"Als ich angefangen habe bei Open Doors knapp vor 14 Jahren, habe ich nichts gewusst von einer so massiven Christenverfolgung weltweit", sagt Markus Rode, Geschäftsführer des Hilfswerks "Open Doors". "Da haben wir sehr viel erreicht in den letzten Jahren, damit das Thema, das Problem überhaupt in die Öffentlichkeit kommt."
Wenn zur Zeit über das Thema Christenverfolgung debattiert wird, dann kommt man an "Open Doors" nicht vorbei. Die Organisation sieht es als ihre Aufgabe, Christen zu helfen, die aufgrund ihres Glaubens Einschränkungen erleiden oder deren Leben bedroht ist. Im letzten Jahr feierte man das 60. Jubiläum. Unter den Gratulanten war auch Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Kauder ist engagierter Christ, sein Einsatz für bedrängte Christen seit langem eine Herzensangelegenheit. "Es wurde sicher auch Thema, weil ich es immer wieder in zentralen Debatten Bundestag, beispielsweise in Haushaltsdebatte, angesprochen habe, dass wir uns mehr für Religionsfreiheit einsetzen müssen", sagt er.
Wer sich allerdings beim Thema Christenverfolgung auffällig zurückhält, sind die großen Kirchen. "Es ist richtig, dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) lange Zeit das Thema Christenverfolgung wenig präsent hatte", sagt Martin Dutzmann. Er vertritt die EKD bei der Bundesregierung. "Eine Organisation wie Open Doors hat immer wieder den Finger in Wunde gelegt, auf Christenverfolgung in aller Welt hingewiesen, hat das auch erkennbar vor der EKD, jedenfalls in dieser Deutlichkeit, gemacht, insofern haben wir an dieser Stelle von den evangelikalen Kräften innerhalb unserer Kirche gelernt und das aufgenommen."
Die Organisationen, die sich für die bedrängten Christen einsetzen, zählen entweder zum evangelikalen Bereich oder zum konservativ-katholischen Spektrum. Bei "Open Doors" zum Beispiel ist die "persönliche Beziehung zu Jesus Christus" Teil jeder Stellenausschreibung. Das ist eher nicht jener Teil der Volkskirche, aus dem sich die Kirchengremien bisher gespeist haben. Organisationen, die näher bei den Amtskirchen sind, tun sich schwer mit der Bezeichnung "Christenverfolgung". Die Kommission "Justitia et Pax" etwa, die der Deutschen Bischofskonferenz zugeordnet ist. Daniel Legutke, der bei "Justitia et Pax" zuständig ist für Menschenrechte , sagt: "Wenn unser Ziel darin besteht, Menschen in einer Bedrängungssituation zu helfen, dann müssen wir sehr genau sehen, was die Situationen sind, in der Bedrängung passiert."
Legutke spricht deshalb lieber vom "gefährdeten Recht auf Religionsfreiheit" als von "Christenverfolgung". Er erklärt: "Wir sehen oft, dass in Situationen, wo die Religionsfreiheit beeinträchtigt wird, auch andere Freiheitsrechte beeinträchtigt sind, das gibt uns vielleicht einen besseren Blick darauf, was muss geschehen, um die Freiheit für die Menschen zu verwirklichen. Das ist wesentlich komplizierter als zu sagen: Christenverfolgung, wir müssen was für die Christen tun – wir müssen was für die Christen tun, das schon, aber wir brauchen einen breiteren Zugang, als den das Schlagwort Christenverfolgung nahelegt."
Anders Markus Rode von "Open Doors": "Der Begriff Christenverfolgung ist für uns deshalb so ein wichtiges Schlagwort, weil es um verfolgte Christen geht. Insofern ist das kein Schlagwort, um irgendwas Populistisches nach draußen zu bringen, sondern das Gegenteil ist der Fall: hier geht es um Menschen, und wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben und helfen, dass in dieser Situation Beachtung finden."
"Open Doors" und andere Organisation argumentieren mit den einzelnen Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Die Kirchen wollen den Blick auf Strukturen lenken, in denen Religionsfreiheit verletzt wird. Wie verschieden so die Situation von Christen eingeschätzt werden kann, zeigt sich regelrecht exemplarisch an der Untersuchung über die Situation von Christen in deutschen Flüchtlingsunterkünften, die im Mai veröffentlicht wurde. "Open Doors" hatte zusammen mit anderen Organisationen acht Wochen lang über seine Ehrenamtlichen von Flüchtlingen erfragt, ob diese Übergriffe in einer der folgenden Kategorien erfahren hatten: Todesdrohungen, sexuelle Übergriffe, Körperverletzung, sonstige Verfolgung – darunter fallen dann zum Beispiel Beleidigungen oder demonstrativ lautes Abspielen von Koransuren. 231 Fragebögen wurden erfasst, Markus Rode fasst die Ergebnisse so zusammen.
"Das würde ich zumindest in den Fällen, die wir durch die Erhebung rausgefiltert haben, Christenverfolgung nennen, und zwar massiv. Wir haben 231 Übergriffe* erhalten, 88 Prozent derer, die geantwortet haben, sagen, wir haben Verfolgung durch Mitflüchtlinge erlebt, davon noch mal 50 Prozent sagen, sie hätten Verfolgung durch Wachpersonal erlebt."
Dazu Martin Dutzmann, der EKD-Beauftragte bei der Bundesregierung: "Das alles kommt vor, jedem Fall muss nachgegangen werden, weil Gewalt darf nicht sein, in Flüchtlingsunterkunft und sonst nicht, Gewalt gegen Christen darf auch nicht sein. Aber wir konnten nicht bestätigt finden, durch die Mitgliedseinrichtungen Diakonie, dass es so etwas wie flächendeckende Christenverfolgung in Deutschland gibt."
Markus Rode entgegnet: "Da ist wahrscheinlich eher das Problem, dass man an dieser Stelle dann wahrscheinlich denkt, ja wir wollen das nicht so hoch hängen, weil dann kommt ja das Problem, dass der Islam als eine gewaltbereite Religion in der Öffentlichkeit auftaucht, und das möchte man nicht haben."
Die Religionszugehörigkeit der Täter, unter Flüchtlingen genauso wie unter dem Wachpersonal, wird in der Erhebung fraglos als muslimisch angenommen. Im Fragebogen selbst wird das allerdings an keiner Stelle erhoben. Im Fazit sprechen die beteiligten Organisationen davon, dass "Vorfälle bewusst verharmlost oder gar vertuscht wurden" – Zitat Ende. Markus Rode: "Viele sagen, das dürfen wir gar nicht tun, denn das gibt genau das Wasser auf die Mühlen der Populisten – nein, wir müssen die Wahrheit nennen. Und die Wahrheit ist, dass im Weltverfolgungsindex eben grad die Staaten ganz weit oben stehen, in denen der Islam die Hauptreligion ist. Es gibt keine Religionsfreiheit im Islam selber, deshalb werden auch Christen verfolgt."
Martin Dutzmann kritisiert: "Ich halte das für brandgefährlich, was da geschieht, weil man unterstellt, dass Muslime generell gewaltbereit sind, flächendeckend, und bei der latent antimuslimischen Stimmung, die wir in Deutschland haben, halte ich so etwas für gefährlich."
Die evangelische Kirche lasse zur Zeit eine Umfrage in den Flüchtlingseinrichtungen der württembergischen Diakonie machen, in der Hoffnung, damit ein genaueres und repräsentativeres Bild zur Situation christlicher Flüchtlinge zu bekommen. Genauere Daten wären in der Tat wichtig – neben den persönlichen Zeugnissen. Wie schwierig es ist, mögliche religiös motivierte Gewalt in Flüchtlingsheimen einzuschätzen, weiß auch CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder. "Wir müssen mit Begriff Christenverfolgung in Flüchtlingsheimen vorsichtiger sein. Es ist richtig, da bleib ich dabei, auch wenn das immer wieder in Frage gestellt wird, dass Christen bedrängt werden, dass sie unter Druck geraten, das muss einfach abgestellt werden."
Was fällt eigentlich unter die Kategorie Verfolgung – schon Beleidigungen? Oder schlechte Entwicklungschancen? Oder kann erst dann von Verfolgung die Rede sein, wenn jemand ausdrücklich wegen seines Bekenntnisses im Gefängnis sitzt? Der Begriff Christenverfolgung klingt klar und griffig, ist es bei genauerem Hinsehen aber nicht.
* Markus Rode meint 231 Fragebögen.