In einem Festzelt am Rande von Süd - Delhis Nobelviertel Vasant Vihar findet eine Massenhochzeit statt. Eine vor Ort ansässige Hilfsorganisation hat dafür gesorgt, dass heute fünfundzwanzig Paare den Bund der Ehe schließen werden. Das senkt die Kosten: Für die Hochzeitsband, für den Fotografen, für das Buffet und für den Priester, der gerade das hinduistische Hochzeitsritual durchführt und die Götter um Wohlwollen bittet.
Die 50 Eheleute, ihre Verwandten, die Bettler, die sich in der Hoffnung auf Almosen vorm Zelteingang postiert haben - so viele arme Menschen wie an diesem Tag sind in Vasant Vihar nur selten zu sehen. Der Stadtbezirk im Süden von New Delhi ist eines der weltweit teuersten Wohngebiete. Hier leben Anwälte, Politiker, reiche Geschäftsleute, Universitätsprofessoren, Spitzensportler und Immobilienmagnaten.
Die Straßen Vasant Vihars sind von hochgewachsenen Bäumen gesäumt. Allenthalben gibt es kleine, von Gärtnerhand gepflegte Parks. Hausangestellte sitzen auf den Bänken und halten einen kurzen Schwatz, bevor sie wieder aufbrechen, um das Frühstück für ihre Arbeitgeber zuzubereiten, den Hund des Hauses auszuführen, die Betten zu richten oder die Böden zu wischen.
Der Student Anil Kondody arbeitet in seiner Freizeit in Vasant Vihar als Hausmeister:
"Wie teuer es hier ist. Wer in Vasant Vihar ein Haus kaufen will, muss wirklich Unsummen dafür hinlegen. Das Gebäude, das meinen Chefs gehört, ist inzwischen 96 Millionen Rupien wert."
Das sind umgerechnet etwa 1,4 Millionen Euro. Nicht viel im Vergleich zu einigen anderen Anwesen in Vasant Vihar, die über einen Pool, ganzseitige Balkone, mehrere Terrassen sowie einen Gebäudetrakt fürs Personal verfügen und das Zehnfache kosten können.
Die Kontraste in Indien sind enorm. Das hohe Wirtschaftswachstum ist nicht bei denen angekommen, die es bitter nötig hätten. Indiens Arme sind in der Summe arm geblieben.
Aus einer Nation mit einer kleinen Elite, der eine große verarmte Masse gegenüberstand, sei ein Wirtschaftswunderland mit einer beständig wachsenden Mittelschicht geworden, so der Hotelier und Geschäftsmann Anil Kumar Kapoor:
"Unser Wohlstandsboom hängt unter anderem mit den exorbitanten Immobilienpreisen zusammen. In Delhi oder Mumbai etwa handelt es sich dabei um Summen, die nicht einmal in den USA oder in Europa ihresgleichen finden. Wer in Indien die richtige Immobilie am rechten Platz hat, gilt als gemachter Mann. Das geht soweit, dass der Wert einiger dieser Liegenschaften mit der Zeit um das Zehntausendfache angestiegen ist."
Anil Kumar Kapoor fährt einen neuen Mercedes. Er besitzt ein Hotel im feinen Stadtteil Green Park und ein vierstöckiges Anwesen in Vasant Vihar.
"Die wirtschaftliche und die soziale Bandbreite sind hierzulande groß. Es gibt verschiedene Gründe, warum für die Armen kaum etwas abfällt. Korruption zum Beispiel und Veruntreuung von Geldern, die eigentlich zweckgebunden sind. Oder es mangelt an der Umsetzung: Nach immer neuen Ausflüchten werden die am Computer entworfenen Projekte für die armen Leute am Ende dann nicht in die Tat umgesetzt."
Was das angeht, kann das immer wieder als größte Demokratie der Welt bezeichnete Indien mit dem kommunistischen China nicht mithalten. Chinas Regierung gibt zum Beispiel prozentual doppelt so viel für die Krankenversicherung ihrer Bürger aus als ihr indisches Pendant. Selbst das wirtschaftlich weit schlechter gestellte Bangladesch ist seinem Nachbarn Indien in puncto Armutsbilanz um einiges voraus.
Was Kindersterblichkeit, Gesundheitsversorgung, Lebenserwartung und Schulbildung betrifft, belegt Indien im internationalen Vergleich bis heute einen der letzten Plätze.
"Vor zwei Jahren war ich in einem kleinen Ort zu Besuch. Ich möchte den Namen lieber nicht sagen. Er tut auch nichts zur Sache. Zwei Lehrer zeigten mir die neuen Computer, die ein Gönner der Schule geschenkt hatte. "Computer - und mit Flachbildschirmen - toll.", sagte ich. "Das Problem ist nur, dass es hier im Dorf keinen Strom gibt", entgegneten mir die Lehrer. Das sind Dinge, die in meinen Augen beispielhaft sind für die Misswirtschaft, die hierzulande an der Tagesordnung ist."
Nachdem eine von der Regierung eingesetzte Planungskommission die Armutsgrenze an zu niedrig angesetzten Lebenshaltungskosten festmachte, verschwanden mit einem Schlag fünfzig Millionen Arme aus der Statistik - Menschen, die seitdem keine Lebensmittelhilfe mehr vom Staat erhalten, weil sie dieser Hilfe angeblich nicht mehr bedürfen.
Dabei steigen allein die Lebensmittelpreise in Indien seit vielen Jahren kontinuierlich um zehn bis zwanzig Prozent. Diese Verteuerung schlägt sich natürlich auch in den Restaurants nieder, die gutbetuchte Familien wie die Kapoors in ihrer Freizeit aufsuchen.
"Es ist unglaublich, wie teuer zum Beispiel unsere Pizzerien geworden sind. Ein Ehepaar mit zwei Kindern bezahlt hier das Äquivalent dessen, was einer der Wächter unseres Hauses im ganzen Monat verdient. Soviel zu den Unterschieden hinsichtlich des Einkommens."
Dass sich in Indien so wenig ändert, wird auch immer wieder mit dem Kastensystem in Zusammenhang gebracht, einem komplexen Regelwerk, das unter anderem auf der rituellen Reinheit der Einzelnen basiert. Daraus ergeben sich religiöse und soziale Privilegien, aber auch entsprechende iskriminierungen.
Zwar hat der Staat durch eine Quotenregelung für die Universitäten Zugang für Angehörige benachteiligter Gruppen geschaffen, doch an ihrer Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft hat das nicht viel geändert. Da viele Inder davon ausgehen, dass die Mitglieder der unteren Kasten ihren Abschluss vor allem wegen dieses Quotenbonus erworben haben, suchen sie lieber einen anderen Anwalt, Arzt oder Architekten auf.
Viele Regionalparteien machen sich die Kastenunterschiede zunutze. Sie schneiden ihre Reden und Programme gezielt auf Angehörige der sogenannten "low castes" zu und würden, wenn sich das gewohnte Kastengefüge wesentlich veränderte, ihre Basis verlieren. Ein grundlegender Wandel ist aber kaum zu erwarten, da auch die Mitglieder der höheren Kasten daran kein Interesse haben und nicht zuletzt, weil das System eine nicht immer schöne, aber doch verlässliche Sicherheit birgt: Jeder kennt seinen Platz.
Die meisten Reichen kommen aus einer entsprechenden Kaste. Und sie sind, sagt Anil Kumar Kapoor, einen gewissen Lebensstil gewöhnt.
"Bei einem gut verdienenden Geschäftsmann etwa findet man auch die passenden Rahmenbedingungen. Das heißt, der Betreffende hat Angestellte, die sein Haus putzen und die für ihn kochen. Er hat Guards, die das Gebäude rund um die Uhr bewachen. Wieder andere spülen sein Geschirr oder bereiten das Frühstück zu. Und natürlich hat er auch Personal, das seinen Wagen wäscht und seinen Garten pflegt."
Nicht alle nehmen diesen unverhüllten Wohlstand tatenlos hin. Immer wieder ist es in der Vergangenheit zu Überfällen gekommen und mehrfach wurden reiche alte Leute ermordet in ihren Häusern aufgefunden.
Um die Bewohner so gut wie irgend möglich abzusichern, sagt der Student und Aushilfsangestellte Anil Kondody, seien in noblen Wohnbezirken wie Vasant Vihar rund um die Uhr Alarmanlagen, Guards und Polizei-Patrouillen im Einsatz.
"Die Sicherheitsleute, die Guards, sind in dieser Hinsicht unerlässlich. Und natürlich die Polizisten, die regelmäßig durch das Viertel fahren, um nach dem Rechten zu schauen. Bei der Gelegenheit fragen sie alle, an erster Stelle stets die Guards, ob irgendjemandem etwas aufgefallen sei."
Doch trotz aller Vorsichtsmaßnahmen: Der wunde Punkt bleibt das Personal. Den Reichen fällt es immer schwerer, loyale Dienstboten zu bekommen - Angestellte, die nicht stehlen, die ihr Insiderwissen nicht an professionelle Diebe weiter geben oder die bei nächster Gelegenheit nicht auf Nimmerwiedersehen in ihr Heimatdorf verschwinden.
"Zu viele Leute sind innerhalb kurzer Zeit einfach viel zu reich geworden. Um ihr Geld einigermaßen zu schützen, bleibt ihnen einfach nichts anderes übrig, als sich mit all den Guards und mit den Polizisten zu umgeben."
Die 50 Eheleute, ihre Verwandten, die Bettler, die sich in der Hoffnung auf Almosen vorm Zelteingang postiert haben - so viele arme Menschen wie an diesem Tag sind in Vasant Vihar nur selten zu sehen. Der Stadtbezirk im Süden von New Delhi ist eines der weltweit teuersten Wohngebiete. Hier leben Anwälte, Politiker, reiche Geschäftsleute, Universitätsprofessoren, Spitzensportler und Immobilienmagnaten.
Die Straßen Vasant Vihars sind von hochgewachsenen Bäumen gesäumt. Allenthalben gibt es kleine, von Gärtnerhand gepflegte Parks. Hausangestellte sitzen auf den Bänken und halten einen kurzen Schwatz, bevor sie wieder aufbrechen, um das Frühstück für ihre Arbeitgeber zuzubereiten, den Hund des Hauses auszuführen, die Betten zu richten oder die Böden zu wischen.
Der Student Anil Kondody arbeitet in seiner Freizeit in Vasant Vihar als Hausmeister:
"Wie teuer es hier ist. Wer in Vasant Vihar ein Haus kaufen will, muss wirklich Unsummen dafür hinlegen. Das Gebäude, das meinen Chefs gehört, ist inzwischen 96 Millionen Rupien wert."
Das sind umgerechnet etwa 1,4 Millionen Euro. Nicht viel im Vergleich zu einigen anderen Anwesen in Vasant Vihar, die über einen Pool, ganzseitige Balkone, mehrere Terrassen sowie einen Gebäudetrakt fürs Personal verfügen und das Zehnfache kosten können.
Die Kontraste in Indien sind enorm. Das hohe Wirtschaftswachstum ist nicht bei denen angekommen, die es bitter nötig hätten. Indiens Arme sind in der Summe arm geblieben.
Aus einer Nation mit einer kleinen Elite, der eine große verarmte Masse gegenüberstand, sei ein Wirtschaftswunderland mit einer beständig wachsenden Mittelschicht geworden, so der Hotelier und Geschäftsmann Anil Kumar Kapoor:
"Unser Wohlstandsboom hängt unter anderem mit den exorbitanten Immobilienpreisen zusammen. In Delhi oder Mumbai etwa handelt es sich dabei um Summen, die nicht einmal in den USA oder in Europa ihresgleichen finden. Wer in Indien die richtige Immobilie am rechten Platz hat, gilt als gemachter Mann. Das geht soweit, dass der Wert einiger dieser Liegenschaften mit der Zeit um das Zehntausendfache angestiegen ist."
Anil Kumar Kapoor fährt einen neuen Mercedes. Er besitzt ein Hotel im feinen Stadtteil Green Park und ein vierstöckiges Anwesen in Vasant Vihar.
"Die wirtschaftliche und die soziale Bandbreite sind hierzulande groß. Es gibt verschiedene Gründe, warum für die Armen kaum etwas abfällt. Korruption zum Beispiel und Veruntreuung von Geldern, die eigentlich zweckgebunden sind. Oder es mangelt an der Umsetzung: Nach immer neuen Ausflüchten werden die am Computer entworfenen Projekte für die armen Leute am Ende dann nicht in die Tat umgesetzt."
Was das angeht, kann das immer wieder als größte Demokratie der Welt bezeichnete Indien mit dem kommunistischen China nicht mithalten. Chinas Regierung gibt zum Beispiel prozentual doppelt so viel für die Krankenversicherung ihrer Bürger aus als ihr indisches Pendant. Selbst das wirtschaftlich weit schlechter gestellte Bangladesch ist seinem Nachbarn Indien in puncto Armutsbilanz um einiges voraus.
Was Kindersterblichkeit, Gesundheitsversorgung, Lebenserwartung und Schulbildung betrifft, belegt Indien im internationalen Vergleich bis heute einen der letzten Plätze.
"Vor zwei Jahren war ich in einem kleinen Ort zu Besuch. Ich möchte den Namen lieber nicht sagen. Er tut auch nichts zur Sache. Zwei Lehrer zeigten mir die neuen Computer, die ein Gönner der Schule geschenkt hatte. "Computer - und mit Flachbildschirmen - toll.", sagte ich. "Das Problem ist nur, dass es hier im Dorf keinen Strom gibt", entgegneten mir die Lehrer. Das sind Dinge, die in meinen Augen beispielhaft sind für die Misswirtschaft, die hierzulande an der Tagesordnung ist."
Nachdem eine von der Regierung eingesetzte Planungskommission die Armutsgrenze an zu niedrig angesetzten Lebenshaltungskosten festmachte, verschwanden mit einem Schlag fünfzig Millionen Arme aus der Statistik - Menschen, die seitdem keine Lebensmittelhilfe mehr vom Staat erhalten, weil sie dieser Hilfe angeblich nicht mehr bedürfen.
Dabei steigen allein die Lebensmittelpreise in Indien seit vielen Jahren kontinuierlich um zehn bis zwanzig Prozent. Diese Verteuerung schlägt sich natürlich auch in den Restaurants nieder, die gutbetuchte Familien wie die Kapoors in ihrer Freizeit aufsuchen.
"Es ist unglaublich, wie teuer zum Beispiel unsere Pizzerien geworden sind. Ein Ehepaar mit zwei Kindern bezahlt hier das Äquivalent dessen, was einer der Wächter unseres Hauses im ganzen Monat verdient. Soviel zu den Unterschieden hinsichtlich des Einkommens."
Dass sich in Indien so wenig ändert, wird auch immer wieder mit dem Kastensystem in Zusammenhang gebracht, einem komplexen Regelwerk, das unter anderem auf der rituellen Reinheit der Einzelnen basiert. Daraus ergeben sich religiöse und soziale Privilegien, aber auch entsprechende iskriminierungen.
Zwar hat der Staat durch eine Quotenregelung für die Universitäten Zugang für Angehörige benachteiligter Gruppen geschaffen, doch an ihrer Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft hat das nicht viel geändert. Da viele Inder davon ausgehen, dass die Mitglieder der unteren Kasten ihren Abschluss vor allem wegen dieses Quotenbonus erworben haben, suchen sie lieber einen anderen Anwalt, Arzt oder Architekten auf.
Viele Regionalparteien machen sich die Kastenunterschiede zunutze. Sie schneiden ihre Reden und Programme gezielt auf Angehörige der sogenannten "low castes" zu und würden, wenn sich das gewohnte Kastengefüge wesentlich veränderte, ihre Basis verlieren. Ein grundlegender Wandel ist aber kaum zu erwarten, da auch die Mitglieder der höheren Kasten daran kein Interesse haben und nicht zuletzt, weil das System eine nicht immer schöne, aber doch verlässliche Sicherheit birgt: Jeder kennt seinen Platz.
Die meisten Reichen kommen aus einer entsprechenden Kaste. Und sie sind, sagt Anil Kumar Kapoor, einen gewissen Lebensstil gewöhnt.
"Bei einem gut verdienenden Geschäftsmann etwa findet man auch die passenden Rahmenbedingungen. Das heißt, der Betreffende hat Angestellte, die sein Haus putzen und die für ihn kochen. Er hat Guards, die das Gebäude rund um die Uhr bewachen. Wieder andere spülen sein Geschirr oder bereiten das Frühstück zu. Und natürlich hat er auch Personal, das seinen Wagen wäscht und seinen Garten pflegt."
Nicht alle nehmen diesen unverhüllten Wohlstand tatenlos hin. Immer wieder ist es in der Vergangenheit zu Überfällen gekommen und mehrfach wurden reiche alte Leute ermordet in ihren Häusern aufgefunden.
Um die Bewohner so gut wie irgend möglich abzusichern, sagt der Student und Aushilfsangestellte Anil Kondody, seien in noblen Wohnbezirken wie Vasant Vihar rund um die Uhr Alarmanlagen, Guards und Polizei-Patrouillen im Einsatz.
"Die Sicherheitsleute, die Guards, sind in dieser Hinsicht unerlässlich. Und natürlich die Polizisten, die regelmäßig durch das Viertel fahren, um nach dem Rechten zu schauen. Bei der Gelegenheit fragen sie alle, an erster Stelle stets die Guards, ob irgendjemandem etwas aufgefallen sei."
Doch trotz aller Vorsichtsmaßnahmen: Der wunde Punkt bleibt das Personal. Den Reichen fällt es immer schwerer, loyale Dienstboten zu bekommen - Angestellte, die nicht stehlen, die ihr Insiderwissen nicht an professionelle Diebe weiter geben oder die bei nächster Gelegenheit nicht auf Nimmerwiedersehen in ihr Heimatdorf verschwinden.
"Zu viele Leute sind innerhalb kurzer Zeit einfach viel zu reich geworden. Um ihr Geld einigermaßen zu schützen, bleibt ihnen einfach nichts anderes übrig, als sich mit all den Guards und mit den Polizisten zu umgeben."