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Reisewarnung für die Türkei
Kein Urlaub im Traumland für viele Türkischstämmige

Ein Strandurlaub in Italien oder Spanien? Für viele türkischstämmige Deutsche kommt das nicht infrage. Sie möchten den Sommerurlaub in der Türkei verbringen. Dass für das Land weiterhin eine Reisewarnung gilt, finden sie ungerecht.

Von Luise Sammann |
Ankara: Eine türkische Frau und Kinder tragen Mundschutz bei einem Spaziergang in einem öffentlichen Garten.
Für die Türkei besteht weiterhin eine Reisewarnung wegen Corona (AP/Burhan Ozbilici)
Auf dem türkischen Wochenmarkt am Maybachufer in Berlin-Kreuzberg ist das Thema allgegenwärtig: Die Bundesregierung hat die Reisewarnung für die Türkei nicht aufgehoben. Mehr noch, ausgerechnet zur Sommerferienzeit wurde das Land nun vom Robert-Koch-Institut zum Risikogebiet erklärt. Wer aus einem solchen zurückkehrt, muss damit rechnen, dass er in Deutschland zunächst für zwei Wochen in häusliche Quarantäne geschickt wird.
"Wir werden nicht fahren in diesem Jahr", sagt deswegen Mehtap, die gemeinsam mit ihrer Tochter aus einem Wagen heraus Käse, Oliven und bunte Pasten verkauft. Unglücklich zuckt die 45-Jährige mit den Schultern.
"Meine Mutter und mein Vater leben in der Türkei und meine Geschwister auch. Dieser jährliche Besuch ist viel mehr für uns als nur ein Sommerurlaub. Wir sind hier zuhause – aber dort eben auch."
In dem abgelegenen türkische Dorf Göceören in der Nähe des Touristenorts Kaş gibt es keinen Arzt
Türkei und Corona: Die Ängste der Landbevölkerung
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Mehtap und ihre Tochter hoffen nun, dass sie vielleicht im Herbst fliegen können. Gül, die einige Stände weiter auf einem bunten Tuch ausgebreitete Küchenmesser inspiziert, schüttelt entschieden mit dem Kopf. Sie wird ihre Pläne nicht ändern. Risikogebiet hin oder her.
"Wir haben unsere Tickets schon lange vor Corona gekauft und wir werden sie nicht umbuchen. Die Kinder haben doch nur einmal im Jahr lange Ferien! Außerdem fühlen wir uns diskriminiert. Die Reisewarnungen für Länder mit viel mehr Toten und höheren Fallzahlen, wie Spanien und Italien, wurden aufgehoben. Aber die Türkei erklären sie zum Risikogebiet!"
Mallorca während des Lockdowns am 8. Mai 2020
Erkenntnisse der Coronakrise / Sehnsucht Tourismus
Kaum eine Branche wurde von der Coronakrise so hart getroffen wie der Tourismus: Experten rechnen mit einem Einbruch des weltweiten Geschäfts um 70 Prozent. Wer weiterhin mit Touristen Geld verdienen will, muss sich etwas einfallen lassen.
Keine Begründung für Analyse 'erhöhtes Infektionsrisiko'
Tatsächlich liegen die aktuellen COVID-19-Neuinfektionen in der Türkei weiterhin deutlich unter der vom Robert-Koch-Institut festgelegten Schwelle von 50 Ansteckungen pro 100.000 Einwohnern pro Woche. Auch zählt die Türkei bisher gerade einmal 4.800 Corona-Tote. In Italien sind es 34.000. Dennoch kommt eine gemeinsame Analyse von Bundesgesundheitsministerium, Auswärtigem Amt und Innenministerium zu dem Schluss, dass in der Türkei ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe. Eine genauere Erklärung für diese Einschätzung gibt es bisher nicht.
Die wissenschaftlichen Kriterien dahinter seien nicht nachvollziehbar, klagt deswegen auch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, der bis zuletzt für eine Aufhebung der Reisewarnung gegen sein Land gekämpft hatte.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Auch Abdulkerim Caliskan, der sich im Reisebüro Mevlana seit Jahren um die Urlaubspläne türkeistämmiger Berliner und Berlinerinnen kümmert, kann die Entscheidung des Auswärtigen Amts nicht nachvollziehen.
"Ich würde da sagen, die Reisewarnung finde ich, um ehrlich zu sein, nicht gerecht. Und bitte Heiko Maas, das noch mal zu prüfen."
Viele Türkischstämmige verzichten nun auf die Reise
Es sind harte Zeiten für Herrn Caliskan und zahlreiche andere Reisebüroinhaber. Ausgerechnet jetzt, wo das Geschäft eigentlich brummen sollte, fürchten sie um ihre Existenz.
"Die Menschen, die haben Angst, in die Türkei zu fliegen. Die Kunden, die schon ein Ticket gehabt haben, die versuchen ihre Flüge zu streichen, zu stornieren, gegebenenfalls ihre Gelder zurück zu verlangen. Und das ist alles leider, leider Verlust für uns. Die alten Tickets umbuchen, das ist alles kostenlos."
Mindestens 60 Prozent seiner Kunden hätten ihre Flüge bisher storniert oder umgebucht, so schätzt es Abdülkerim Caliskan.
Auch die 62-jährige Sevgi und ihr Mann haben sich nach zahlreichen schlaflosen Nächten gerade dazu durchgerungen. Müde sitzt die Rentnerin in einer türkischen Bäckerei in Berlin.
"Ich fühle mich schrecklich, weil wir nicht fliegen können", klagt sie. "Aber im Reisebüro haben sie uns gesagt, wenn wir fliegen, und es dann wegen einer zweiten Coronawelle ein Problem mit dem Rückflug gibt, müssten wir uns eventuell selbst um die Heimreise nach Berlin kümmern. Wie sollen wir das machen? Was ist, wenn der Flugverkehr wieder eingestellt wird? Ich habe keinen deutschen Pass. Wenn ich mehr als sechs Monate weg bleibe, verliere ich meine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland. Dabei lebe ich hier seit 1968!"
Einige von Sevgis Bekannten fahren nun zur Sicherheit in diesem Jahr wieder mit dem Auto in die Türkei. Wie früher. Gut 30 Stunden dauert die Fahrt. Sevgi und ihr Mann haben nicht mal einen Führerschein. Und so wird es seit vielen Jahren der erste Sommer, in dem sie ihre Verwandten und Freunde, ihren kleinen Garten und die Stadt, in der sie aufgewachsen sind, nicht besuchen können. Ein Strandurlaub in Spanien mag für viele Deutsche eine Alternative zu Antalya und Co. sein. Für Sevgi ist er es nicht.