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Rekordtempo bei Corona-Impfstoffentwicklung
Forscherin: Kein Kompromiss in sicherheitsrelevanten Fragen

In der Corona-Pandemie sind Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 in Rekordtempo entwickelt worden. Dies sei jedoch nicht auf Kosten der Sicherheit erfolgt, sagte die Infektiologin Marylyn Addo im Dlf. Um Vertrauen zu schaffen, müssten die Daten, die einer Zulassung zugrunde liegen, transparent gemacht werden.

Marylyn Addo im Gespräch mit Lennart Pyritz |
Prof. Dr. Marylyn Addo bei einer Pressekonferenz zur weiteren Entwicklung in der Corona-Pandemie im Rathaus. Hamburg, 13.11.2020 *** Prof Dr Marylyn Addo at a press conference on the further development of the Corona Pandemic in Hamburg City Hall, 13 11 2020 Foto:xgbrcix/xFuturexImage
Um die gesamte Weltbevölkerung versorgen zu können, sie mehr als ein Corona-Impfstoff notwendig, betont Marylyn Addo (Imago Images / Future Image)
Ungefähr 50 Corona-Impfstoff-Kandidaten in klinischer Prüfung listet die WHO derzeit auf: Die Suche nach einem Impfstoff gegen SARS-CoV-2 läuft beispiellos schnell. Nun hat Großbritannien eine Notfallzulassung für den neuartigen mRNA-Impfstoff von Biontech und Pfizer erteilt. Ob bald ein weiterer Impfstoff von AstraZeneca und der Universität Oxford eingesetzt werden darf, wird derzeit geprüft.
Wettlauf um den Corona-Impfstoff
Im Wettlauf um die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs melden immer weitere Unternehmen vielversprechendes Ergebnisse, zuletzt das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca.
Auch die Europäische Union und die USA wollen in den kommenden Wochen über die Zulassung von Corona-Impfstoffen entscheiden. Was die Impfstoff-Entwicklung im Rekordtempo bedeutet – das erklärt Marylyn Addo. Sie leitet die Infektiologie des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf und arbeitet am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung.

Lennart Pyritz: Hat mit den jüngsten Erfolgsmeldungen zu den Corona-Impfungen das Ende der Pandemie begonnen?
Marylyn Addo: Ich glaube, dass wir einen großen Schritt weiter sind in Richtung, ja, Ende der Pandemie, aber es wird wohl noch eine Weile dauern. Aber es ist sicherlich ein sehr, sehr positives Signal und eine weitere Säule im Kampf gegen die Pandemie.
Britain's Health Secretary Matt Hancock leaves Downing Street in London, Wednesday, Dec. 2, 2020. U.K. Health Secretary Matt Hancock on Wednesday thanked scientists from Pfizer and BioNTech after the approval of their COVID-19 vaccine for emergency use by the country's drugs regulator. Speaking earlier Hancock gave details of how the vaccine would be distributed from the beginning of next week. (AP Photo/Kirsty Wigglesworth)
Warum die Briten bei der Impfstoffzulassung schneller waren
Der Impfstoff von Biontech und Pfizer hat in Großbritannien alle Hürden genommen. Schon in wenigen Tagen sollen die ersten Briten geimpft werden. Der britische Zulassungsantrag war etwas unter dem Radar gelaufen.

Pyritz: Innerhalb weniger Monate wurden jetzt Impfstoffe gegen Corona entwickelt, einer davon in Großbritannien jetzt sogar zugelassen. Ist dieses Rekordtempo angesichts dieser Pandemie richtig oder schafft das auch Sicherheitslücken bei der Entwicklung?
Addo: Das ist eine Frage, die natürlich viele umtreibt, das ist jetzt so schnell gegangen, kann das auch sicher sein? An Impfstoffe, die in Deutschland oder der EU zugelassen werden, werden immer, egal welches Tempo, die höchsten Sicherheitsstandards angelegt. Es sind Prozesse beschleunigt worden in dieser Pandemie, wo es möglich war, aber in keinen sicherheitsrelevanten Fragen ist da ein Kompromiss eingegangen worden.
Eine Spritze und Pflaster liegen auf einem kleinen Tablett, das von zwei blau behandschuhten Händen getragen wird
Medizinrechtler: Überhaupt keine Kritikpunkte an britischer Zulassung
Im Internet kursierten obskure Artikel zur Schnellzulassung des Corona-Impfstoffs in Großbritannien, sagte der Medizinrechtler Alexander Ehlers im Dlf. Tatsächlich bestehe kein Grund zur Sorge. Dass London schneller sei als die EU, liege an Unterschieden im Zulassungsverfahren und am Brexit.
Pyritz: Warum konnte es denn überhaupt dieses Mal so viel schneller gehen als bei anderen Impfstoffen? Einfach, weil da mehr Interesse daran bestand und auch mehr Geld dahinter gesteckt hat?
Addo: Es hat sicherlich ganz viele verschiedene Gründe. Zum einen lag die Sequenz des Erregers so schnell vor wie noch nie zuvor. Wir hatten ja binnen Tagen die Sequenz für alle Wissenschaft zur Verfügung, da konnte halt im Grunde genommen im Januar, obwohl im Dezember oder November ja erst die Pandemie angefangen hatte, da konnten schon die Impfstoffentwicklungen starten. Das hat dazu geführt, dass dann im März schon die erste Person in einer klinischen Prüfung geimpft werden konnte.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Dann sind natürlich durch vorherige Epidemien, zum Beispiel im Nachgang von Ebola, auch neue Förderungsmöglichkeiten für schnelle Impfstoffentwicklungen entstanden wie zum Beispiel CEPI, die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations. Die hat sehr viele von diesen Impfstoffentwicklungsprogrammen, die jetzt ganz weit vorne sind, auch schon ganz früh mit den notwendigen Finanzen ausgestattet.
Das Bundesministerium für Forschung und Bildung hat auch ganz früh investiert. Es wurden halt da Fördermittel zur Verfügung gestellt, es wurden Prozesse beschleunigt, die halt sonst normalerweise direkt hintereinandergeschaltet wurden, konnten zum Teil ein bisschen parallelisiert werden. Es wurde an vielen Stellschrauben gedreht, um dieses möglich zu machen.
Große Aufgabe: Transparenz und erklären
Pyritz: Braucht es in so einer Ausnahmesituation trotzdem noch besondere Anstrengung, damit die Menschen diesen Impfstoffen vertrauen?
Addo: Auf jeden Fall. Ich denke, das ist jetzt auch die große Aufgabe der nächsten Wochen und Monate, ganz transparent zu machen: Was sind die Ergebnisse der Studien, die jetzt durchgeführt wurden. Auf welcher Datenlage beruht die Zulassung. Was für Nebenwirkungen sind zu erwarten. Wie wird sichergestellt, dass auch im weiteren Verlauf die sicherheitsrelevanten Daten erhoben werden, auch nach einer Notfall- oder konditionalen Zulassung. All das muss mit der Bevölkerung sehr transparent im Dialog kommuniziert werden.
Impfzentrum mit Blick aus dem VIP-Bereich in das Fortuna-Stadion und Hinweisschild "Oberarm freimachen" zur Vorbereitung der Patienten zur bevorstehenden Corona-Impfung
Impfzentren: Wer wie und ab wann geimpft werden kann
Sobald ein Impfstoff gegen das Coronavirus in Europa zugelassen ist, sollen die ersten zentralen Impfungen in Deutschland beginnen. Wann geht es los? Reicht der Impfstoff? Wer wird zuerst geimpft und was kostet das? Ein Überblick.
Pyritz: Stichwort Nebenwirkungen: Ganz oben auf der Zulassungsliste stehen ja mRNA-Impfstoffe von Biontech und Pfizer beziehungsweise Moderna, die beruhen beide auf synthetischen Molekülen, die das Immunsystem eben letztlich anregen sollen, Antikörper gegen SARS-CoV-2 zu bilden. Das ist ein neues Konzept, was ist da eigentlich bisher über Nebenwirkungen bekannt?
Addo: Die Entwickler haben ja schon aus diesem Entwicklungsprogramm Daten publiziert. Da kann man das genau nachlesen, was in diesen frühen Studien an Nebenwirkungsprofilen gesehen wurde. Das sind Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Fieber, Schüttelfrost. Das sind aber vom Spektrum her Nebenwirkungen, die auch bei anderen Impfungen wie zum Beispiel der Gelbfieberimpfung oder auch der Grippeimpfung durchaus vorkommen können.
Und um jetzt aufklären zu können für unsere Impfkampagnen brauchen wir natürlich aus diesen großen Studien mit 30.000, 40.000 Probanden genau diese Daten. In wie vielen Prozent haben Leute Kopfschmerzen bekommen? Wie viel Prozent ist diese Nebenwirkung aufgetreten? Das sind alles vorübergehende Nebenwirkungen, die waren alle nach ein bis zwei Tagen wieder weg, wenn sie aufgetreten sind. Aber das ist natürlich wichtig, damit wir auch da transparent aufklären können.
"Noch sehr viele Wissenslücken"
Pyritz: Könnten diese erwähnten mRNA-Impfstoffe, wenn sie so gut wirken, wie die ersten Ergebnisse jetzt erhoffen lassen, ausreichen? Oder müssen in jedem Fall noch andere Impfstoffe, auch andere Impfstofftypen dazukommen, um verschiedene Altersgruppen oder auch verschiedene Risikogruppen überhaupt impfen zu können und letztendlich eine Herdenimmunität zu erreichen?
Addo: Es gibt natürlich noch sehr viele Wissenslücken zu diesem Thema. Und man hat sich deswegen bewusst breit aufgestellt. Es sind ja momentan elf verschiedene Impfstoffe in verschiedenen Impfstoffstrategien und -kategorien schon in der Phase III, klinische Prüfung, um genau diese Frage dann zu beantworten: Für wen ist welcher Impfstoff der beste, vom Nebenwirkungsprofil, aber auch vom Wirkungsprofil?
Es ist ja oft gesehen worden, dass zum Beispiel in der älteren Population bei der Grippeimpfung oft die Impfantworten schwächer sind als in einer jüngeren Population. Vielleicht braucht es dann halt für verschiedene Bevölkerungsgruppen verschiedene Impfansätze. Deswegen ist es gut, dass wir derzeit breit aufgestellt sind. Die mRNA-Impfstoffe sind jetzt vorne in der Entwicklung, weil sie so schnell hergestellt werden können, aber wir sollten auch die anderen Ergebnisse noch abwarten. Wir brauchen auch sicherlich mehr als einen Impfstoff, um die Weltbevölkerung zu versorgen.
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn setzt darauf, dass Mitte Januar die ersten Risikogruppen in Deutschland geimpft sind. Trotzdem rechnet er damit, dass die Situation bis zum Ende des Winters schwierig bleibt.
Pyritz: Wenn Sie da eine Prognose wagen wollen, wie viele Impfstoffe werden sich in der Praxis letztendlich durchsetzen?
Addo: Das ist zwar ein bisschen Spekulation, aber ich könnte mir vorstellen, dass wir fünf Impfstoffe zur Zulassung bringen, vielleicht auch sechs.
Pyritz: Sie haben ja selbst auch an einem Impfstoff gegen Corona in der Entwicklung mitgewirkt, bei dem wird die genetische Information für ein Oberflächeneiweiß von SARS-CoV-2 in ein harmloses Pockenvirus verpackt. Gibt es dazu schon erste Ergebnisse zur Wirksamkeit?
Addo: Wir haben noch keine Ergebnisse zur Wirksamkeit, wir sind noch in einer sehr frühen Phase der klinischen Prüfung. Die Phase I läuft, die Phase II ist gerade eingereicht. Wir haben die ersten Daten zur Verträglichkeit und erwarten die ersten Daten zur Wirksamkeit in Sachen Antikörperbildung und T-Zellen-Antworten jetzt noch im Dezember. Wir haben aus einem ähnlichen Entwicklungsprogramm, also einem Impfstoffentwicklungsprogramm gegen MERS-Coronavirus, schon im Frühjahr Daten zur Sicherheit und zur Immunogenität publiziert. Und bisher sieht das sehr ähnlich aus wie das, was wir auch für das Coronavirus-Konstrukt sehen.
"Das werden wir auch für die Zukunft nutzen können"
Pyritz: Es gibt ja einige Studien, die davor warnen, dass wir in Zukunft öfter Pandemien erleben könnten, weil wir immer stärker in die Natur eingreifen und dadurch eben auch Viren das Überspringen aus dem Tierreich auf den Menschen erleichtern. Könnte die Impfstoffentwicklung in Zukunft vielleicht sogar noch schneller als jetzt bei SARS-CoV-2 funktionieren, indem man da sozusagen prophylaktisch schon Konzepte oder Impfstrukturen gegen Erreger vorbereitet, die das Potenzial zur nächsten Pandemie haben?
Addo: Ja, das ist ja sicher etwas, das auch schon geschehen ist. Die Tatsache, dass diese Impfstoffentwicklung so schnell vorangeschritten ist, ist ja auch der Tatsache geschuldet, dass nach dem großen Ebola-Ausbruch genau solche prophylaktischen oder proaktiven Initiativen gestartet wurden. Und einige der Impfstoffentwickler, die jetzt ganz vorne dabei sind, waren halt genau in diesem Prozess, diese Impfstoffplattformen, also Technologien, die schnell adaptiert werden können, auf SARS-CoV-2 anzuwenden.
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Das werden wir auch für die Zukunft nutzen können. Und hier in der SARS-CoV-2-Impfstoffentwicklung kommt noch dazu, dass wir tatsächlich mehrere Produkte haben, die jetzt diese Phase III der klinischen Entwicklung auch erreicht haben, für die wir dann wissen werden im nächsten Jahr, schützen diese Impfstoffe oder schützen sie nicht. Wir müssen dann auch diese Daten sehr sorgsam aufarbeiten, Impfstoffe besser verstehen und diese Information dann nutzen, um die besten Impfstoffe oder die besten Impfstoffplattformen für die jeweiligen Populationen für die nächste Pandemie schon vorzubereiten. Ich glaube, das ist eine ganz große Chance, die diese doch sonst so schwierige Situation in der Welt jetzt uns wissenschaftlich bietet – uns auf die nächste Pandemie besser vorzubereiten.
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