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Religiöse Einflüsse im Werk von Andy Warhol
Der Papst der Pop Art

Andy Warhols Werke sind weltbekannt. Sie und er selbst gelten als Ikonen der Pop-Art. Doch hinter den bunten Oberflächen finden sich vielschichtige Religionsbezüge. Seine Religiosität hielt der Kirchgänger Warhol jedoch vor der Öffentlichkeit verborgen.

Von Sabine Oelze und Susanne Luerweg |
Das Bild zeigt eines von Warhols "Self Portraits", ein stlisiertes Selbstbildnis in blau, in der Sammlung Brandhorst in München
Urheber von Ikonen und zugleich selber Kultfigur: Ein Siebdruck aus der Reihe der "Self Portraits" zeigt Andy Warhol. (picture alliance / dpa | Sven Hoppe)
Erster April 1987. Mehr als zweitausend Trauergäste strömen in die St. Patricks Cathedral in New York. Darunter die schillernde Prominenz der Rock-, Pop-, Film- und Kunstwelt: Roy Lichtenstein, Calvin Klein, Paloma Picasso, Robert Mapplethorpe, Yoko Ono, Bianca Jagger. Sie kommen in die berühmte katholische Kirche in Manhattan, um Abschied zu nehmen. Kurz zuvor, am 22. Februar 1987, ist einer aus ihrer Mitte gestorben: Andy Warhol.
Der feierlich-religiöse Charakter der Zeremonie wird durch die Auswahl sakraler Musik verstärkt. Es ertönt Mozarts "Marsch der Priester" aus der Zauberflöte, gefolgt vom "Lobpreis der Unsterblichkeit Jesu" von Olivier Messiaen. Die Trauerrede hält der Kunsthistoriker und Kritiker John Richardson. Er lüftet Andy Warhols wohl bestgehütetes Geheimnis:
"Ich möchte eine Seite seines Charakters offenlegen, die er vor uns allen verborgen hielt. Nur die engsten Freunde wussten, dass er tief gläubig war. Diejenigen von Euch, die ihn in Zusammenhängen kannten, welche alles andere als fromm wirkten, könnte das überraschen. Aber diese gläubige Seite existierte und war der Schlüssel zur Seele des Künstlers."
Der Schlüssel zur Seele eines Künstlers, der wie kaum ein anderer vom schönen Schein der Warenwelt, vom Glamour der Stars und von der Sehnsucht nach Unsterblichkeit besessen war.
Das Fot zeigt einen lächelden Andy Warhol mit Rollei Kamrea in den Händen.
Andy Warhol 1976 in New York (picture alliance / AP Photo / PMairs / Richard Drew)
Andy Warhol galt damals unter Freunden und Kollegen - wenn überhaupt - eher als Atheist denn als gläubiger Christ. In der Öffentlichkeit hielt der blasse Künstler mit dem blonden Toupet jedenfalls immer seine Fassade aufrecht:
"Wer alles über mich wissen will, der muss nur die Oberfläche meiner Bilder, meiner Filme betrachten: Es gibt nichts dahinter." Sagte Andy Warhol über sich und seine Kunst.
Doch stimmt diese Selbstaussage? Dass der Künstler einige Facetten seiner schillernden Persönlichkeit lieber versteckte, erfahren die Kirchgänger beim Requiem: "500 obdachlose und hungrige New Yorker werden sich am Ostersonntag in der "Church of the Heavenly Rest", der "Kirche der himmlischen Ruhe", auf der Fifth Avenue an der 90. Straße versammeln. Ihnen wird ein köstliches Essen serviert und sie werden von etwa 80 Freiwilligen als Ehrengäste behandelt. Sie werden auch traurig sein über die Abwesenheit eines Menschen, der sie mit hingebungsvoller Regelmäßigkeit an Thanksgiving, Weihnachten und Ostern begrüßte. Andy schenkte Kaffee ein, servierte das Essen und half beim Aufräumen. Mehr als das, er war ein wahrer Freund für diese Freundlosen, er liebte diese namenlosen New Yorker und sie liebten ihn zurück."

Religiöse Einflüsse im Elternhaus Warhola

Andy Warhol wird am 6. August 1928 als Andrew Warhola in Pittsburgh geboren. Seine Familie stammt aus einem Dorf namens Miková am Fuße der Karpaten, das auf dem Gebiet der heutigen Slowakei liegt. Seine Eltern, Julia und Ondrej Warhola, haben wie viele Ostslawen ruthenische Wurzeln. Als sie in die USA emigrieren, lassen sie sich in der Stahlstadt Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania nieder - in der Nähe ihrer Kirche, um die sich auch in den USA ihr Leben rankt.
Die Warholas sind tiefgläubig. Ihren Sohn Andrew lassen sie griechisch-katholisch taufen, eine Glaubensrichtung, die anders als die griechisch-orthodoxen Gemeinden den Papst als Oberhaupt anerkennt, aber die Liturgie nach byzantinischem Ritus feiert - also sozusagen eine Mischform von katholischer und orthodoxer Kirche.
Auf den hölzernen Planken einer Gedenktafel steht die Aufschrift "Welcome to South Oakland - Childhood Home of Dan Marino & Andy Warhol" - im Hintergund sind Wohnhäuser und Teile der Straße zu sehen.
An der Dawson Street im Pittsburgher Statteil South Oakland erinnert eine Holztafel an den einstigen Wohnort der Familie Warhola. (picture alliance / AP Photo | Keith Srakocic)
"Warhols Vater war bereits 1912 nach Amerika ausgewandert. Seine Mutter folgte dann mit Unterstützung des dortigen Ortsgeistlichen 1921 und Pittsburgh, wo Warhol geboren wurde, und wo er auch seine Jugend verbrachte, war ein Zentrum der ruthenischen Diaspora." Sagt Stephan Diederich, Kurator am Museum Ludwig in Köln. Er hat sich im Rahmen einer großen Warhol-Retrospektive auch mit den religiösen Aspekten im Werk des Pop-Art-Künstlers beschäftigt: "Viele der religiösen Motive, sei es von Reproduktionen oder aus seinem Elternhaus oder von Altartafeln in den Kirchen sind halt ein wichtiger Bestandteil seines Bildgedächtnisses geblieben - bis zum Schluss."
Das Bild zeigt Warhols Grabstein, auf den neben einer Banane, mehrere Dosen Campbells Tomatensuppe gestellt wurden. Im Hintergrund ist das Grab bzw. der Grabstein seiner Eltern zu sehen.
Warhol wurde nahe Pittsburgh auf dem St. John the Baptist Byzantine Catholic Cemetry in unmittelbarer Nähe seiner Eltern begraben. (Imago / Zuma Wire)


Religiöse Rituale und künstlerische Serialität

Die "Ruthenische griechisch-katholische Kirche", die Andy Warhol in Pittsburgh besucht, heißt St. John Chrysostom Byzantine Catholic Church. Sie ist reich geschmückt: In der Mitte des Altarraums steht eine massive Ikonostase, behängt mit vergoldeten Bildern von Christus und Heiligen. Hier wird Andy Warhol sozialisiert, besucht mehrmals wöchentlich mit seiner Familie die Gottesdienste. Die immer wiederkehrenden Rituale werden später Einfluss auf seine Kunst nehmen. Die Produktion serieller Werke hat hier ihren Ursprung, sagen Kunsthistoriker wie Stephan Diederich:
"Wenn man sich schon diese endlosen Litaneien vorstellt, dieses ständige Wiederholen von Spruchformeln, aber eben dann auch von Bildformeln, und das dann vergleicht mit dieser Aneinanderreihung ein und desselben Motivs mit leichten Abwandlungen, oder auch ohne Abwandlungen, eben unterschiedlich gedruckt, in unterschiedlichen Schattierungen, dann sind es natürlich einfach solche Grundprinzipien, die er eigentlich sehr fein beobachtet, verinnerlicht hat und die er dann natürlich extrem geschickt für sich und sein eigenes Werk zu nutzen versteht."
Die Portraitaufnahme zeigt Stephan Diederich, der in die Kamera blickt.
Stephan Diederich, Kurator am Museum Ludwig in Köln. (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
Nicht nur dem Kölner Kurator Stephan Diederich fällt erst spät die Bedeutung von Warhols religiöser Erziehung für die Interpretation seines Werks auf. Erst nach seinem Tod im Jahr 1987 nehmen Kritiker diesen Einfluss ernst. Die kalifornische Kunsthistorikerin und Theologin Jane Daggett Dillenberger erforscht als Erste in ihrem Buch "The Religious Art of Andy Warhol" die religiösen Bezüge im Werk von Andy Warhol:
"Andy kam über die Religion zur Kunst. Es war vielleicht keine sehr gute Kunst, aber im Gegensatz zu Menschen, die religiöse Kunst nur im Museumskontext wahrnehmen, gehörten Kunst und Religion für Andy schon in jungen Jahren zusammen." (Jane Daggett Dillenberger)
Fast elf Meter Länge und über zwei Meter Höhe mißt das Werk des amerikanischen Künstlers Andy Warhol "The Last Supper", welches auf diesem Foto in einem Stand der Baseler Kunstmesse Art/30 zu sehen ist.
Fast elf Meter lang und über zwei Meter hoch - Warhols Werk "The Last Supper" (picture-alliance / dpa | Rolf Haid)
Dillenberger entdeckt zahlreiche christliche Motive, die sich wie ein roter Faden durch Warhols Arbeiten ziehen. Schon als Werbegrafiker Anfang der 1950er Jahre entwirft er Weihnachtskarten, auf denen Friedenstauben oder eine Krippe auf Goldgrund abgebildet sind.
Nach dem Studium verlässt Warhol seine Heimatstadt Pittsburgh und zieht nach New York, kauft dort ein Haus. Kurze Zeit später zieht auch seine tief religiöse Mutter zu ihm. Warhol dekoriert das Townhouse mit Heiligenbildern, Kruzifixen und anderen Devotionalien.

Außendarstellung und Selbstbild

"Warhols Schlafzimmer mit seinem stattlich überdachten Bett und herrlichen Teppichen strahlte unauffälligen Luxus aus. Auf dem Nachttisch stand ein geschnitztes Heiligenbild, ein Kruzifix und eine Statue des auferstandenen Christus. Auch ein Gebetbuch zeugte von Warhols Frömmigkeit. Das Buch trug den Titel: "Heiliges Manna", ein praktisches Handbuch der Verehrung für griechisch-katholische Gläubige, herausgegeben im Jahr 1854. Darin hat Andy Warhol einige der Gebete mit einem Stift markiert." Schreibt die Kunsthistorikerin und Theologin Jane Daggett Dillenberger.
Nur der engste Kreis kennt diese privaten Gemächer, und auch nur die engsten Freunde dürfen seine Mutter treffen. Diese praktiziert gemeinsam mit ihrem Sohn ihren Glauben und ignoriert hartnäckig seine Homosexualität. Andy Warhol lebt in einem Gewissenskonflikt: Kirche contra sexuelle Neigung, Kirche versus Glamour und Kunstmarkt.
Das Bild zeigt eines von Warhols "Self Portraits", ein stlisiertes Selbstbildnis in blau, in der Sammlung Brandhorst in München
Urheber von Ikonen und zugleich selber Kultfigur: Ein Siebdruck aus der Reihe der "Self Portraits" zeigt Andy Warhol. (picture alliance / dpa | Sven Hoppe)
Nach außen pflegt er weiterhin das Bild des dandyhaften Selbstdarstellers, der vor allem an Geld und Jetset interessiert ist und sich selbst im Zentrum sieht. Doch 1963, als Warhol mit seinem Studio in ein Industriegebäude umzieht, das später als "Factory" bekannt wird, tauchen weitere religiöse Motive in seinen Arbeiten auf. Auch in seinen Filmen, die er mit einer 16mm Bolex dreht.
Der Film "Imitation of Christ" inszeniert den damaligen Kinderstar Patrick Tilden Close als Jesusfigur. Es ist ein langatmiges Werk, handlungsarm, mit wenigen Schnitten, unterlegt mit der Erzählerstimme der Velvet Underground Sängerin Nico, die Passagen aus "De Imitatione Christi" zitiert. Die "Nachfolge Christi" des Thomas von Kempen aus dem 15. Jahrhundert stellte lange Zeit das nach der Bibel meistverbreitete Buch dar.

Sunset-Aufnahmen vom Vatikan gesponsert

Es sind aber Warhols "Sunset"-Aufnahmen, die den Höhepunkt seiner religiös geprägten Filmwerke darstellen. So schreibt es zumindest das Warhol Museum in Pittsburgh 2019 im Katalog zur Ausstellung "Revelation", also "Offenbarung". Die Sunset-Filme, entstanden zwischen 1967 und 1968, hatte das katholische Sammler-Ehepaar John und Dominique de Menil beauftragt.
Dieses Sonnenuntergangsprojekt wurde von der katholischen Kirche finanziell unterstützt. Im Frühsommer 1967 bat John de Menil Warhol, ein Werk zu schaffen, das in einem vom Vatikan gesponserten "ökumenischen Pavillon" - einer "Kirche, in der verschiedene Konfessionen in Gemeinschaft sein könnten" - auf der bevorstehenden Weltausstellung HemisFair '68 gezeigt werden sollte. Die Sonnenuntergänge seien weit mehr als eine schöne Naturerscheinung im Warhol-Kosmos. José Diaz, Direktor des Pittsburgher Warhol-Museums schreibt im Ausstellungs- Katalog "Revelation":
"Ich bin davon überzeugt, dass Warhol, der die Schöpfungsgeschichte aus seiner Kindheit kannte, das Buch Genesis im Kopf hatte, als er über das Sonnenuntergangsprojekt nachdachte. Ohne die Sonne gäbe es kein Leben auf der Erde, und ohne das Licht der Sonne hätte die Dunkelheit keine Bedeutung. "Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war ohne Gestalt, ohne Leere, und Dunkelheit lag über die Tiefe. Und der Geist Gottes glitt über das Antlitz des Wassers. Und Gott sagte: Lass es Licht werden, und es wurde Licht. Und Gott sah das Licht und sah, dass es gut war. Und Gott unterschied das Licht von der Dunkelheit. Warhols Kunst nutzt das Zusammenspiel von Licht und Schatten immer wieder."

Celebritys und Ikonenmalerei

Nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren auch seine ersten "Celebrity"- Portraits. Siebdrucke von Prominenten, die Anfang der 1960er Jahre entstehen. Oft reiht Warhol Bild an Bild, taucht Marilyn Monroe zigmal in Gold, Liz Taylor immer wieder in andere knallige Farben, lässt Elvis Presley immerzu die Pistole ziehen. Die Wiederholung verleiht den Bildern eine starke visuelle Kraft, die Portraitierten umgibt eine fast göttliche Aura. Jane Daggett Dillenberger interpretiert dies als Bezug zur Ikonenmalerei.
"Ähnlich wie die Ikonen der Jungfrau Maria, Maria Magdalena und der heiligen Veronika, die byzantinische katholische Kirchen und Häuser schmückten, beleben Warhols farbenfrohe Siebdruckbilder die Erinnerung an diese modernen weltlichen Heiligen und fixieren sie in einer immerwährenden Gegenwart. Ob er das verschleierte und traumatisierte Gesicht der First Lady oder den glamourösen Blick einer blonden Hollywood-Schönheit einfängt, diese Kompositionen zeigen, welche Bedeutung der Altar der weiblichen Berühmtheit für Warhol hat. In ähnlicher Weise werden die Porträts seiner Mutter zu einer privaten Domäne der Anbetung." (Jane Daggett Dillenberger)
Eine Besucherin im Museum of Modern Art in New York betrachtet Andy Warhols "Marilyn Monroe".
Angelehnt an die Stilisierung der Ikonenmalerei malt Warhol Stars der Popkultur wie Marilyn Monroe . (Lucas Vallecillos / VWPics, New York)
Sind Kirche und Kunstmarkt im 20. Jahrhundert meist zwei verschiedene Pole, so vereinen sie sich in Warhols Siebdrucken der "Celibrities", der Prominenten, auf fast magische Weise, unterstreicht Kurator Stephan Diederich:
"Also in vielen Fällen funktioniert dieser Vergleich Celebrity-Porträts, Ikonen auf jeden Fall. Wie die auf Goldgrund erscheinende Marilyn, die er eben kurz nach ihrem tragischen Tod in vielen Versionen gemalt hat. Solche Werke haben natürlich durchaus Züge verehrender Madonnen-Darstellungen."
Es scheint, als vereine Warhol in diesen Werken zwei Seelen in einer Brust: die Anbetung der irdischen Ikonen, die er selbst zu gerne auf ein Podest hebt, und die Verehrung der göttlichen Ikonen, die sein Leben von klein auf bestimmen. Kurator Stephan Diederich: "Und ja, wie so oft bei Warhol, kommen hier eigentlich verschiedene Stränge zusammen. Warhol, der schon als Kind Autogrammkarten von Stars gesammelt hat, also praktisch die ganz normale weltliche Verehrung sozusagen für Stars an den Tag gelegt hat. Und dann natürlich auch zeitgleich Warhol, der eben die religiöse Ikonen-Malerei verinnerlicht und bewundert hat."

Bezüge zur Malerei der Renaissance

Andy Warhol hat nicht nur die Tradition der Ikonenmalerei seiner Kirche verinnerlicht, sondern beschäftigt sich auch auffallend oft mit bildmächtigen Motiven der Renaissance-Künstler. Schon in den 1950er Jahren kopiert er "Die betenden Hände" von Albrecht Dürer, eine Vorstudie für ein Bildnis eines Apostels. Warhol stellt allerdings die Ärmel des Betenden in einem knalligen Rot dar und nicht in einem bräunlichen Ton wie es Dürer tat. Auch Paolo Ucellos Werk "Der heilige Georg und der Drache" interpretiert Warhol neu.
Die großen Renaissance-Meister waren so etwas wie die ersten Superstar-Künstler. Sie sind bis heute weltbekannt, betrieben Werkstätten, entwickelten Werke in Teamarbeit, übernahmen Auftragsarbeiten, beherrschten viele Techniken. Es entstanden Gemälde mit einer zeitlosen Bildsprache. Warhol übersetzt diese in die Ära der Pop Art.
Eine Besucherin der Kunstsammlungen Chemnitz betrachtet am 21.11.2014 in Chemnitz (Sachsen) die Arbeit "Skull" (1976) von Andy Warhol. Bis zum 22. Februar 2015 zeigt das Museum 61 Bilder aus der bedeutenden Werkgruppe "Death and Disaster".
Eine Variante des Schädelmotivs, "Skull" von 1976, aus der Werkreihe "Death and Disaster". (picture alliance / dpa | Hendrik Schmidt)
Vor allem in seinem Spätwerk tauchen seit den 1970er Jahren frontale Schädel-Porträts in Siebdrucktechnik auf. Warhol vervielfältigt sie in rot, grün, rosa, oder blau. Oder aber er fotografiert sich mit einem Schädel auf der Schulter.
"Schädel-Bilder haben eine lange Tradition in der Welt der kirchlichen Ikonographie. Jesus wurde auf dem Hügel Golgotha gekreuzigt. Der Platz, an dem der Schädel liegt, ist auf allen Kunstwerken, die die Kreuzigung zeigen, am Fuße des Kreuzes." (Jane Daggett Dillenberger)

Totentanz in "Death and Disaster"

1968 wird Andy Warhol Opfer eines Anschlags. Die glühende Feministin Valerie Solanas, einst Mitglied der Factory und gern gesehen in Warhols Entourage, taucht in der Factory auf und schießt mit einer Pistole auf den Künstler. Warhol kommt schwer verletzt ins Krankenhaus. Nach seiner Entlassung lässt er seinen verwundeten Körper von Richard Avedon fotografieren. Zu sehen ist sein Bauch, der von Narben geradezu gezeichnet ist.
Schemenhaft legen sich die schwarzen Abbildungen von Revolvern in diesem Bildausschnitt des Werkes "Gun" übereinander.
Auschnitt des Werkes "Gun" (1981-1982). (picture alliance / dpa | Beaux Arts Mons)
Stephan Diederich sagt dazu: "Er inszeniert sich sozusagen vor der Kamera relativ kurze Zeit nach dem Attentat mit stark vernarbtem Bauch, indem er seinen Pullover hochzieht und seine Wunden zeigt. Es ist dieser Gestus: Zeige deine Wunde, der ihm auch sicherlich aus vielen religiösen Abbildungen bekannt war. Die Wunden Jesu, der sich sozusagen als der Erlöser seinen Jüngern zu erkennen geben sollte, indem er ihnen die Wunde zeigt." Nach dem Attentat wird der Tod in seiner Kunst noch expliziter zum Thema. Doch auch die "Death and Disaster-Werke" aus der Zeit vor dem Attentat zeigen Unfälle, Hinrichtungen und Selbstmorde. Es sind moderne Memento Mori-Gemälde mit Wurzeln in der Kunstgeschichte.
Die "Death and Disaster"-Serie ist eine Art Totentanz des 20. Jahrhunderts. (Jane Daggett Dillenberger)

Andachtsbilder des Konsumzeitalters

Auch das Motiv des Kreuzes ist bereits seit den 1960er Jahren in Warhols Werken zu finden. Rote, gelbe, grüne Kreuze heben sich geradezu dreidimensional von einem schwarzen Grund ab - "besonders in diesen Versionen, wo das Kreuz eben in dieser grellen Farbigkeit rot oder gelb vor dem schwarzen Hintergrund steht," findet Kurator Stephan Diederich, "er scheut sich natürlich auch nicht - und das ist das Interessante, praktisch vordergründig plakativ zu sein, um dann dahinter eben die schweren Geschütze aufzufahren."
Ein Besucher des Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, betrachtet in einem Ausstellungsraum die Bilder "Crosses" von Andy Warhol.
In Werk Warhols finden sich zahlreiche religiöse Motive - etwa in der Werkreihe "Crosses" - hier gezeigt im Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln . (picture-alliance/ dpa | Federico Gambarini)
Die schweren Geschütze – das sind im Falle Warhols kirchliche Symbolik und Ikonographie. Warhol, der sein ganzes Leben lang sonntags in die Kirche geht, fährt im April 1980 nach Rom, um dem Papst die Hand zu schütteln. Im gleichen Jahr malt er seine Last-Supper-Serie, die sich auf Leonardo da Vincis Werk "Das letzte Abendmahl" bezieht. Ein Auftrag des Galeristen Alexander Iolas.
Da Vinci hatte das über vier mal neun Meter große Wandgemälde Ende des 15. Jahrhunderts in einem Dominikanerkloster in Mailand geschaffen. Jesus sitzt an einer langen Tafel umgeben von seinen Aposteln, darunter auch Judas. In Warhols "The Last Supper" tauchen an den Rändern Logos damals geläufiger Produkte auf. Das können Kartoffelchips, ein Motorrad, ein Kamel oder auch die Taube eines Seifenherstellers sein.
Eine Besucherin schreitet entlang des Bildes "The Last Supper (Camel/57)" in einem Ausstellungsraum der Frankfurter Schirn, welches das Motiv des Abendmahls in Kombination mit Bezügen der Konsumgesellschaft verbindet.
Das Motiv des Abendmahls und Ikonen der Konsumgesellschaft - vereint im Werk "The Last Supper (Camel/57)", hier in der "Schirn Kunsthalle Frankfurt" zu sehen. (picture alliance / dpa | Nicolas Armer)
Stephan Diederich sagt dazu: "Es ist natürlich der Heilige Geist sozusagen als Stellvertreter Gottes, also als der Stellvertreter, den Gott zu den Menschen geschickt hat, wird hier durch eine Taube ersetzt, die allseits bekannt ist als wirklich überall präsentes Firmenlogo und dann in ähnlich plakativer, aber auch funktionierender Weise ihren Sinn erfüllt."
Warhols Leben ist geprägt von seinem Glauben. Ihn faszinieren die Macht der Kirche und ihre Symbolik. Damit spielt er in seiner Kunst. Und auch wenn vieles poppig bunt daherkommt, Andy Warhol nutzt die Bildsprache der Religion und schafft eigene Bilder – Andachtsbilder für das Konsumzeitalter.