffen gewesen als zum Beispiel die Balearen. Insofern muss man das bewerten und muss das auch berücksichtigen, und vor diesem Hintergrund ist das jetzt in Ordnung, die Grenzen zu öffnen. Natürlich muss das mit Maßnahmen einhergehen, und ich hoffe, dass die auch in ganz Europa vergleichbar sind, letztendlich mit den Maßnahmen, die wir auch in Deutschland nach wie vor haben, um ein größeres Infektionsgeschehen zu vermeiden. Wenn das passiert, denke ich, ist das auch vertretbar.
"Viele planen den Urlaub in Deutschland"
Münchenberg: Herr Professor, Sie haben Italien und Spanien jetzt angesprochen. Die waren ja besonders schlimm von der Pandemie betroffen, die Gesundheitssysteme dort teilweise komplett überlastet. Da stellt sich trotzdem die Frage: Ist das sinnvoll, dass jetzt schon wieder Hunderttausende ins Land zusätzlich dürfen?
Schmidt-Chanasit: Na ja, das ist die Frage, ob das wirklich Hunderttausende werden. Das was ich wahrnehme – und wir machen viel reisemedizinische Beratung; ich kann das jetzt natürlich nur aus unserem Blickwinkel sagen – ist, dass viele schon den Urlaub in Deutschland planen, und das ist letztendlich, worauf ich auch hinweise. Wenn man wirklich von Corona abschalten will, dann ist es doch sinnvoll, in Deutschland in eher ruhige Gebiete zu fahren, in den Wald oder ins Gebirge. Sie müssen sich vorstellen, gerade wenn Sie reisen, mit dem Flugzeug, mit der Bahn, mit dem Bus, und in größeren Hotels unterkommen, wird man natürlich permanent an Corona erinnert, und ich glaube, man will ja gerade im Urlaub auch mal davon abschalten und an andere Sachen denken. Das fällt am leichtesten, wenn man, glaube ich, bei uns in Deutschland bleibt, in entsprechenden Gebieten.
11.06.2020, Schleswig-Holstein, Westerland/Sylt: Ein gebrauchter Mundschutz mit Resten von Lippenstift liegt am Strand vor der Strandpromenade von Westerland auf Sylt. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther besuchte am Donnerstag die Nordseeinsel um sich ein Bild von der aktuellen Lage auf der Insel zu machen. (zu dpa «»Sehr diszipliniert« - Sylt gut vorbereitet für Saison») Foto: Christian Charisius/dpa | Verwendung weltweit
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In Deutschland immer noch die beste Versorgung
Man hat hier – das muss man deutlich sagen – auch eine wesentlich höhere Sicherheit, wenn mal etwas passiert. Das heißt, wenn eine Infektion auftritt, dass man auch die beste Diagnostik und die beste Behandlung bekommt. Das, muss man ehrlich zugeben - aber das machen wir auch in der reisemedizinischen Beratung -, ist in anderen Ländern anders und darauf müssen sich die Reisenden einstellen. Aber ich glaube, gerade deswegen ist es auch ein Grund, dass viele wahrscheinlich doch nicht in den Süden fliegen oder fahren werden, sondern in Deutschland bleiben.
Münchenberg: Sie haben die Regelungen schon angesprochen, auf die man sich innereuropäisch geeinigt hat. Es gelten 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Das muss darunter liegen, damit man dahin reisen darf. Die Frage ist aber schon: Werden sich alle daran halten, oder wird da nicht vielleicht die eine oder andere Behörde doch mal ein Auge zudrücken, gerade weil viele Länder auf die Touristen wirtschaftlich auch so dringend angewiesen sind?
Schmidt-Chanasit: Das hoffe ich nicht und das denke ich auch nicht, weil das Wort Ischgl, glaube ich, will man nicht noch mal in den Mund nehmen. Sie sehen, was das für verheerende Folgen hat, auch als Urlaubsdomizil. Ich glaube, das wollen viele Urlaubsgebiete vermeiden, und ich glaube, die werben auch gerade damit, besonders sorgsam hinzuschauen, um auch die Urlauber zu schützen. Ich glaube, keiner will hier absichtlich die Urlauber einem zusätzlichen Risiko aussetzen, und ich glaube und gehe auch fest davon aus, dass da auch in den südlichen Ländern viele darauf verstärkt achten werden.
Wie sicher ist Fliegen in diesen Zeiten?
Münchenberg: Aber diese Zahl, 50 Fälle pro 100.000 Einwohner, ist das eine medizinische, oder ist das eine politische Zahl?
Schmidt-Chanasit: Letztendlich müssen Sie sich auf irgendeine Zahl einigen, und in bestimmten Situationen ist das zu viel und in anderen Situationen ist das zu wenig. Das ist immer ganz schwer genau mit diesen pauschalen Bewertungen. Darauf habe ich nun mehrmals hingewiesen. Es kommt immer auf die Situation an, auf die spezielle Situation, in der Infektionen entstanden sind, wie sie nachvollzogen werden.
Schauen Sie, für uns ist das eine Zahl, mit der man umgehen kann, weil unser Gesundheitssystem sehr gut ist, weil schnell reagiert werden kann. Für andere Länder kann diese Zahl schneller zu einer Überlastung führen und vor dem Hintergrund müssen wir das sehen.
Interaktive Karte mit COVID-19-Statistiken vom Zentrum für Systemwissenschaft und Systemtechnik der Johns Hopkins University in Baltimore
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Münchenberg: Herr Schmidt-Chanasit, nun werden ja manche sicherlich auch mit dem Flugzeug verreisen, zum Beispiel nach Mallorca jetzt. Ist das wirklich so sicher, wie die Fluggesellschaften behaupten, dass die Kabinenluft alle zwei bis drei Minuten komplett ausgetauscht wird? Ist das ein sicheres Reisemittel?
Schmidt-Chanasit: Was verstehen Sie unter sicher? Das ist die Frage. Man versucht, Risiken zu minimieren.
"Reisen ohne Risiko geht nicht"
Münchenberg: Es heißt ja, es sei wie im OP. Das ist das, was man dort teilweise hört.
Schmidt-Chanasit: Ja, gut. Im OP liegen Sie normalerweise alleine auf dem OP-Tisch und es sind ein paar Ärzte um Sie. Das ist schon mal eine andere Situation im Flugzeug. Das muss man schon ehrlich zugeben. Noch mal: Es geht hier nicht um ein Reisen ohne Risiko. Das geht nicht! Es geht darum, Risiken zu minimieren. Ein einfacher Grundsatz: Je länger Sie fliegen, desto größer wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Übertragungen kommen kann. Das liegt in der Natur der Sache.
Nichtsdestotrotz haben die Fluglinien recht. Es findet eine Filterung der Luft statt. Das ist sehr gut. Aber alles hat seine Grenzen, auch wenn die Leute Masken aufhaben. Das muss man den Leuten ganz klar sagen. Das heißt, ein kurzer Flug von einer Stunde ist deutlich zu unterscheiden von einem Flug nach Übersee zum Beispiel, der zehn Stunden geht, oder auch schon auf die kanarischen Inseln mit vier, fünf Stunden. Das muss man schon auch in der Beratung deutlich machen und darauf drängen, dass man natürlich entweder relativ kurze Reisen antritt, oder darauf hinweisen, dass ein Risiko steigt, je länger man fliegt. Das liegt in der Natur der Sache. Man kann das Risiko nie auf null drücken. Das geht nirgendwo. Das geht im Reisebus nicht, das geht auch natürlich im Auto nicht, wenn ich selber verreise. Reisen bedeutet Risiko. Damit müssen sich alle auch auseinandersetzen.
Neue Infektions-Hotspots drohen weiter
Münchenberg: Sie haben vorhin auch schon Ischgl angesprochen, jener Ski-Hotspot, wo sich das Virus auf ganz Europa verteilen konnte. Da ist ja schon die Frage: Viele sind dann im Urlaub, werden sich vielleicht nicht ständig informieren, ob da was vor Ort jetzt passiert. Man will sich auch erholen. Besteht nicht doch auch die Gefahr, dass bei einem lokalen Ausbruch Menschen das Virus wieder nach Hause bringen und dann auch verteilen?
Schmidt-Chanasit: Ja, natürlich besteht diese Gefahr. Das ist auch gar nicht abzustreiten. Hier geht es aber darum, damit umzugehen, das heißt darauf vorbereitet zu sein, auch Gästen, die nach Deutschland kommen, entsprechende kostenlose schnelle Testmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, am besten bei der Einreise zu informieren, wo können sie sich melden, wenn sie krank werden, und vielleicht sogar auch eine Art Abfrage, wie die Reise aussehen kann oder soll, damit dann schnell nachverfolgt werden kann, wenn es zu Infektionen kommt. Und Ähnliches auch bei den Deutschen, die nach Deutschland zurückkommen, und das immer angepasst und mit Blick auf die Infektionsgeschehen zum Beispiel auch in Indien, die sich ja sehr, sehr schnell ändern, oder in Übersee. Momentan haben wir da ja noch keine entsprechende Aufhebung der Reisebeschränkung, aber das kann sich auch in Europa schnell ändern.
Insofern muss dann geschaut werden, so wie Sie das auch gesagt haben, gibt es kritische Situationen, muss man besonders bei den Reiserückkehrern darauf achten, die aus diesen Regionen kommen, dass das Virus hier nicht weiterverbreitet wird. Aber noch mal: Wir haben alle technischen Möglichkeiten in Deutschland. Es ist genug Testkapazität vorhanden. Die Gesundheitsämter wurden weiter unterstützt. Das sollte trotz dieser Reisetätigkeit möglich sein.
Was bringt die Corona-App?
Münchenberg: Was wird denn da die Corona-App bringen? Die soll ja morgen offiziell eingeführt und vorgestellt werden. Was ist davon zu erwarten?
Schmidt-Chanasit: Das ist ganz schwer zu sagen. Das kann ich beim besten Willen auch noch nicht beurteilen. Wir müssen einfach sehen, wie sie sich durchsetzt, wie sie angenommen wird, und vor allen Dingen, wie mit einem positiven Signal dieser Corona-App umgegangen werden kann. Weil ein Signal bedeutet ja nicht gleich, dass ich wirklich ein Risiko habe. Das ist ein bisschen die Problematik, die ich da sehe.
Ein Jugendlicher steht mit Mundschutzmaske auf einem S-Bahnsteig in Berlin und blickt auf sein Handy.
Wie eine Corona-Tracing-App funktioniert
Eine Corona-App könnte dabei helfen, die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern. Wie funktioniert die Verfolgung Infizierter und deren Kontaktpersonen und wie sicher sind dabei die Daten der Nutzer?
Ich bin da sehr gespannt, wie letztendlich ein Signal dieser App dann auch umgesetzt wird, nämlich in Maßnahmen. Da sind wir wieder bei den Gesundheitsämtern, die Dreh- und Angelpunkt sind, bei den Amtsärzten, die ganz wichtig sind. Ich glaube, die App kann ein Hilfsmittel sein, ein zusätzliches Hilfsmittel, aber wir dürfen die Arbeit der Gesundheitsämter und der Amtsärzte nicht unterschätzen und auch weiter stärken. Auch in den nächsten Monaten ist das ganz wichtig und so ist auch diese App zu verstehen. Insofern denke ich, ich gehe da ganz positiv heran, sehe das auch positiv. Wir müssen gucken, wie die App angenommen wird und letztendlich wie diese Signale, die die App dann gibt, verwertet werden können, sinnvoll verwertet werden können. Sie können sich vorstellen: Wenn ich zum Beispiel in Berlin mit der S-Bahn fahre und habe innerhalb von zwei Wochen zehn Signale, weil ich mal eine gewisse Zeit mit einem dort zusammengestanden bin, muss das nicht zwangsläufig heißen, dass das auch ein Risikokontakt gewesen ist. Das ist ja genau die Arbeit, die die Gesundheitsämter im Nachtrag machen, ist das ein Risikokontakt ja oder nein. Das kann die App jetzt nicht unterscheiden.
Insofern bin ich mal gespannt, was da zum Schluss rauskommt, aber ich bin jetzt erst mal nicht zu negativ eingestellt gegenüber der App.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.