In Deutschland gibt es hunderte verschiedene Religionsgemeinschaften: von Altkatholiken bis Zoroastrier. Im Interview mit dem Religionswissenschaftler Michael Schmiedel von der Universität Bielefeld sortieren wir diesen religiösen Pluralismus. Und wir fragen, wie die Vielfalt der Religionen sich historisch zu dem entwickelt hat, was wir heute kennen.
Christian Röther: Herr Schmiedel, wie viele Religionen gibt es in Deutschland?
Michael A. Schmiedel: Ja, wie viele? Wie viele Einwohner haben wir, etwas über 80 Millionen? Man könnte fast sagen, so viele Religionen gibt es auch, wenn man jede individuelle Interpretation von Religion dazurechnet. Aber auf Gemeinschaften umgerechnet lässt sich das gar nicht so sagen. Weil die kleinste Religionsgemeinschaft, die auf der Homepage von Remid, dem Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienst, verzeichnet ist, hat nur sieben Mitglieder. Und wenn man solche kleinen mit dazurechnet, dann kommen wir schon auf mehrere Hundert Religionen, die man - je nachdem, wie man sie voneinander trennen will - als eigenständige Religionen bezeichnen kann.
Reihe "Wir sind die Sonstigen – kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
Dazu zählen natürlich nicht nur die traditionellen Religionen, sondern auch viel jüngere Religionen. Also, das heißt, es entstehen eigentlich auch immer wieder neue Religionen. Man könnte sagen, die religiöse Kreativität der Menschen, die bewirkt einfach, dass, wenn Menschen Ideen haben, Vorstellungen, mit denen sie sich nicht beheimaten können in einer vorgegebenen Religion, dass sie dann einfach etwas Neues erfinden.
Die Anfänge: Kelten, Germanen und Slawen
Röther: Dann versuchen wir doch mal, das Ganze ein bisschen zu sortieren. Und ich würde vorschlagen, wir versuchen chronologisch vorzugehen. Da ist natürlich nur die Frage: Wo sollen wir jetzt anfangen? Kann man das sagen, welches die erste Religion war, die es gab hier auf dem Gebiet, was heute Deutschland ist?
Schmiedel: Die erste Religion - also, die lässt sich nicht mehr herausfinden. Also, die ersten archäologischen Funde aus der Jungsteinzeit und so weiter - da gibt es sicher auch Religion. Aber wir können nicht sagen, welche Art von Religion das gewesen ist. Und die ersten Religionen, die historisch irgendwie fassbar wären, wären wohl die der Kelten. Und dann kamen kurz darauf dann auch schon die Römer. Beziehungsweise: Von den Kelten wissen wir durch die Römer. Deswegen kommt das für uns beinahe zeitgleich vor, obwohl die Kelten schon viel früher da waren. Und von denen sind immerhin Gräber mit Grabbeigaben überliefert. Aber Inhalte haben die auch nicht hinterlassen uns in schriftlicher Form, weil die keltischen Druiden alles mündlich nur weitergegeben haben.
Ja, und dann kamen auch schon um die christliche Zeitenwende in Norddeutschland die Germanen dazu, die dann allmählich weiter nach Süden wanderten und im Osten auch die Slawen. Berlin ist ja zum Beispiel eine slawische Siedlung ursprünglich mal gewesen.
Man könnte also sagen: Ethnische Religionen der verschiedenen Völker, die auf dem Gebiet des heutigen Deutschland ansässig waren, einiges bevor die ersten Christen und Juden nach Deutschland kam.
Römisches Reich: jüdische Händler, christliche Mission
Röther: Das heißt, es gibt da nicht eine erste Religion, sondern die waren in sich ja wahrscheinlich auch schon ähnlich plural wie sich das eben heute darstellt, also die Kelten, Germanen, Slawen oder wer auch immer. Jetzt haben Sie schon öfter das Stichwort "Römer" gesagt. Mit den Römern kam das Christentum hier in die heutigen deutschen Gebiete. Die erste Basilika, als die gilt diejenige in Trier. Die ist in den Jahren 310 bis 320 entstanden, also vor ungefähr 1700 Jahren. Und auch die erste urkundliche Erwähnung einer jüdischen Gemeinde war im Jahr 321, nämlich in Köln. Das Römische Reich war also ziemlich wichtig für die Entwicklung der Religionen, des religiösen Pluralismus hier im heutigen Deutschland. Kann man das so sagen?
Schmiedel: Ja, auf jeden Fall. Ich meine, damals brachten sie ja noch mehr Religionen mit. Die Legionäre, die waren ja zusammengesetzt aus allen Teilen des Römischen Reiches und brachten den Mithras-Kult aus Persien mit, den Isis-Kult aus Ägypten und so weiter. Die später alle ausgestorben sind wieder hier in Deutschland.
Aber jüdische Händler kamen im Zuge der Legionäre herein. Christliche Missionare dann. Wir denken heute zuerst immer – wie Sie sagen - von der Basilika als römisch-katholische Kirche. Und bei "römisch-katholisch" denkt man natürlich auch direkt an Rom. Aber die ersten Christen, die sich unter den germanischen Völkern am meisten verbreitet haben, waren Arianer gewesen, mit einer ganz anderen Art von Theologie.
Also fast alle germanischen Stämme wurden von Südosten her erstmal arianisch missioniert. Bischof Wulfila hat die erste Bibelübersetzung - nicht ins Deutsche, sondern ins Ostgotische, also eine germanische Sprache - angefertigt. Und wären die Franken nicht aus politischen Gründen römisch-katholisch geworden, dann hätte es sein können, dass die Germanen arianisch geblieben wären. Und das hätte aber die ganze Geschichte verändert.
Reformation: "Immense christliche Vielfalt"
Röther: Das heißt, wir haben einen innerchristlichen Pluralismus dann auch schon deutlich vor der Reformation, auf die ich jetzt als Nächstes zu sprechen kommen wollte - wohl wissend, dass da jetzt tausend Jahre dazwischenliegen. Aber ich meine, die Reformation ist natürlich ein ganz wichtiges Ereignis für die religiöse Entwicklung, auch für den religiösen Pluralismus eben hier in Deutschland.
Schmiedel: Auf jeden Fall. Erst einmal: Die Reformation hat nie solchen Zentralismus wie der römische Katholizismus hervorgebracht. Auch noch nicht mal so einen auf Ethnien oder auf Staaten konzentrierten Pluralismus wie die orthodoxe Kirche, sondern einen viel größeren.
Erst mal die drei großen Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin. Also man sieht, dass es eine immense Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten dieses einen Christentums gab und bis heute gibt. Wir haben heute noch die Unterteilung in Landeskirchen auf der einen Seite, die ihre Wurzeln haben darin, dass die Fürsten der einzelnen deutschen Länder die Religion ihrer Untertanen bestimmt haben. Und auf der anderen Seite die Freikirchen, die mit dem Staat tunlich wenig zu tun haben wollen.
Man könnte auch sagen, dass im Laufe der Modernisierung Europas der Individualismus zugenommen hat. Und sobald dann auch noch die Möglichkeit gegeben war, innerhalb eines Staates frei die eigene Religion zu wählen - das musste ja auch erst mal erlaubt sein, das war ja auch nicht von Anfang an so. Also vor allem dann nach dem Westfälischen Frieden gab es die Möglichkeit, eben auch protestantisch in einem katholischen Land zu sein - und umgekehrt. Dass da die Pluralität noch einmal mehr zunahm, weil es nicht mehr an den Landesgrenzen aufhörte.
Aufklärung und Kolonialismus: Neugier auf östliche Religionen
Röther: Da kommen wir jetzt schon so langsam in die Zeit der Aufklärung, die sich dann anschließt. Das ist die Zeit, in der auch das echte Interesse für den Islam zum Beispiel oder andere Religionen, die damals noch weiter im Osten verortet wurden - also Buddhismus, Hinduismus - kam das auf zur Zeit der Aufklärung?
Schmiedel: Ja, die Aufklärung hat ja zwei Richtungen: eine christliche und einer kirchenkritische. Und vor allem die kirchenkritische schaute auch gerne mal nach Alternativen.
Gleichzeitig war das ja auch die Zeit der Kolonisation. Nun war Deutschland keine Kolonialmacht zu dieser Zeit gewesen. Das kam erst ein bisschen später. Aber trotzdem kam ja auch über die anderen Kolonialmächte und deren Kolonien sehr viel an Ideen herein. Und einige Leute wurden eben neugierig darauf und haben das dann auch nicht nur dazu verwandt, ihr Wissen über andere Völker und Länder und damit auch Religionen zu erhöhen, sondern auch darüber nachzudenken, ob man denn von diesen Religionen etwas für sich selber lernen könne. Oder ob die Wahrheitsfrage denn jetzt so ganz eindeutig klar zu klären sei, wie das traditionell behauptet wurde.
Da fällt einem natürlich sofort "Nathan der Weise" von Lessing ein, die Ringparabel, die darauf ausgeht, dass die drei monotheistischen abrahamischen Religionen Judentum, Christen und Islam wahrscheinlich gleich wahr seien. Das war schon sehr – ein nicht ganz neuer Gedanke, es gab schon Denker, die auch so in die Richtung dachten. Aber in der Breitenwirkung ist das doch schon etwas ganz Unerhörtes bisher gewesen.
Kaiserreich und Weimar: "Dem Eigenen mehr Futter geben"
Röther: Dann würde ich gern mal springen an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Denn ich habe mal nachgeschaut, wann es die ersten festen Gemeinden bestimmter Religionen hier gab. Als erste buddhistische Gemeinde gilt diejenige in Leipzig, seit 1903. Das Bahaitum hatte seine erste Gemeinde 1907. Die erste Moschee, die auch bis heute steht in Berlin, ist von 1924. Diese Liste ließe sich vermutlich noch fortsetzen, auch wenn man so in Richtung Okkultismus schaut oder Theosophie, Anthroposophie. Also diese Zeit, Kaiserreich und dann Weimarer Republik, die war religiös auch ziemlich aktiv, die Menschen damals.
Schmiedel: Ja, das war eine sehr neue Zeit. Wir haben im Kaiserreich schon die industrielle Revolution, schon fast hundert Jahre alt. Aber die industrielle Revolution hat ja schon einmal eine riesen Umwälzung der Lebensumstände mit sich gebracht. Traditionelle Dorfstrukturen wurden ziemlich verkleinert, weil viele Leute in die Städte abgewandert sind. Dort haben sich dann Arbeiterviertel gebildet, und mit dem Wohlstand auf der einen Seite kam aber auch auf eine Unzufriedenheit auf der anderen Seite; eine Massenverelendung von Arbeitern, eine Heimat und Wurzellosigkeit. Und das bringt natürlich dann auch den Drang mit sich, neue Ideen zu entwickeln, um alternativ zu den bisher dargebrachten Möglichkeiten Freiheit und Heil zu erlangen - also religiöse Begriffe.
Es ging ja nicht nur um das Soziale und Wirtschaftliche, sondern auch um die religiösen, spirituellen, auch philosophischen Bedürfnisse von Menschen. Und da waren es ja auch nicht nur die Religionen im engeren Sinne, sondern um 1900 herum waren Bewegungen im Laufe, die wir heute seit den 70er-, 80er-Jahren wieder mehr dem New Age vielleicht zuordnen würden. Das gab es damals alles auch schon: Reformbewegungen, neue Lebenskonzepte wurden versucht, Vegetarismus zum Beispiel, Yoga und so weiter.
All das kam auf, und gerade auch in diesen esoterischen Zirkeln hat man sich auch der meistens indischen, chinesischen und so weiter, asiatischen Religionen bedient, um dem Eigenen noch ein bisschen mehr Futter zu geben.
1960er-Jahre: "Sinnangebote explodieren geradezu"
Röther: Das heißt, das, wo wir jetzt heute spontan wahrscheinlich viele denken würden, das gehört in die 60er-, 70er-Jahre, ist eigentlich schon 60, 70 oder vielleicht auch nur 50 Jahre älter, sagen Sie gerade. Aber diese Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg - also die Nazizeit und der Weltkrieg, der Zweite Weltkrieg, sind da natürlich noch einmal ein herber Einschnitt für den religiösen Pluralismus. Viele Gemeinden konnten dann eben einfach nicht mehr weiterbestehen, oder viele Ideen wurden verboten.
Aber mit dem Entstehen der Bundesrepublik und auch der DDR geht es dann eben wieder los. Zum einen gibt es dann Migrationsbewegungen, die sogenannten Gastarbeiter, die eben auch ihre Religion mitbringen. Aber dann gibt es auch so was wie die Globalisierung religiöser Ideen, kann man sagen – auch wenn Sie sagen, die setzt eigentlich schon vorher ein. Aber dann haben wir noch mal ein ganz neues Momentum oder eine neue Dimension darin, oder?
Schmiedel: Ja, das ist ein ganz neuer Schub, auf jeden Fall. Wir haben jetzt zwei Weltkriege hinter uns. Also all das, was ich eben gesagt habe, was im Kaiserreich, in der Weimarer Republik üblich war, wurde dann vor allem von den Nazis dermaßen unterdrückt - oder zumindest erst einmal versucht zu instrumentalisieren. Aber am Schluss dann doch unterdrückt und verboten.
Aber in den 50ern...gut, die 50er-Jahre waren natürlich noch ein bisschen bieder. Aber so ganz allmählich kam das dann auf. Und dann die 60er-, 70er-Jahre, da explodierte das geradezu. Zugleich das, was von der normalen Bevölkerung her kam: die Öffnung, Partnerstädte in anderen Ländern zu haben; allmählich kamen Fernreisen auf. Ganz klar, dass dadurch Deutsche – jetzt mal ohne die Einwanderer zu rechnen, das ist noch mal ein Kapitel für sich - dass aber Deutsche für sich einfach mehr Möglichkeiten hatten, an Sinnangeboten auszuwählen.
Je mehr Religionen, desto weniger Mitglieder
Röther: Jetzt haben wir schon jede Menge Religionen genannt im Verlauf dieses Gesprächs. Ich wollte eigentlich eine Strichliste führen. Habe es jetzt vergessen, wäre aber wahrscheinlich auch nicht hinterhergekommen. Von alldem, was wir jetzt genannt haben, gibt es heute noch etwas. Also man wird wahrscheinlich auch noch wenige Arianer finden. Und auch die Spuren der keltischen, germanischen, slawischen Religionsgeschichte, die sind noch da, werden teilweise wieder neu belebt, auch zu etwas Neuem gemacht.
Wir wollen aber auch die Konfessionslosen, die Religionsfreien nicht vergessen, die es ja auch gibt, auch als eine sehr große Gruppe. Und im Vorgespräch haben Sie zu mir gesagt, dass Sie den Eindruck haben, dass je mehr Religionsgemeinschaften es gibt in einer Stadt oder in einem Kreis oder in einem Land - je mehr Religionen es gibt, desto weniger Menschen sind aber überhaupt Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften. Das müssen Sie uns erklären.
Schmiedel: Genau, mache ich gleich. Noch ein Hinweis zu den Arianern: Die gibt es zwar als solche nicht, aber deren Christologie finden wir bei den Zeugen Jehovas wieder, so ungefähr zumindest.
Das andere, ja: Es gab mal eine Studie von der Uni Bochum über Religionsgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen. Schönes Buch mit vielen Karten, wo Städte und Kreise Nordrhein-Westfalens nach verschiedenen statistischen Punkten dargestellt waren. Und mich hat da überrascht: Da gibt es eine Seite, die stellt dar, wie viele Religionsgemeinschaften gibt es in einem Kreis oder in einer großen Stadt. Und eine andere zeigt, wie viele Menschen in einer Stadt oder einem Kreis sind überhaupt Mitglied in einer Religionsgemeinschaft.
Nur mal um einen Extrempunkt herauszufinden, nehmen wir den Kreis Borken im Münsterland: Der war so eingefärbt, als gäbe es dort – jetzt mal leicht übertrieben - nur eine einzige Religion, und zwar die römisch-katholische Kirche. Die ist so stark dominant, dass das statistisch sehr stark ins Gewicht fällt.
Auf der anderen Seite haben wir Städte wie Köln, obwohl es "dat hillije Kölle" ist, haben wir dort eine Vielzahl von Religionsgemeinschaften.
Auf der anderen Seite haben wir Städte wie Köln, obwohl es "dat hillije Kölle" ist, haben wir dort eine Vielzahl von Religionsgemeinschaften.
Und dann auf der anderen Seite fragten sie eben, wie viele Menschen sind überhaupt Mitglied in einer Religionsgemeinschaft. Und da stellen wir fest, dass die Münsteraner vom Kreis Borken fast alle Mitglied dieser einen römisch-katholischen Kirche sind. Und jetzt könnte man ja denken: Okay, wo es viele Religionsgemeinschaften gibt in Köln und demzufolge das Angebot riesig ist, dann müssten also viel mehr Leute auch zufrieden damit sein, weil sie alle was finden, und überall werden die Leute Mitglied in irgendwelchen Religionsgemeinschaften. Aber nein, wahrscheinlich überfordert das Angebot. Oder relativieren sich die Angebote gegenseitig, vielleicht auch so rum. Es ist jedenfalls dort so, dass es sehr viel mehr Menschen in Köln gibt, die überhaupt keiner Religionsgemeinschaft angehören als im Kreis Borken.
Kaum gesellschaftliches Wissen über religiösen Pluralismus
Röther: Wie groß ist denn eigentlich das Wissen und das Bewusstsein in der deutschen Öffentlichkeit um diesen religiösen Pluralismus, über den wir gerade sprechen?
Schmiedel: Also meine Erfahrung ist, sowohl in normalen Gesprächen mit Bekannten, mit Freunden als auch mit meinen Studierenden, die so als Erst-, Zweit- und Drittsemestler bei mir drinsitzen: Da ist nicht sehr viel Wissen darüber. Was? Das gibt es? Und das gibt es auch? Noch nie von gehört. Selbst von großen traditionellen Strömungen wie Theravada-Buddhismus oder schiitischer Islam. Ja, irgendwie mal was gehört, aber nichts Genaues, weiß man nicht. Also, da wäre für Religionswissenschaftler und Religionsjournalisten noch viel Arbeit, dieses Wissen tatsächlich in die Bevölkerung zu bringen. Und daran arbeiten wir ja auch gerade.
Röther: Ich habe noch ein bisschen Arbeit für Sie als letzte Frage, Herr Schmiedel: Welche Religion gibt es denn in Deutschland eigentlich nicht?
Schmiedel: Welche Religion gibt es nicht? Also, ich würde mal sagen: Religionsgemeinschaften, die irgendwo auf der Welt sehr stark ethnisch gebunden sind, haben hier Anhänger dann, wenn diese Gläubigen hergekommen sind - also als Migranten oder als Studenten oder was weiß ich was hergekommen sind - und ihre Religion praktizieren. Das werden dann aber meist nur sehr wenige sein. Und auf dem Wege wird man weltweit Religionen finden, die wir in Deutschland nicht haben. Und natürlich auch die vielen neuen Religionen, die irgendwo entstehen und noch nicht diese weite Wanderung geschafft haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.