Christoph Schmitz: Es ist ein archaisch anmutendes Ritual, die Vorhaut beim Mann wegzuschneiden, die Beschneidung oder Zirkumzision, in vielen Völkern lebendig, jüdische Praxis seit Jahrtausenden, muslimische seit Jahrhunderten. In der anglo-amerikanischen Welt wird sie vielfach aus hygienischen Gründen durchgeführt. Etwa jeder dritte Mann weltweit ist beschnitten, schätzt die Weltgesundheitsorganisation.
Das Landgericht Köln aber hat ein aufsehenerregendes Urteil gefällt: Die Beschneidung Minderjähriger aus religiösen Gründen ist verboten, weder die elterliche Einwilligung noch die Religionsfreiheit rechtfertigen den Eingriff. Beschneidung ist schwere Körperverletzung, so das Gericht. - Wie bewerten Sie diese Entscheidung, habe ich den Berliner Sozialphilosophen und Systemtheoretiker Johannes Heinrichs gefragt.
Johannes Heinrichs: Also ich habe Verständnis dafür, ich stehe im Wesentlichen positiv zu dieser Entscheidung, und zwar gerade deshalb, weil man kulturelles Brauchtum von der Essenz der Religion unterscheiden muss. Diese Unterscheidung scheint mir sehr wesentlich zu sein, und vielleicht ist in diesem Zusammenhang sogar ein Unterschied zwischen dem Judentum zu machen, wo die Beschneidung offenbar mehr zum Wesen der Religion gehört – das wäre aber dann eine eigene Betrachtung -, als für den Islam, wo die Beschneidung eindeutig der Überlieferung, Sunna genannt, angehört, aber nicht dem Koran und nicht zur Essenz der Religion. Diese Unterscheidung ist ja sehr wichtig zwischen dem religiösen Brauchtum, also dem Brauchtum, das sich um die Religion rankt, und der Essenz der Religion. Nehmen wir mal Glockengeläut und Minarettrufe – da könnte der Staat durchaus eingreifen, ohne dass damit die Religionsfreiheit begrenzt wird. Und so ist es auch bei dieser Praxis, wo es sich ja immerhin um einen körperlichen Eingriff handelt. Das Gericht sagt also, erst im Alter, wo ein junger Mensch sich selbst entscheiden kann, ob er sich A zu der Religion stellt, B diesen Ritus vollziehen will, erst dann ist das legitim und nicht bei den unmündigen Kindern.
Schmitz: Aber, Herr Heinrichs, Sie argumentieren jetzt nicht mit den Argumenten des Gerichts? Das Gericht spricht ja von der Unversehrtheit des Körpers, über den erst der mündige Mensch, der mündige Mann entscheiden soll und die aber angegriffen ist, wenn der Junge unmündig noch ist. Deswegen gilt die Willensausübung der Eltern und Religionsfreiheit hier nicht, sondern das Menschenrecht auf Unversehrtheit des Körpers zählt. So argumentiert das Gericht. Aber Sie machen eine andere Differenzierung, Sie sagen, Beschneidung ja, wenn die Beschneidung auf eine religiöse Vorschrift aus dem Kern der religiösen Substanz beruht wie beim Judentum, wo die Beschneidung im Alten Testament, in der Genesis festgeschrieben ist, anders als beim Islam, bei dem Sie die Beschneidung lediglich als Brauchtum bewerten, weswegen Sie es dann nicht zulassen wollen.
Heinrichs: Ja. Also das ist sozusagen eine Konzession an das Judentum, damit dieser Aufschrei nicht so stark ist. Ich halte das zwar für etwas fundamentalistisch, einen körperlichen Ritus als zum Wesen der Religion gehörig zu betrachten, aber ich habe diese Unterscheidung einmal machen wollen, wenn das so zu beurteilen ist und davon auszugehen ist, dass dieser Mensch im religiösen Sinn Jude und nicht nur im kulturellen und im ethnischen Sinn – das ist ja eine extra Problematik im Judentum: Was ist ein Jude? Also im Hinblick auf diese Empfindlichkeiten habe ich diese Unterscheidung zwischen Judentum und Islam gemacht, also müsste es beim Judentum noch mal eigens diskutiert werden. Das ist sozusagen eine Konzession. Aber ich schließe mich der Argumentation des Gerichtes im Übrigen an.
Schmitz: Aber ist die Beschneidung nicht prinzipiell ein so massiver und unwiderruflicher Eingriff in die Unversehrtheit des Körpers, dass man auch trotz religiöser Grundsätze heute sagen müsste, über die Beschneidung darf erst der mündige Mensch selbst entscheiden?
Heinrichs: Wahrscheinlich haben Sie recht, aber das müsste dann vielleicht noch einmal für das Judentum eigens festgestellt werden, darüber müsste noch mal eigens verhandelt werden. Für den Islam scheint mir das schon geklärt zu sein, dass dieser Richterspruch legitim und in Ordnung ist.
Schmitz: Könnten aber dann Muslime nicht sagen, dass bei ihnen Tradition und Koran, Glaube so miteinander verwachsen sind, dass man die Bräuche nicht einfach vom göttlichen Wort trennen kann?
Heinrichs: Ja hier kommen wir auf ganz Grundsätzliches. Der moderne Rechtsstaat beruht auf der Unterscheidung dieser Ebenen, nämlich Religion, Kultur, es geht dann noch weiter, Recht und Wirtschaft, also Rechtspolitik und Wirtschaft. Das sind ganz wichtige Ebenen, die unterschieden werden müssen, und der moderne Staat gründet auf dem Recht, die Zuflüsse aus den Religionen, die werden anerkannt und sind willkommen, aber es muss die Rechtsregel gelten. Also müssen diese Unterscheidungen zwischen Essenz der Religionen und Kultur anerkannt werden. Das gehört zum Leben in einem modernen Rechtsstaat.
Schmitz: Johannes Heinrichs, Philosoph, zum Urteil des Kölner Landgerichts über das Verbot der Beschneidung Minderjähriger.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Landgericht Köln aber hat ein aufsehenerregendes Urteil gefällt: Die Beschneidung Minderjähriger aus religiösen Gründen ist verboten, weder die elterliche Einwilligung noch die Religionsfreiheit rechtfertigen den Eingriff. Beschneidung ist schwere Körperverletzung, so das Gericht. - Wie bewerten Sie diese Entscheidung, habe ich den Berliner Sozialphilosophen und Systemtheoretiker Johannes Heinrichs gefragt.
Johannes Heinrichs: Also ich habe Verständnis dafür, ich stehe im Wesentlichen positiv zu dieser Entscheidung, und zwar gerade deshalb, weil man kulturelles Brauchtum von der Essenz der Religion unterscheiden muss. Diese Unterscheidung scheint mir sehr wesentlich zu sein, und vielleicht ist in diesem Zusammenhang sogar ein Unterschied zwischen dem Judentum zu machen, wo die Beschneidung offenbar mehr zum Wesen der Religion gehört – das wäre aber dann eine eigene Betrachtung -, als für den Islam, wo die Beschneidung eindeutig der Überlieferung, Sunna genannt, angehört, aber nicht dem Koran und nicht zur Essenz der Religion. Diese Unterscheidung ist ja sehr wichtig zwischen dem religiösen Brauchtum, also dem Brauchtum, das sich um die Religion rankt, und der Essenz der Religion. Nehmen wir mal Glockengeläut und Minarettrufe – da könnte der Staat durchaus eingreifen, ohne dass damit die Religionsfreiheit begrenzt wird. Und so ist es auch bei dieser Praxis, wo es sich ja immerhin um einen körperlichen Eingriff handelt. Das Gericht sagt also, erst im Alter, wo ein junger Mensch sich selbst entscheiden kann, ob er sich A zu der Religion stellt, B diesen Ritus vollziehen will, erst dann ist das legitim und nicht bei den unmündigen Kindern.
Schmitz: Aber, Herr Heinrichs, Sie argumentieren jetzt nicht mit den Argumenten des Gerichts? Das Gericht spricht ja von der Unversehrtheit des Körpers, über den erst der mündige Mensch, der mündige Mann entscheiden soll und die aber angegriffen ist, wenn der Junge unmündig noch ist. Deswegen gilt die Willensausübung der Eltern und Religionsfreiheit hier nicht, sondern das Menschenrecht auf Unversehrtheit des Körpers zählt. So argumentiert das Gericht. Aber Sie machen eine andere Differenzierung, Sie sagen, Beschneidung ja, wenn die Beschneidung auf eine religiöse Vorschrift aus dem Kern der religiösen Substanz beruht wie beim Judentum, wo die Beschneidung im Alten Testament, in der Genesis festgeschrieben ist, anders als beim Islam, bei dem Sie die Beschneidung lediglich als Brauchtum bewerten, weswegen Sie es dann nicht zulassen wollen.
Heinrichs: Ja. Also das ist sozusagen eine Konzession an das Judentum, damit dieser Aufschrei nicht so stark ist. Ich halte das zwar für etwas fundamentalistisch, einen körperlichen Ritus als zum Wesen der Religion gehörig zu betrachten, aber ich habe diese Unterscheidung einmal machen wollen, wenn das so zu beurteilen ist und davon auszugehen ist, dass dieser Mensch im religiösen Sinn Jude und nicht nur im kulturellen und im ethnischen Sinn – das ist ja eine extra Problematik im Judentum: Was ist ein Jude? Also im Hinblick auf diese Empfindlichkeiten habe ich diese Unterscheidung zwischen Judentum und Islam gemacht, also müsste es beim Judentum noch mal eigens diskutiert werden. Das ist sozusagen eine Konzession. Aber ich schließe mich der Argumentation des Gerichtes im Übrigen an.
Schmitz: Aber ist die Beschneidung nicht prinzipiell ein so massiver und unwiderruflicher Eingriff in die Unversehrtheit des Körpers, dass man auch trotz religiöser Grundsätze heute sagen müsste, über die Beschneidung darf erst der mündige Mensch selbst entscheiden?
Heinrichs: Wahrscheinlich haben Sie recht, aber das müsste dann vielleicht noch einmal für das Judentum eigens festgestellt werden, darüber müsste noch mal eigens verhandelt werden. Für den Islam scheint mir das schon geklärt zu sein, dass dieser Richterspruch legitim und in Ordnung ist.
Schmitz: Könnten aber dann Muslime nicht sagen, dass bei ihnen Tradition und Koran, Glaube so miteinander verwachsen sind, dass man die Bräuche nicht einfach vom göttlichen Wort trennen kann?
Heinrichs: Ja hier kommen wir auf ganz Grundsätzliches. Der moderne Rechtsstaat beruht auf der Unterscheidung dieser Ebenen, nämlich Religion, Kultur, es geht dann noch weiter, Recht und Wirtschaft, also Rechtspolitik und Wirtschaft. Das sind ganz wichtige Ebenen, die unterschieden werden müssen, und der moderne Staat gründet auf dem Recht, die Zuflüsse aus den Religionen, die werden anerkannt und sind willkommen, aber es muss die Rechtsregel gelten. Also müssen diese Unterscheidungen zwischen Essenz der Religionen und Kultur anerkannt werden. Das gehört zum Leben in einem modernen Rechtsstaat.
Schmitz: Johannes Heinrichs, Philosoph, zum Urteil des Kölner Landgerichts über das Verbot der Beschneidung Minderjähriger.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.