Große Worte, große Gesten, als VW-Personalvorstand Peter Hartz ein Konzept gegen die Massenarbeitslosigkeit präsentierte, das die Bundesrepublik völlig umkrempeln soll. Das war im Sommer 2002, kurz vor den Bundestagswahlen. Hartz war von Kanzler Gerhard Schröder beauftragt worden, mit einer Experten-Kommission ein solches Strategiepapier zu entwickeln. Heute ist sein Name Synonym geworden für all das, wogegen die Menschen aus Enttäuschung und Angst auf die Straße gehen:
Hartz muss weg, Arbeit her! Hartz muss weg, Arbeit her! Hartz muss weg, Arbeit her!
Peter Hartz hat manche Illusion verloren. Sinnvolle Maßnahmen, die seine Kommission gefordert hatte, wurden im politischen Prozess aufgerieben, durch Kompromisse verwässert. Auch wenn sich viele Ansätze der Experten in den vier "Gesetzen für moderne Dienstleistungen", kurz Hartz I bis IV, durchaus wieder finden.
So gibt es seit vergangenem Jahr beispielsweise so genannte Personal-Service-Agenturen, durch die Arbeitslose mittels Zeitarbeit wieder in unbefristete Arbeitsverhältnisse gelangen sollen. Erfolge auch bei den Minijobs und Ich-AGs, die ebenfalls auf mehr Beschäftigung zielen. Hartz III steht für den umfassenden Umbau der Bundesanstalt für Arbeit. Jetzt nennt sie sich dynamisch Bundesagentur. Semantisch gestylt sozusagen, soll die neue Begrifflichkeit stehen für "schlanke Verwaltung" und "effiziente Arbeit". Doch das alles gilt es noch unter Beweis zu stellen.
Die wichtigste Änderung: Vom 1. Januar 2005 werden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt. Bislang gibt es hier zwei gänzlich von einander getrennte Hilfe-Systeme. Für die Arbeitslosenhilfe kommt bislang der Bund auf, Sozialhilfe zahlen die Kommunen. Mancher Sozialhilfeempfänger wird von den Kommunen kurzzeitig in Beschäftigungsmaßnahmen gesteckt. So erwirbt er sich Anspruch auf Arbeitslosengeld, für das dann wieder der Bund zuständig ist. Ein unhaltbarer Zustand, meint Kanzler Schröder:
Es geht hierbei insbesondere darum, den Langzeitarbeitslosen, die sich Verschiebebahnhöfen in der Vergangenheit ausgesetzt sahen, zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe – eine wirkliche Perspektive zu geben. Es geht um Fördern, aber auch um Fordern.
Keine staatliche Hilfe künftig ohne Gegenleistung. Das ist das erklärte Ziel der rot-grünen Koalition. An den geplanten Reformen will Kanzler Schröder ohne Abstriche festhalten.
Auch die Opposition will die Reformen, selbst wenn die innerparteilichen Querelen der vergangenen Wochen anderes vermuten ließen. Im Dezember 2003 hatte sie im Vermittlungsausschuss dem Hartz-IV-Gesetz zugestimmt, erinnert Volker Kauder, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag:
Jetzt muss man auch dazu stehen. Allerdings muss ich sagen, die Bundesregierung hat das Gesetz handwerklich so miserabel umgesetzt, dass sie Mitverantwortung für das trägt, was sich da an Demonstrationen auf der Straße abspielt. Sie haben die Menschen überfallen mit einem 16seitigen Fragebogen, ohne ihn vorher zu erklären, um was es eigentlich geht. So kann man es nicht machen. Das kritisiere ich. Aber die Grundregeln, die Hartz IV zu Grunde liegen, das hat die Union mitgemacht und dabei bleibt es auch.
Längst hat die Regierung eingesehen, dass bei der Information und Aufklärung über Hartz IV Grundsätzliches schief gelaufen ist. Ludwig Stiegler, stellvertretender Vorsitzender der SPD im Bundestag, übt Selbstkritik:
Statt dass man hier langfristig eine solide, breite Information vorbereitet hätte, hat man im Grunde nur gelegentlich reagiert – gegenüber den schlimmsten Entgleisungen. Nämlich, anstatt, dass man sich hingesetzt hätte und hätte eine Gruppe angesetzt, die alle Regionalzeitungen und allen Mist, der da aufgeschrieben wird, hier aufarbeitet und eine Gegendarstellung verfasst, hat man sich auf ein paar Dementis beschränkt. Also, mit Ruhm hat man sich da nicht bekleckert.
Nun geht es um Schadensbegrenzung. Erste Reaktion der Bundesregierung: Großanzeigen in den Tageszeitungen. "Hartz IV - Fakten statt Vorurteile", heißt es da. Und: "Wir geben Antworten auf manche falsche Behauptungen der letzten Zeit." Boulevardzeitungen hatten die Stimmung aufgeheizt. Sie hatten beispielsweise angekündigt, dass durch Hartz IV Langzeitarbeitslose in Massen in billige Plattenbauten zwangsumziehen und selbst ausgebaute Datschen verkauft werden müssten.
Nun stellte die Regierung nochmals klar: Arbeitslose werden ihre Datschen wegen des meist geringen Verkaufswertes in der Regel behalten dürfen. Und: Umzüge in kleinere oder billigere Wohnungen wird es nur in Einzelfällen geben, so Wirtschaftsminister Clement:
Es wird niemand in Plattenbauten verwiesen oder ähnliches. Die ganz riesige Mehrheit der Menschen, die Arbeitssuchende heute sind, sind in einem angemessenen Wohnraum. Und niemand hat das Ziel, die Menschen aus ihren Lebensverhältnissen zu reißen. Wir wollen die, die Arbeit suchen, in Arbeit bringen, aber nicht aus ihren Wohnungen vertreiben. Deshalb ist das alles weit überzogenes Zeug. Es wird nur in Einzelfällen zu solchen Problemen kommen.
Doch die anhaltenden Proteste zeigten ihre Wirkung. Die Regierung besserte nach: So gilt nun ein genereller Freibetrag für jedes Kind von 4.100 Euro ab der Geburt, statt ab dem 15. Lebensjahr wie zuvor. Damit sind auch die Ausbildungsverträge geschützt. Und die umstrittene vermeintliche Auszahlungslücke wurde geschlossen. Statt wie vorgesehen erst im Februar wird das Arbeitslosengeld II doch bereits im Januar ausgezahlt. Weitere Zugeständnisse werde es allerdings nicht geben, machte Wirtschaftsminister Clement deutlich:
Keine Änderungen sind vorgesehen, von nichts und niemandem. Auch weitergehende Forderungen werden auf diese Antwort stoßen.
Doch die Nachbesserungen minderten die Protestaktivitäten gegen die Sozialreformen nicht. Woche für Woche nahmen Zehntausende Menschen vor allem im Osten an den so genannten Montagsdemonstrationen teil – ein Ausdruck der Sorge, möglicherweise zu kurz zu kommen. Gerade im Vergleich zum Westen.
Denn im Osten sind Arbeitslosenquoten von 20 Prozent eher die Regel denn die Ausnahme. Hier leben vergleichsweise viele Langzeitarbeitslose, im Westen dagegen durchschnittlich mehr Sozialhilfeempfänger. Schon jetzt steht fest, dass für die bisherigen Arbeitslosenhilfe-Empfänger die Zahlungen in vielen Fällen geringer ausfallen werden. Arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger dagegen können von der Reform profitieren.
Heute wir ! Morgen Ihr! Heute wir! Morgen Ihr! Heute wir! Morgen Ihr!
Kanzler Schröder weiß, dass es auch die Stimmen aus dem Osten waren, die ihm 1998 und 2002 den Weg ins Kanzleramt ebneten. Nun soll eine so genannte Monitoring-Gruppe die Hartz-IV-Umsetzung in Ostdeutschland begleiten. Einmal im Monat wird sie tagen. Vergangene Woche traf sich die Gruppe zum ersten Mal. Allerdings ohne konkrete Ergebnisse.
In einem Punkt war Kanzler Schröder den ostdeutschen Länderchefs zuvor entgegengekommen. In Gebieten mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als 15 Prozent wird der Bund Lohnkostenzuschüsse bei Neueinstellungen zahlen. Das kommt vor allem dem Osten zugute.
"Fördern und Fordern" ist die Devise der Arbeitsmarktreform. Was wird sich für den einzelnen durch Hartz IV ändern? Alle Langzeitarbeitslosen – ob sie von Arbeitslosen-, Sozialhilfe oder von beidem leben – werden ab 1. Januar 2005 gleich behandelt. Dabei geht es um rund 3,2 Millionen erwerbsfähige Menschen.
Sie sollen künftig das Arbeitslosengeld II erhalten. Das heißt, pauschal gibt es 345 Euro für Alleinstehende in Westdeutschland, 14 Euro weniger im Osten. Hinzu kommen Miet- und Heizkostenzuschüsse. Familienmitglieder erhalten außerdem ein Sozialgeld, das allerdings niedriger ausfällt. Mit Übergangsgeldern und Kinderzuschlag sollen besondere Härten abgefedert werden.
Stärker als bislang werden auch Einkommen und Vermögen eines Lebenspartners eingerechnet. Dadurch werden nach vorsichtigen Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit etwa eine halbe Million Menschen ohne staatliche Unterstützung auskommen müssen. Eine weitere Million Menschen wird weniger Geld erhalten.
Das Arbeitslosengeld II versteht sich als reine Fürsorgeleistung. Wer also eigenes Vermögen besitzt, muss zunächst seine Ersparnisse in Form von Sparbüchern, Bausparverträgen, Lebensversicherungen, Aktien oder Immobilienbesitz aufbrauchen. Eine "angemessene" Immobilie ist erlaubt, wenn sie selbst genutzt wird. Pro Lebensjahr dürfen 200 Euro Kapital behalten werden. Dies gilt auch für 200 Euro pro Jahr zusätzlich für die Altersversorgung. Maximal sind das 26.000 Euro. Gerne verweist Kanzler Schröder auf folgendes Beispiel:
Das Paar, das 45 ist, kann, nach dem, was wir beschlossen haben, neben Hausrat und Auto, ein Schonvermögen von 47.500 Euro behalten, ehe es zu einer Anrechnung auf seine Transferleistungen kommt. Sie wissen, dass insbesondere das Arbeitslosengeld II eine steuerfinanzierte Leistung ist, die von Steuerzahlern unter anderem aufgebracht wird, die nie in die Nähe der Möglichkeit eines Ansparens einer solchen Summe kommen werden. Das gibt es vielfach in unserem Land.
Kaum einer muss also davon ausgehen, dass er sein mühsam Erspartes verlieren wird. Laut Institut der Wirtschaft in Köln besitzen von den 2,3 Millionen Arbeitslosen-Haushalten nur wenige so viel Geld, dass sie nicht mehr unter die Freibetrags-Regelung von Hartz IV fallen.
Nach dieser Studie verfügten im vergangenen Jahr nur knapp sechs Prozent der westdeutschen und ein Prozent der ostdeutschen Arbeitslosen-Haushalte über ein Geldvermögen von mehr als 100.000 Euro. 70 Prozent im Westen besaßen ein Nettogeldvermögen von durchschnittlich 23.000 Euro, im Osten rund 80 Prozent ein Vermögen von durchschnittlich 12.200 Euro.
Auf einem 16-seitigen Fragebogen stellt die Bundesagentur für Arbeit genau dazu detailliert Fragen. Rund drei Millionen Langzeitarbeitslose haben das Schreiben in den vergangenen Wochen erhalten. Sie müssen Auskunft geben über Lebens- und Wohnverhältnisse, ebenso über das eigene Vermögen, das der Angehörigen und auch das Einkommen des Lebenspartners.
Nur wenige ausgefüllte Anträge sind bislang zurückgeschickt worden, und ihre Auswertung wird dauern. Manche befürchten, dass die Arbeitsagenturen bis Jahresanfang mehr mit der Berechnung von Leistungen beschäftigt sein könnten als mit dem Aufbau eines besseren Betreuungsangebots bei der Job-Suche. Doch darauf wird es ankommen, soll die Reform gelingen.
Doch Job ist nicht gleich Job. Beim Stichwort Zumutbarkeit scheiden sich die Geister. Hartz IV bringt auf jeden Fall eine Verschärfung der Regeln. Zwar konnte sich auch bislang ein Arbeitsloser seine Arbeit nicht aussuchen. Absagen wurden jedoch nicht immer überprüft. Nun muss ein Jobsuchender in jedem Fall selbst belegen, warum er eine Stelle nicht antreten kann.
Es gilt: Ab 2005 ist jede Arbeit zumutbar, auch ein Minijob. Selbst wenn die Arbeit nicht der früheren Tätigkeit oder der Ausbildung entsprechen sollte. Junge Singles zum Beispiel müssen bereit sein, bundesweit umzuziehen. Einen geringeren Verdienst muss jeder akzeptieren.
Als erwerbsfähig gilt jeder zwischen 15 und 65 Jahren, der nicht, so das Gesetz, "wegen Krankheit oder einer Behinderung außer Stande ist, unter den üblichen Arbeitsbedingungen mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten". Die Bezahlung kann den Tariflohn oder das ortsübliche Entgelt um bis zu 30 Prozent unterschreiten.
Wer eine zugewiesene Arbeit ablehnt, muss mit der Kürzung von Leistungen rechnen. Für die Dauer von drei Monaten wird das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent gekürzt, das heißt rund 100 Euro bei einem Alleinstehenden. Im wiederholten Fall kann das Geld gänzlich wegfallen. Es gibt jedoch Ermessensspielräume.
Lange umstritten war die Frage, wer sich um die Langzeitarbeitslosen kümmern soll. Die Union plädierte für die Sozialämter, die Regierung hält die Arbeitsämter für kompetenter. Als Kompromiss wurde das so genannte Optionsmodell entwickelt: Danach sollten die Kommunen wählen dürfen, ob sie die Betreuung übernehmen oder nicht. Bundesweit haben sich am Ende 69 Landkreise dafür entschieden, modellhaft die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in eigener Regie durchzuführen. Alle anderen Städte und Gemeinden sollen mit den Arbeitsagenturen zusammenarbeiten und gemeinsam Job-Center aufbauen. Die Zukunft beschreibt Ramona Schröder, Direktorin der Bundesagentur für Arbeit in Berlin-Mitte:
Wir werden dann einen Eingangsbereich haben für alle Kunden, der so aussieht, dass Sie entweder persönlich kommen können, dann werden Sie am Empfang in Empfang genommen, werden in die Eingangszone geleitet und dort wird Ihr Anliegen erst einmal geklärt. Dann bekommen Sie erst einmal einen Termin für den Ansprechpartner, auf den Sie zugehen wollen. Also, entweder wollen Sie Ihren Leistungsantrag stellen, dann bekommen Sie einen Termin bei der Leistungsabteilung. Oder Sie wollen vermittelt werden, dann bekommen Sie einen Termin beim Vermittler. Das können Sie dann entweder telefonisch machen oder persönlich.
Die Betreuer sind künftig in der Pflicht. In den Jobcentern soll ein persönlicher Ansprechpartner, der so genannte Fallmanager, ein Profil seines Kunden erstellen und regelmäßig den Kontakt suchen. Das soll möglich sein, weil er sich nur noch um 75 Arbeitslose kümmern soll, bei über 25jährigen um nicht mehr als 150. Bislang war das oft mehr als die doppelte Menge. Ein Job-Wunder wird Hartz IV jedoch nicht schaffen können.
Rund 340.000 Arbeitslose unter 25 Jahren sollen auf diese Weise in einen Job gelangen. Doch woher Arbeit nehmen - bei über vier Millionen Arbeitslosen? Wer keine reguläre Arbeit findet, dem sollen künftig öffentlich geförderte "Arbeitsgelegenheiten" angeboten werden. Für ein bis zwei Euro pro Stunde, so genannte "Ein-Euro-Jobs", zusätzlich zum Arbeitslosengeld II. Wer einen Job ausschlägt, muss mit Kürzungen rechnen. Die Regierung hofft auf bis zu 600.000 solcher Stellen etwa bei den Wohlfahrtsverbänden. SPD-Chef Müntefering:
Wenn ich höre, dass uns in Deutschland 20.000 Pfleger fehlen, frage ich mich: Wie kann das eigentlich sein, bei 4,3 Millionen Arbeitslosen? Und wenn man jemanden, der arbeitslos ist und Arbeitslosengeld II bekommt, aus der Steuerkasse, die von anderen gefüllt wird, sagt: Du kannst den Job machen, und Du bekommst dann noch einen oder zwei Euro oben drauf für die Stunde – dann ist das für den Einstieg, wieder ins Berufsleben zu kommen, seinen Tag zu strukturieren.
Dass damit reguläre Arbeitsplätze vernichtet werden könnten, glaubt Ramona Schröder von der Bundesagentur für Arbeit Berlin-Mitte nicht:
Wenn man sich umschaut in der Stadt, wer Kinder hat, kennt auch den Zustand der Schulen, Kindertagesstätten, kennt auch die Betreuungsschlüssel, dann kann man sich sicherlich vorstellen, auch im Jugend-Freizeitbereich, dass wir da eine Menge Möglichkeiten haben, eine öffentlich geförderte Beschäftigung zu entwickeln, die sinnvoll ist, die auch zur Entwicklung der Stadtquartiere beiträgt und die nicht unbedingt in den Bereich der Wettbewerbsverzerrung, also im Bereich des originären Arbeitsplatzes, dann reingehen.
Fördern, das bedeutet auch, das Arbeiten attraktiv zu machen. Arbeitslose sollen deshalb mehr im Portemonnaie behalten, wenn sie sich etwas hinzuverdienen. Laut Hartz IV-Gesetz sind das bis 400 Euro etwa 15 Prozent. Wer etwa 900 Euro verdient, darf davon rund 210 Euro behalten. Ab einem monatlichen Bruttoeinkommen über 1500 Euro wird jeder hinzuverdiente Euro in voller Höhe auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Hier kann sich die Regierung noch Möglichkeiten zu Nachbesserungen vorstellen, sagt SPD-Chef Müntefering:
Wir haben im Vermittlungsausschuss einen Kompromiss gemacht. Die Damen und Herren von der Union wollten null Zuverdienstmöglichkeiten. Wir haben dann einen Kompromiss gemacht im unteren Bereich mit 15 Prozent. Und ich sage, man muss sich das ein oder zwei Jahre ansehen. Und dann muss man schauen, ob man da noch einmal nachsteuern kann. Das scheint noch mal ein Punkt, über den man sprechen kann. Aber im Moment gilt das, was beschlossen ist.
Doch die regierungsinterne Debatte um Nachbesserungen geht weiter. Wenngleich auch nicht am eigentlichen Hartz-IV-Gesetz. Über einen gesetzlichen Mindestlohn könnten die neuen Zumutbarkeitsregeln indirekt entschärft werden. Die Arbeitgeber lehnen dies ab. Die Gewerkschaften haben noch keine gemeinsame Position. Mehrheitlich sind sie gegen ein allgemeines Mindestlohn-Gesetz, das die Tarifautonomie einschränken würde. Nun wollen sie möglicherweise Untergrenzen für Entgelte festlegen, die je nach Branche unterschiedlich hoch sind. Besser noch, so die Gewerkschaften, die erlaubten Abschläge bei der Entlohnung würden ganz gestrichen.
Die Gegner des Mindestlohns argumentieren, dass schon heute die Lohnuntergrenzen in Deutschland zu hoch seien. Die Anreiz-Wirkung durch einen Zuverdienst sowie die Entstehung eines Niedriglohnsektors, mahnen Kritiker, würden mit gesetzlichen Mindestlöhnen gleich wieder zunichte gemacht. Im Herbst will die Regierung über die Einführung entscheiden.
Doch damit nicht genug. In der vergangenen Woche musste die Regierung erneut nachlegen - dieses Mal bei der so genannten 58er-Regelung. Rund 400.000 Arbeitslose über 58 Jahre hatten auf eine weitere Jobvermittlung verzichtet und dafür im Gegenzug Leistungen durch Arbeitslosengeld oder –hilfe bis zum Renteneintritt zugesichert bekommen. Durch die Umstellung von der Arbeitslosenhilfe auf das Arbeitslosengeld II könnten viele der Betroffenen künftig deutlich schlechter gestellt sein.
Hier verweist Wirtschaftsminister Clement auf die Verantwortung der ehemaligen Arbeitgeber. Nur in bestimmten Härtefällen will die Regierung einspringen. Dann, wenn Betroffene über einen Sozialplan aus einem Unternehmen frühzeitig ausgeschieden sind und der ehemalige Arbeitgeber mittlerweile insolvent ist. Dies werde allerdings nicht zu einer Änderung des Hartz-IV-Gesetzes führen, sagte Clement. Aber auch an dieser Stelle wollen die Gewerkschaften nicht locker lassen.
Trotzdem konnte die Regierung erst einmal durchatmen. Die Zahl der Demonstranten war zuletzt leicht rückläufig. Ob mit den Korrekturen an Hartz IV die Proteste erledigt sind und jetzt Ruhe im Land einkehrt, bleibt aber abzuwarten.
Hartz muss weg, Arbeit her! Hartz muss weg, Arbeit her! Hartz muss weg, Arbeit her!
Peter Hartz hat manche Illusion verloren. Sinnvolle Maßnahmen, die seine Kommission gefordert hatte, wurden im politischen Prozess aufgerieben, durch Kompromisse verwässert. Auch wenn sich viele Ansätze der Experten in den vier "Gesetzen für moderne Dienstleistungen", kurz Hartz I bis IV, durchaus wieder finden.
So gibt es seit vergangenem Jahr beispielsweise so genannte Personal-Service-Agenturen, durch die Arbeitslose mittels Zeitarbeit wieder in unbefristete Arbeitsverhältnisse gelangen sollen. Erfolge auch bei den Minijobs und Ich-AGs, die ebenfalls auf mehr Beschäftigung zielen. Hartz III steht für den umfassenden Umbau der Bundesanstalt für Arbeit. Jetzt nennt sie sich dynamisch Bundesagentur. Semantisch gestylt sozusagen, soll die neue Begrifflichkeit stehen für "schlanke Verwaltung" und "effiziente Arbeit". Doch das alles gilt es noch unter Beweis zu stellen.
Die wichtigste Änderung: Vom 1. Januar 2005 werden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt. Bislang gibt es hier zwei gänzlich von einander getrennte Hilfe-Systeme. Für die Arbeitslosenhilfe kommt bislang der Bund auf, Sozialhilfe zahlen die Kommunen. Mancher Sozialhilfeempfänger wird von den Kommunen kurzzeitig in Beschäftigungsmaßnahmen gesteckt. So erwirbt er sich Anspruch auf Arbeitslosengeld, für das dann wieder der Bund zuständig ist. Ein unhaltbarer Zustand, meint Kanzler Schröder:
Es geht hierbei insbesondere darum, den Langzeitarbeitslosen, die sich Verschiebebahnhöfen in der Vergangenheit ausgesetzt sahen, zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe – eine wirkliche Perspektive zu geben. Es geht um Fördern, aber auch um Fordern.
Keine staatliche Hilfe künftig ohne Gegenleistung. Das ist das erklärte Ziel der rot-grünen Koalition. An den geplanten Reformen will Kanzler Schröder ohne Abstriche festhalten.
Auch die Opposition will die Reformen, selbst wenn die innerparteilichen Querelen der vergangenen Wochen anderes vermuten ließen. Im Dezember 2003 hatte sie im Vermittlungsausschuss dem Hartz-IV-Gesetz zugestimmt, erinnert Volker Kauder, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag:
Jetzt muss man auch dazu stehen. Allerdings muss ich sagen, die Bundesregierung hat das Gesetz handwerklich so miserabel umgesetzt, dass sie Mitverantwortung für das trägt, was sich da an Demonstrationen auf der Straße abspielt. Sie haben die Menschen überfallen mit einem 16seitigen Fragebogen, ohne ihn vorher zu erklären, um was es eigentlich geht. So kann man es nicht machen. Das kritisiere ich. Aber die Grundregeln, die Hartz IV zu Grunde liegen, das hat die Union mitgemacht und dabei bleibt es auch.
Längst hat die Regierung eingesehen, dass bei der Information und Aufklärung über Hartz IV Grundsätzliches schief gelaufen ist. Ludwig Stiegler, stellvertretender Vorsitzender der SPD im Bundestag, übt Selbstkritik:
Statt dass man hier langfristig eine solide, breite Information vorbereitet hätte, hat man im Grunde nur gelegentlich reagiert – gegenüber den schlimmsten Entgleisungen. Nämlich, anstatt, dass man sich hingesetzt hätte und hätte eine Gruppe angesetzt, die alle Regionalzeitungen und allen Mist, der da aufgeschrieben wird, hier aufarbeitet und eine Gegendarstellung verfasst, hat man sich auf ein paar Dementis beschränkt. Also, mit Ruhm hat man sich da nicht bekleckert.
Nun geht es um Schadensbegrenzung. Erste Reaktion der Bundesregierung: Großanzeigen in den Tageszeitungen. "Hartz IV - Fakten statt Vorurteile", heißt es da. Und: "Wir geben Antworten auf manche falsche Behauptungen der letzten Zeit." Boulevardzeitungen hatten die Stimmung aufgeheizt. Sie hatten beispielsweise angekündigt, dass durch Hartz IV Langzeitarbeitslose in Massen in billige Plattenbauten zwangsumziehen und selbst ausgebaute Datschen verkauft werden müssten.
Nun stellte die Regierung nochmals klar: Arbeitslose werden ihre Datschen wegen des meist geringen Verkaufswertes in der Regel behalten dürfen. Und: Umzüge in kleinere oder billigere Wohnungen wird es nur in Einzelfällen geben, so Wirtschaftsminister Clement:
Es wird niemand in Plattenbauten verwiesen oder ähnliches. Die ganz riesige Mehrheit der Menschen, die Arbeitssuchende heute sind, sind in einem angemessenen Wohnraum. Und niemand hat das Ziel, die Menschen aus ihren Lebensverhältnissen zu reißen. Wir wollen die, die Arbeit suchen, in Arbeit bringen, aber nicht aus ihren Wohnungen vertreiben. Deshalb ist das alles weit überzogenes Zeug. Es wird nur in Einzelfällen zu solchen Problemen kommen.
Doch die anhaltenden Proteste zeigten ihre Wirkung. Die Regierung besserte nach: So gilt nun ein genereller Freibetrag für jedes Kind von 4.100 Euro ab der Geburt, statt ab dem 15. Lebensjahr wie zuvor. Damit sind auch die Ausbildungsverträge geschützt. Und die umstrittene vermeintliche Auszahlungslücke wurde geschlossen. Statt wie vorgesehen erst im Februar wird das Arbeitslosengeld II doch bereits im Januar ausgezahlt. Weitere Zugeständnisse werde es allerdings nicht geben, machte Wirtschaftsminister Clement deutlich:
Keine Änderungen sind vorgesehen, von nichts und niemandem. Auch weitergehende Forderungen werden auf diese Antwort stoßen.
Doch die Nachbesserungen minderten die Protestaktivitäten gegen die Sozialreformen nicht. Woche für Woche nahmen Zehntausende Menschen vor allem im Osten an den so genannten Montagsdemonstrationen teil – ein Ausdruck der Sorge, möglicherweise zu kurz zu kommen. Gerade im Vergleich zum Westen.
Denn im Osten sind Arbeitslosenquoten von 20 Prozent eher die Regel denn die Ausnahme. Hier leben vergleichsweise viele Langzeitarbeitslose, im Westen dagegen durchschnittlich mehr Sozialhilfeempfänger. Schon jetzt steht fest, dass für die bisherigen Arbeitslosenhilfe-Empfänger die Zahlungen in vielen Fällen geringer ausfallen werden. Arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger dagegen können von der Reform profitieren.
Heute wir ! Morgen Ihr! Heute wir! Morgen Ihr! Heute wir! Morgen Ihr!
Kanzler Schröder weiß, dass es auch die Stimmen aus dem Osten waren, die ihm 1998 und 2002 den Weg ins Kanzleramt ebneten. Nun soll eine so genannte Monitoring-Gruppe die Hartz-IV-Umsetzung in Ostdeutschland begleiten. Einmal im Monat wird sie tagen. Vergangene Woche traf sich die Gruppe zum ersten Mal. Allerdings ohne konkrete Ergebnisse.
In einem Punkt war Kanzler Schröder den ostdeutschen Länderchefs zuvor entgegengekommen. In Gebieten mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als 15 Prozent wird der Bund Lohnkostenzuschüsse bei Neueinstellungen zahlen. Das kommt vor allem dem Osten zugute.
"Fördern und Fordern" ist die Devise der Arbeitsmarktreform. Was wird sich für den einzelnen durch Hartz IV ändern? Alle Langzeitarbeitslosen – ob sie von Arbeitslosen-, Sozialhilfe oder von beidem leben – werden ab 1. Januar 2005 gleich behandelt. Dabei geht es um rund 3,2 Millionen erwerbsfähige Menschen.
Sie sollen künftig das Arbeitslosengeld II erhalten. Das heißt, pauschal gibt es 345 Euro für Alleinstehende in Westdeutschland, 14 Euro weniger im Osten. Hinzu kommen Miet- und Heizkostenzuschüsse. Familienmitglieder erhalten außerdem ein Sozialgeld, das allerdings niedriger ausfällt. Mit Übergangsgeldern und Kinderzuschlag sollen besondere Härten abgefedert werden.
Stärker als bislang werden auch Einkommen und Vermögen eines Lebenspartners eingerechnet. Dadurch werden nach vorsichtigen Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit etwa eine halbe Million Menschen ohne staatliche Unterstützung auskommen müssen. Eine weitere Million Menschen wird weniger Geld erhalten.
Das Arbeitslosengeld II versteht sich als reine Fürsorgeleistung. Wer also eigenes Vermögen besitzt, muss zunächst seine Ersparnisse in Form von Sparbüchern, Bausparverträgen, Lebensversicherungen, Aktien oder Immobilienbesitz aufbrauchen. Eine "angemessene" Immobilie ist erlaubt, wenn sie selbst genutzt wird. Pro Lebensjahr dürfen 200 Euro Kapital behalten werden. Dies gilt auch für 200 Euro pro Jahr zusätzlich für die Altersversorgung. Maximal sind das 26.000 Euro. Gerne verweist Kanzler Schröder auf folgendes Beispiel:
Das Paar, das 45 ist, kann, nach dem, was wir beschlossen haben, neben Hausrat und Auto, ein Schonvermögen von 47.500 Euro behalten, ehe es zu einer Anrechnung auf seine Transferleistungen kommt. Sie wissen, dass insbesondere das Arbeitslosengeld II eine steuerfinanzierte Leistung ist, die von Steuerzahlern unter anderem aufgebracht wird, die nie in die Nähe der Möglichkeit eines Ansparens einer solchen Summe kommen werden. Das gibt es vielfach in unserem Land.
Kaum einer muss also davon ausgehen, dass er sein mühsam Erspartes verlieren wird. Laut Institut der Wirtschaft in Köln besitzen von den 2,3 Millionen Arbeitslosen-Haushalten nur wenige so viel Geld, dass sie nicht mehr unter die Freibetrags-Regelung von Hartz IV fallen.
Nach dieser Studie verfügten im vergangenen Jahr nur knapp sechs Prozent der westdeutschen und ein Prozent der ostdeutschen Arbeitslosen-Haushalte über ein Geldvermögen von mehr als 100.000 Euro. 70 Prozent im Westen besaßen ein Nettogeldvermögen von durchschnittlich 23.000 Euro, im Osten rund 80 Prozent ein Vermögen von durchschnittlich 12.200 Euro.
Auf einem 16-seitigen Fragebogen stellt die Bundesagentur für Arbeit genau dazu detailliert Fragen. Rund drei Millionen Langzeitarbeitslose haben das Schreiben in den vergangenen Wochen erhalten. Sie müssen Auskunft geben über Lebens- und Wohnverhältnisse, ebenso über das eigene Vermögen, das der Angehörigen und auch das Einkommen des Lebenspartners.
Nur wenige ausgefüllte Anträge sind bislang zurückgeschickt worden, und ihre Auswertung wird dauern. Manche befürchten, dass die Arbeitsagenturen bis Jahresanfang mehr mit der Berechnung von Leistungen beschäftigt sein könnten als mit dem Aufbau eines besseren Betreuungsangebots bei der Job-Suche. Doch darauf wird es ankommen, soll die Reform gelingen.
Doch Job ist nicht gleich Job. Beim Stichwort Zumutbarkeit scheiden sich die Geister. Hartz IV bringt auf jeden Fall eine Verschärfung der Regeln. Zwar konnte sich auch bislang ein Arbeitsloser seine Arbeit nicht aussuchen. Absagen wurden jedoch nicht immer überprüft. Nun muss ein Jobsuchender in jedem Fall selbst belegen, warum er eine Stelle nicht antreten kann.
Es gilt: Ab 2005 ist jede Arbeit zumutbar, auch ein Minijob. Selbst wenn die Arbeit nicht der früheren Tätigkeit oder der Ausbildung entsprechen sollte. Junge Singles zum Beispiel müssen bereit sein, bundesweit umzuziehen. Einen geringeren Verdienst muss jeder akzeptieren.
Als erwerbsfähig gilt jeder zwischen 15 und 65 Jahren, der nicht, so das Gesetz, "wegen Krankheit oder einer Behinderung außer Stande ist, unter den üblichen Arbeitsbedingungen mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten". Die Bezahlung kann den Tariflohn oder das ortsübliche Entgelt um bis zu 30 Prozent unterschreiten.
Wer eine zugewiesene Arbeit ablehnt, muss mit der Kürzung von Leistungen rechnen. Für die Dauer von drei Monaten wird das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent gekürzt, das heißt rund 100 Euro bei einem Alleinstehenden. Im wiederholten Fall kann das Geld gänzlich wegfallen. Es gibt jedoch Ermessensspielräume.
Lange umstritten war die Frage, wer sich um die Langzeitarbeitslosen kümmern soll. Die Union plädierte für die Sozialämter, die Regierung hält die Arbeitsämter für kompetenter. Als Kompromiss wurde das so genannte Optionsmodell entwickelt: Danach sollten die Kommunen wählen dürfen, ob sie die Betreuung übernehmen oder nicht. Bundesweit haben sich am Ende 69 Landkreise dafür entschieden, modellhaft die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in eigener Regie durchzuführen. Alle anderen Städte und Gemeinden sollen mit den Arbeitsagenturen zusammenarbeiten und gemeinsam Job-Center aufbauen. Die Zukunft beschreibt Ramona Schröder, Direktorin der Bundesagentur für Arbeit in Berlin-Mitte:
Wir werden dann einen Eingangsbereich haben für alle Kunden, der so aussieht, dass Sie entweder persönlich kommen können, dann werden Sie am Empfang in Empfang genommen, werden in die Eingangszone geleitet und dort wird Ihr Anliegen erst einmal geklärt. Dann bekommen Sie erst einmal einen Termin für den Ansprechpartner, auf den Sie zugehen wollen. Also, entweder wollen Sie Ihren Leistungsantrag stellen, dann bekommen Sie einen Termin bei der Leistungsabteilung. Oder Sie wollen vermittelt werden, dann bekommen Sie einen Termin beim Vermittler. Das können Sie dann entweder telefonisch machen oder persönlich.
Die Betreuer sind künftig in der Pflicht. In den Jobcentern soll ein persönlicher Ansprechpartner, der so genannte Fallmanager, ein Profil seines Kunden erstellen und regelmäßig den Kontakt suchen. Das soll möglich sein, weil er sich nur noch um 75 Arbeitslose kümmern soll, bei über 25jährigen um nicht mehr als 150. Bislang war das oft mehr als die doppelte Menge. Ein Job-Wunder wird Hartz IV jedoch nicht schaffen können.
Rund 340.000 Arbeitslose unter 25 Jahren sollen auf diese Weise in einen Job gelangen. Doch woher Arbeit nehmen - bei über vier Millionen Arbeitslosen? Wer keine reguläre Arbeit findet, dem sollen künftig öffentlich geförderte "Arbeitsgelegenheiten" angeboten werden. Für ein bis zwei Euro pro Stunde, so genannte "Ein-Euro-Jobs", zusätzlich zum Arbeitslosengeld II. Wer einen Job ausschlägt, muss mit Kürzungen rechnen. Die Regierung hofft auf bis zu 600.000 solcher Stellen etwa bei den Wohlfahrtsverbänden. SPD-Chef Müntefering:
Wenn ich höre, dass uns in Deutschland 20.000 Pfleger fehlen, frage ich mich: Wie kann das eigentlich sein, bei 4,3 Millionen Arbeitslosen? Und wenn man jemanden, der arbeitslos ist und Arbeitslosengeld II bekommt, aus der Steuerkasse, die von anderen gefüllt wird, sagt: Du kannst den Job machen, und Du bekommst dann noch einen oder zwei Euro oben drauf für die Stunde – dann ist das für den Einstieg, wieder ins Berufsleben zu kommen, seinen Tag zu strukturieren.
Dass damit reguläre Arbeitsplätze vernichtet werden könnten, glaubt Ramona Schröder von der Bundesagentur für Arbeit Berlin-Mitte nicht:
Wenn man sich umschaut in der Stadt, wer Kinder hat, kennt auch den Zustand der Schulen, Kindertagesstätten, kennt auch die Betreuungsschlüssel, dann kann man sich sicherlich vorstellen, auch im Jugend-Freizeitbereich, dass wir da eine Menge Möglichkeiten haben, eine öffentlich geförderte Beschäftigung zu entwickeln, die sinnvoll ist, die auch zur Entwicklung der Stadtquartiere beiträgt und die nicht unbedingt in den Bereich der Wettbewerbsverzerrung, also im Bereich des originären Arbeitsplatzes, dann reingehen.
Fördern, das bedeutet auch, das Arbeiten attraktiv zu machen. Arbeitslose sollen deshalb mehr im Portemonnaie behalten, wenn sie sich etwas hinzuverdienen. Laut Hartz IV-Gesetz sind das bis 400 Euro etwa 15 Prozent. Wer etwa 900 Euro verdient, darf davon rund 210 Euro behalten. Ab einem monatlichen Bruttoeinkommen über 1500 Euro wird jeder hinzuverdiente Euro in voller Höhe auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Hier kann sich die Regierung noch Möglichkeiten zu Nachbesserungen vorstellen, sagt SPD-Chef Müntefering:
Wir haben im Vermittlungsausschuss einen Kompromiss gemacht. Die Damen und Herren von der Union wollten null Zuverdienstmöglichkeiten. Wir haben dann einen Kompromiss gemacht im unteren Bereich mit 15 Prozent. Und ich sage, man muss sich das ein oder zwei Jahre ansehen. Und dann muss man schauen, ob man da noch einmal nachsteuern kann. Das scheint noch mal ein Punkt, über den man sprechen kann. Aber im Moment gilt das, was beschlossen ist.
Doch die regierungsinterne Debatte um Nachbesserungen geht weiter. Wenngleich auch nicht am eigentlichen Hartz-IV-Gesetz. Über einen gesetzlichen Mindestlohn könnten die neuen Zumutbarkeitsregeln indirekt entschärft werden. Die Arbeitgeber lehnen dies ab. Die Gewerkschaften haben noch keine gemeinsame Position. Mehrheitlich sind sie gegen ein allgemeines Mindestlohn-Gesetz, das die Tarifautonomie einschränken würde. Nun wollen sie möglicherweise Untergrenzen für Entgelte festlegen, die je nach Branche unterschiedlich hoch sind. Besser noch, so die Gewerkschaften, die erlaubten Abschläge bei der Entlohnung würden ganz gestrichen.
Die Gegner des Mindestlohns argumentieren, dass schon heute die Lohnuntergrenzen in Deutschland zu hoch seien. Die Anreiz-Wirkung durch einen Zuverdienst sowie die Entstehung eines Niedriglohnsektors, mahnen Kritiker, würden mit gesetzlichen Mindestlöhnen gleich wieder zunichte gemacht. Im Herbst will die Regierung über die Einführung entscheiden.
Doch damit nicht genug. In der vergangenen Woche musste die Regierung erneut nachlegen - dieses Mal bei der so genannten 58er-Regelung. Rund 400.000 Arbeitslose über 58 Jahre hatten auf eine weitere Jobvermittlung verzichtet und dafür im Gegenzug Leistungen durch Arbeitslosengeld oder –hilfe bis zum Renteneintritt zugesichert bekommen. Durch die Umstellung von der Arbeitslosenhilfe auf das Arbeitslosengeld II könnten viele der Betroffenen künftig deutlich schlechter gestellt sein.
Hier verweist Wirtschaftsminister Clement auf die Verantwortung der ehemaligen Arbeitgeber. Nur in bestimmten Härtefällen will die Regierung einspringen. Dann, wenn Betroffene über einen Sozialplan aus einem Unternehmen frühzeitig ausgeschieden sind und der ehemalige Arbeitgeber mittlerweile insolvent ist. Dies werde allerdings nicht zu einer Änderung des Hartz-IV-Gesetzes führen, sagte Clement. Aber auch an dieser Stelle wollen die Gewerkschaften nicht locker lassen.
Trotzdem konnte die Regierung erst einmal durchatmen. Die Zahl der Demonstranten war zuletzt leicht rückläufig. Ob mit den Korrekturen an Hartz IV die Proteste erledigt sind und jetzt Ruhe im Land einkehrt, bleibt aber abzuwarten.